"Sie wollen uns schwächen." So zitiert das Nachrichtenportal Politico einen hochrangigen EU-Beamten, der mit den transatlantischen Beziehungen und den Vorbereitungen für den Brüssler Gipfel vertraut ist. Die US-Regierung übe massiven Druck aus, um einige Mitgliedsländer der EU dazu zu drängen, von dem Finanzierungsplan der EU-Kommission zur Verwendung der eingefrorenen russischen Vermögenswerte Abstand zu nehmen.
Trump-Administration treibt Keile in die EU
In den vergangenen Wochen hätten Vertreter der Trump-Administration Regierungen von EU-Staaten kontaktiert, die sie als "freundlich" gegenüber Washington betrachteten, um den Plan der EU-Kommission für die Finanzierung der Ukraine zu torpedieren. Offenbar mit Erfolg: Eine Woche vor dem Gipfel teilten Italien, Bulgarien, Malta und Belgien der EU-Kommission mit, sie plädierten dafür, "alternative Optionen im Einklang mit dem EU-Recht und dem Völkerrecht mit vorhersehbaren Parametern und deutlich geringeren Risiken zu prüfen", um den Finanzbedarf der Ukraine mit EU-Krediten oder anderen "Überbrückungslösungen" zu decken.
Manfred Weber, der Fraktionsvorsitzende der Europäischen Volkspartei (EVP), brachte es in dieser Woche in Straßburg auf den Nenner: "Die USA sind offensichtlich nicht mehr die Führungsmacht der freien Welt". Die Trump-Regierung "distanziert sich von uns".
Gegensätzliche Interessen zwischen USA und EU
Ein Blick auf die Interessen bei der Verwendung der eingefrorenen russischen Vermögenswerte in Höhe von 210 Milliarden Euro zeigt, wie weit sich die USA unter Donald Trump von der Europäischen Union entfernt haben. Die Konzepte der US-Regierung und der EU-Kommission könnten nicht gegensätzlicher sein: Die Brüsseler Kommission will, kurzgefasst, die eingefrorenen russischen Gelder für die Finanzierung der Ukraine verwenden.
Ohne die Verwendung russischer Vermögenswerte zur Finanzierung der Kredite droht der ukrainische Staatshaushalt im kommenden Jahr zusammenzubrechen. Im Etat fehlen über 70 Milliarden Euro. Sollten die Kredite nicht fließen, müsste Kiew ab dem nächsten Frühjahr ganz erheblich Ausgaben kürzen, mit der Folge, dass die Moral der Bevölkerung absinkt und die Verteidigungsfähigkeit beeinträchtigt wird.
Washington will an eingefrorenen russischen Geldern verdienen
Washington beansprucht hingegen, den großen Teil der russischen Milliardenbeträge für "US-geführte Bemühungen zum Wiederaufbau und zu Investitionen in der Ukraine" verwenden. Die Gewinne aus diesem Vorhaben würden zu 50 Prozent an die USA gehen, wie es in dem 28 Punkte Plan Washingtons heißt. Europa sollte weitere 85 Milliarden Euro bereitstellen, um das "Investitionsvolumen für den Wiederaufbau der Ukraine zu erhöhen."
Der Rest der eingefrorenen russischen Gelder "wird in ein separates US-russisches Investitionsvehikel investiert, das gemeinsame Projekte in bestimmten Bereichen umsetzt." Ein Team des amerikanischen Investmentriesen Blackrock habe in dieser Woche mit ukrainischen Beamten über eine finanzielle Unterstützung beim Wiederaufbau der Ukraine bereits gesprochen, wie der US-Nachrichtensender CNN berichtet.
Diplomatische Herkulesaufgabe wird von Trump erschwert
Auch ohne die amerikanischen Störmanöver im Vorfeld des Gipfels ist die diplomatische Herkulesaufgabe ohnehin schon schwer genug, eine Mehrheit für die lebensnotwendige Finanzierung der Ukraine zustande zu bringen. Es ist keine Übertreibung, mit der Friedrich Merz das Gipfeltreffen befrachtet: Wenn sich die Europäische Union nicht auf eine Finanzierung der Ukraine einigen kann, wird die Handlungsfähigkeit Europas massiv beschädigt, auf Jahre hinaus.
Dass die Trump-Regierung ihren Einfluss in dieser äußerst heiklen Lage auf "gleichgesinnte Länder“ in Europa ausübt, um die Handlungsfähigkeit der EU in der entscheidenden Frage der europäischen Sicherheitsordnung zu schwächen, ist für den Bundeskanzler und seine politischen Partner in der EU eine weitere Enttäuschung. Kein Zweifel: Dieser Gipfel ist die wichtigste Zusammenkunft der 27 Staats- und Regierungschefs seit Beginn der russischen Großinvasion vor bald vier Jahren.
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