Die Reaktionen in Washington und Moskau auf die ukrainischen Geheimdienstoperationen gegen die russischen Langstreckenbomber am Sonntag und am Dienstag gegen die Kertsch-Brücke, die Hauptnachschub-Arterie der russischen Invasionstruppen zur besetzten Krim, dürften der Ukraine und ihren westlichen Unterstützerstaaten einige Sorgen bereiten. Denn US-Präsident Donald Trump hielt sich nach der beispiellosen Drohnenattacke auf mehrere russische Luftwaffenbasen, vom Nordkap bis nach Sibirien, auffallend mit Bemerkungen zurück.
Nach ukrainischen Geheimdienstoperationen: Trump hüllt sich in Schweigen
Entgegen der sonstigen Gewohnheit Trumps, täglich mit Posts auf seiner Plattform "Truth Social" für weltweite Aufmerksamkeitswellen zu sorgen, überging der US-Präsident die ukrainische Geheimdienstoperation "Spinnennetz" weitgehend mit Schweigen. Hatte Trump noch vor kurzem ein "Putin ist total verrückt geworden" gepostet, eine seltene Reaktion auf eine der folgenschweren Bombardierungen ukrainischer Städte, so war nach der Zerstörung russischer Langstreckenbomber nichts zu hören, von denen die verheerenden Marschflugkörper abgefeuert werden.
Einer der Gründe Washingtons: Russland könnte die Ausschaltung eines Teils seiner nuklearen Abschreckung – die getroffenen Landstreckenbomber waren auch in der Lage, Nuklearwaffen abzufeuern – als originäre Gefährdung der nationalen Sicherheit auffassen.
Trumps Ukraine-Beauftragter kritisiert Drohnenangriffe
Das zumindest lassen die Einwände des Ukraine-Beauftragten Trumps, Ex-General Keith Kellogg erkennen, warum die US-Regierung so zurückhaltend reagiert. Das Risiko einer Eskalation des Krieges in der Ukraine sei "stark gestiegen", sagte Kellogg dem US-Fernsehsender Foxsnews, nachdem die ukrainischen Streitkräfte Drohnen eingesetzt hatten, um nuklearfähige Bomber auf mehreren Luftwaffenstützpunkten tief in Russland anzugreifen.
Den meisten Beobachtern sei nicht klar, was dies für den Bereich der nationalen Sicherheit bedeute: "Wenn man einen Teil des nationalen Überlebenssystems des Gegners angreift, nämlich seine Triade, die nukleare Triade, dann steigt das Risiko, weil man nicht weiß, was die andere Seite tun wird." Unter dem Begriff Triade versteht man: Russland und die USA, die zusammen über etwa 88 Prozent aller Atomwaffen verfügen, besitzen jeweils über drei nukleare Optionen, um Atomsprengköpfe anzufeuern: strategische Bomber, landgestützte ballistische Interkontinentalraketen und von U-Booten abgefeuerte ballistische Raketen. Insofern sei der materielle Schaden, der durch die Drohnenangriffe verursacht worden ist, weniger wichtig, als die psychologische Wirkung auf Russland, sagte Kellogg.
Putin äußert sich – und stellt Waffenruhe in Frage
Zunächst kam von Trumps Pendant im Kreml, Wladimir Putin, nach den Drohnenangriffen sowie dem ukrainischen Seedrohnen-Angriff auf die Kertsch-Brücke, eher Schweigen. Er überließ wie stets die ersten Reaktionen auf demütigende Nachrichten seinem Amtsvorgänger und treuen Gefolgsmann Dimitri Medwedew. Auf seinem Telegram-Kanal drohte Medwedew, dass Russland als Reaktion auf die ukrainischen Drohnenangriffe vom Sonntag alles "in die Luft jagen" und jeden "verschwinden" lassen werde, der sich Russland widersetze.
Am Mittwochnachmittag legte Putin selber nach: Die Sprengung von zwei Eisenbahnbrücken in den russischen Regionen Bryansk und Kursk, bei denen am Wochenende sieben Menschen ums Leben kamen und 115 verletzt wurden, sei "zweifelsfrei ein Terrorakt", den die Ukraine begangen habe. Es handele sich um "Verbrechen gegen Zivilisten", die von Kiew ausgeführt worden seien, um die Verhandlungen zwischen Russland und der Ukraine in Istanbul am Montag dieser Woche zu torpedieren.
Laut der offiziellen russischen Nachrichtenagentur Tass fügte Putin hinzu: Er habe erhebliche Zweifel daran, ob es nach den jüngsten Attacken eine Waffenruhe geben könne. In Istanbul hatte die russische Delegation der Ukraine ein "Memorandum" mit Forderungen übergeben, die auf eine de facto Entwaffnung des Landes, Anerkennung der besetzten Gebiete, Einstellung aller ausländischen Hilfen hinauslaufen. Auf eine Kapitulation.
Massive Luftangriffe auf ukrainische Städte und Dörfer
In den Morgenstunden, mitten in der Rushhour, feuerte russische Artillerie am Dienstag Granaten ins Stadtzentrum von Sumy, nördlich von Charkiw, rund 30 Kilometer von der russischen Grenze entfernt. Vier tote Passanten, 28 Verletzte, darunter drei Kinder, brennende Autos, eine nicht explodierte Granate landete nach Angaben des ukrainischen Präsidenten in einem Apartmenthaus.
Oleh Hryhorov, Chef der regionalen Militärverwaltung von Sumy, schrieb anschließend auf Facebook: "Die russische Armee beschießt ständig Grenzdörfer und trifft dabei Wohnhäuser, Bauernhöfe und zivile Infrastruktureinrichtungen". Ebenfalls am Dienstag meldete die ukrainischen Behörden aus der östlichen Region Donezk, während der Nacht seien vier Zivilisten in vier verschiedenen Ortschaften von Artilleriebeschuss getötet worden.
Die Vereinten Nationen geben die Anzahl der getöteten ukrainischen Zivilisten seit Beginn der russischen Großinvasion vor drei Jahren mit rund 12.000 an. Russland, so schrieb der Ukraine-Korrespondent der "New York Times" Marc Santora, am 26. Mai, habe am "Montag vor Sonnenaufgang einen weiteren massiven Luftangriff auf ukrainische Städte und Ortschaften geflogen". Damit dränge Russland "auf seinen Vorteil, da sich die Vereinigten Staaten zunehmend aus dem Konflikt und den diplomatischen Bemühungen um dessen Beendigung zurückziehen." An dieser Einschätzung der "New York Times" hat sich nichts geändert.
Im Video: Ukraine greift Krim-Brücke an
Ukraine greift Krim-Brücke an
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