Sogar um ihren Abschied musste sie sich selbst kümmern. Nach dem Koalitionsausschuss der schwarz-roten Regierung war es Saskia Esken (SPD), die in der anschließenden Pressekonferenz sagte: "Diese Bundesregierung hat Handlungsfähigkeit gezeigt, in ihrem ersten und – das will ich am Rande auch sagen – meinem letzten Koalitionsausschuss".
Keiner der drei Männer auf dem Podium, weder Friedrich Merz (CDU) noch Markus Söder (CSU) noch Lars Klingbeil (SPD) sah eine Notwendigkeit, die Co-Chefin der SPD mit ein paar warmen Worten zu verabschieden. Esken machte gute Miene zum unguten Spiel. Wie so oft.
Der eine macht Karriere, die andere den Abgang
Sie hätte allen Grund zu Bitterkeit. Esken, Noch-Co-Vorsitzende der Partei, wird spätestens am Parteitag Ende Juni aus allen Führungsgremien ausscheiden. Anders als ihr Kollege Lars Klingbeil (SPD), mittlerweile Vize-Kanzler und Finanzminister. Klingbeil will Co-Vorsitzender bleiben. Nur "die Frau an seiner Seite", die wird ausgetauscht.
Zur Erinnerung: Esken und Klingbeil sind die beiden SPD-Chefs, die zusammen mit Kanzlerkandidat Olaf Scholz (SPD) der Partei mit 16,4 Prozent ein historisch schlechtes Wahlergebnis bei der Bundestagswahl eingebrockt haben. Aber, während der eine Karriere macht, geht die andere den umgekehrten Weg. In der SPD finden das längst nicht alle gut, aber nur wenige sagen es so offen wie Benedict Lang, der Vorsitzende der bayerischen Jusos, der glaubt, "dass da schon auch eine Portion Sexismus innerhalb der SPD eine Rolle spielt".
Frauen stehen in der Politik unter besonderer Beobachtung
Für den Politikwissenschaftler Dr. Daniel Höhmann von der Universität Basel, der zu Repräsentation in Parlamenten forscht, ist die ungleiche öffentliche Behandlung von Esken und Klingbeil ein bekanntes Muster. "An Frauen in politischen Führungspositionen werden oftmals höhere – und vor allem geschlechtsspezifische – Erwartungen gestellt. […] Durchsetzungsfähig, aber nicht zu dominant; kompetent, aber nicht 'besserwisserisch'; nahbar, aber nicht emotional."
Zu BR24 sagt Höhmann, während Klingbeil eher als strategischer Parteimanager wahrgenommen werde, werde Esken häufig auf ihre Kommunikationsweise oder ihr Auftreten reduziert. Ein Ausdruck struktureller Unterschiede in der Bewertung männlicher und weiblicher politischer Akteure. Nach wie vor würden Abweichungen von tradierten Geschlechternormen schnell negativ ausgelegt.
Stagnation bei politischer Gleichstellung
"Frauen [in Regierungsämtern] müssen im besonderen Maße glänzen" erklärt Prof. Corinna Kröber von der Universität Greifswald. Sie beobachtet beim Thema Gleichstellung seit langem vor allem Stagnation in Deutschland. Daran hat auch die sogenannte Fortschrittskoalition der Ampel wenig geändert. Zwar wurden gläserne Decken durchbrochen, als Frauen erstmalig das Innen- und das Außenministerium übernahmen und damit Vorbilder für andere Frauen wurden. Aber Frauen, wie beispielsweise die ehemalige Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne), erhielten viel Kritik für Fehler, die bei Männern kaum der Rede wert wären.
Der Umgang vieler Medien mit Baerbock war dabei typisch, beobachtet Corinna Kröber: "Fokussierung auf Äußerlichkeiten wie Outfits und eine besonders kritische Beleuchtung ihres Verhaltens." Dass Baerbocks Nachfolger im Amt, Johann Wadephul (CDU), nicht ansatzweise ins Kreuzfeuer geraten ist, stützt diese These.
Frauenthemen werden von Frauen gesetzt – oder gar nicht
"Ohne Frauen, die diese Anliegen [Gleichstellung, Familienpolitik, geschlechterspezifische Gerechtigkeit] gezielt benennen und verfolgen, drohen sie schnell von der politischen Tagesordnung zu verschwinden", sagt Daniel Höhmann im Interview mit BR24.
Seine Kollegin von der Universität Greifswald, Corinna Körber, ergänzt: "Umfassende Forschung zeigt, dass Politikerinnen sich deutlich mehr für die Themen einsetzen, die Frauen in der Bevölkerung als wichtig erachten, als Politiker das tun." Politikerinnen stimmten bei freien Abstimmungen auch anders ab und arbeiteten auf eine Verschiebung der Position ihrer Parteien hin.
"Old Boys‘ Networks" sind mächtig und aktiv
Mit der Rückkehr von CDU und CSU in die Bundesregierung ist der Frauenanteil im Kabinett leicht gesunken. Die SPD hat bei der Besetzung Diversität stärker berücksichtigt und an zwei Frauen unter 40 Jahren Ministerposten vergeben. In zentralen Ministerien (Finanzen, Inneres, Auswärtiges, Verteidigung) findet sich allerdings überhaupt keine Frau an der Spitze. Forscher wie Daniel Höhmann beobachten noch etwas anderes: "In vielen lokalen oder regionalen Parteistrukturen dominieren informelle Netzwerke – häufig männlich geprägt. […] Diese Netzwerke begünstigen Männer bei Nominierungen und erschweren Frauen den Zugang zu winnable seats."
Die politikwissenschaftliche Forschung zeige, ergänzt Corinna Kröber, dass es "vor allem die Entscheidungsträger und -trägerinnen in den Parteien sind, die Frauen dort aufstellen, wo sie weniger Chancen haben zu gewinnen." Dass sich das unter einem Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU) ändern wird, halten beide Wissenschaftler für wenig wahrscheinlich. Merz betone in öffentlichen Äußerungen häufig Leistung und Eigenverantwortung, sagt Höhmann, er blende damit die nachweislich existierenden strukturellen Hürden aus, mit denen viele Frauen konfrontiert seien.
Merz‘ Regierungssprecher antwortete auf die Frage, ob der Bundeskanzler angesichts seines Männer-Teams im engsten Umfeld weniger Vertrauen in Frauen habe: "Davon gehe ich nicht aus, er hat selber eine".
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