Juli 2018. Donald Trump reist zum Nato-Gipfel nach Brüssel, gewillt, aus dem Bündnis auszusteigen, sollten Deutschland und andere Mitgliedsländer nicht mindestens zwei Prozent ihrer Wirtschaftsleistung für den Verteidigungshaushalt ausgeben. "Diskutieren Sie nicht mit dem Präsidenten, vor allem nicht über Zahlen, das bringt nichts", rät Trumps Sicherheitsberater John Bolton dem Generalsekretär.
Es hilft nichts: Vor entsetzten bis entgeisterten Staats- und Regierungschefs fängt Trump an, aufzulisten, wie viel jedes Land für die Verteidigung ausgibt - als wären es, so hält Jens Stoltenberg fest, die Resultate des European Song Contest: "Belgien: 0,9 Prozent. Kroatien: Ich kann es nicht glauben – 1,26 Prozent. Deutschland: 1,2. Come on, Angela, Come on!" Die Allianz steht vor dem Zusammenbruch, weil sich Trump – so lässt Stoltenberg erkennen – wie ein Schutzgelderpresser benehme. Wer nicht zahlt, bekommt auch keinen Schutz.
Trump präsentierte Merkel eine Milliarden-Rechnung
Von seinem ersten Amtstag im Weißen Haus im Januar 2017 an habe Trump immer wieder Deutschland ins Visier seiner verbalen Attacken genommen. Angela Merkel würde viel zu wenig für die Verteidigung ausgeben, beklagte sich der US-Präsident bei Stoltenberg, keine zwei Wochen nach Trumps erstmaligen Einzug ins Weiße Haus: "Ich war wirklich überrascht zu erfahren, dass Deutschland uns Milliarden von Dollar schuldet", behauptete Trump: "Geld, das sie nicht bezahlt haben, das sie aber bezahlen müssen."
Alle Versuche Stoltenbergs, Trump zu erklären, dass es sich bei den nationalen Verteidigungsausgaben nicht um "Mitgliedsbeiträge" handele, die nach Washington zu überweisen seien, scheiterten. Trump "wiederholte nur, was er bereits gesagt hatte". Die Bundeskanzlerin musste sich, so schreibt Stoltenberg, bei ihrem ersten Antrittsbesuch bei Trump im Weißen Haus anhören, dass Deutschland der Nato "374 Milliarden Dollar schuldet".
Trump hatte die Differenz zwischen den deutschen Verteidigungsausgaben und der Summe, die Deutschland hätte ausgeben müssen, um das Zwei Prozent Ziel zu erreichen, ausrechnen lassen – über einen Zeitraum von zehn Jahren. Trump habe Merkel dann diese astronomische Summe als eine Rechnung präsentiert, die sie zu zahlen hätte: "Sogar die Zinsen hatte Trump zurückwirkend berechnet."
Zehn spannende Jahre als Nato-Generalsekretär
Es sind Episoden wie diese, mit denen es Stoltenberg gelingt, die Leser auf eine spannende, informative Zeitenreisen mitzunehmen. Zehn Jahre, solange wie kein Generalsekretär vor ihm, stand der sozialdemokratische Politiker aus Norwegen dem Bündnis vor. Und er vermeidet in seiner Autobiografie den Fehler, den viele Ex-Politiker gerne mit ihren Lebensberichten begehen, wie etwa Angela Merkel: Stoltenberg hangelt sich nicht chronologisch an seinen Aufzeichnungen und Terminkalendern entlang. Das ist wohltuend. Er offeriert nicht nur politische, sondern auch persönliche Einblicke, spart innere Konflikte nicht aus.
Als er im Juli 2011, als Ministerpräsident, den Terroranschlag eines norwegischen Rechtsextremisten erlebt und auf der Insel Utøya 69 junge Menschen ermordet vorfindet, auf der Insel, auf der er als jugendlicher Sozialdemokrat oftmals Ferien gemacht hat, ist er verzweifelt. Und: Er macht das genaue Gegenteil von dem, was Regierungschefs in anderen Ländern tun: Er polarisiert nicht, sondern hält ein flammendes Plädoyer für eine offene, freie, demokratische Gesellschaft.
Ratschläge für den Umgang mit Trump
Stoltenberg stammt aus einem ausgesprochen politischen Elternhaus – sein Vater Thorvald war Außen- und Verteidigungsminister, seine Mutter Karin Staatssekretärin, seine Ehefrau Ingrid langjährige Diplomatin. "Auf meinem Posten" – die Wahl des Buchtitels trifft Stoltenbergs Selbstverständnis. Als er im September 2024 als Nato-Generalsekretär ausscheidet, sitzt Stoltenberg in Brüssel zu einem Interview mit der CNN-Chefkorrespondentin Christine Amanpour zusammen. Ob er einen Ratschlag hätte, wie man mit Trump umgehen sollte? Der Norweger Stoltenberg gibt zurück: Er habe sich immer auf Sachthemen konzentriert und sich nicht auf die üblichen Abschweifungen Trumps eingelassen. Davon sei er, Stoltenberg, gegenüber dem US-Präsidenten nicht abgewichen.
Manchmal, so räumt Stoltenberg am Ende seiner informativen Autobiografie ein, empfinde er trotz seines grundsätzlichen Optimismus eine quälende Besorgnis um die Zukunft: "Ich kam 2014 zur Nato", schreibt er: "Zehn Jahre später war die Welt unsicherer geworden. Neue Kriege, mehr Rivalität unter den Großmächten, weniger Vorhersehbarkeit. All das geschah auf meinem Posten."
Im Video: Analyse - Was passieret, wenn Russland die Nato angreift?
Der russische Präsident Vladimir Putin bei einer Militärparade am 9.5.2022
Das ist die Europäische Perspektive bei BR24.
"Hier ist Bayern": Der BR24 Newsletter informiert Sie immer montags bis freitags zum Feierabend über das Wichtigste vom Tag auf einen Blick – kompakt und direkt in Ihrem privaten Postfach. Hier geht’s zur Anmeldung!