In der neuen US-Sicherheitsstrategie heißt es: Europa habe seine "westliche Identität" verloren, sein Selbstbewusstsein der eigenen "europäischen Zivilisation". Deshalb werde die US-Regierung mit ihren "politischen Verbündeten in Europa" zusammenarbeiten, um diesen "Geist" wiederzubeleben.
Wer die politischen Verbündeten Trumps auf dem alten Kontinent sind, wird in der neuen US-Sicherheitsstrategie ebenfalls klar benannt: Mit Blick auf die steigenden Umfragewerte der politischen Rechten in Europa, wie der AfD, der Reform Party in Großbritannien oder dem Rassemblement National in Frankreich, steht für die Trump-Regierung fest: Der wachsende "Einfluss patriotischer europäischer Parteien gibt in der Tat Anlass zu großem Optimismus."
"Bestimmte Nato-Mitglieder mehrheitlich nicht-europäisch"?
Den ideologischen Bogen zwischen dem angeblichen Zivilisationsverlust Europas und der Bereitschaft, europäische Verbündete nur dann militärisch zu unterstützen, wenn sie den Vorgaben Washington folgen, zieht Trumps Sicherheitsstrategie mit der Behauptung: "Langfristig ist es mehr als plausibel, dass spätestens in einigen Jahrzehnten bestimmte Nato-Mitglieder mehrheitlich nicht-europäisch sein werden."
Daher sei es eine offene Frage, ob die Staaten "ihre Stellung in der Welt oder ihr Bündnis mit den Vereinigten Staaten genauso sehen werden wie diejenigen, die die Nato-Charta unterzeichnet haben."
Nicht Europa, sondern die USA würden bald "nicht-europäisch"
Für Psychologen klinge die Behauptung der Sicherheitsstrategie Trumps, wonach "spätestens in einigen Jahrzehnten" einige Nato-Verbündete mehrheitlich "nicht-europäisch" seien, wie eine Projektion, analysiert der britische Journalist Gideon Rachman in der "Financial Times" (externer Link, möglicherweise Bezahl-Inhalt). Denn somit werde die US-Bevölkerungsentwicklung auf die Bevölkerungsentwicklung in Europa übertragen, obgleich die US-Trends denen in Europa vorauseilen. Tatsächlich seien es die USA, die laut der Volkszählungsdaten des US Census Bureau bis 2045 eine "nicht-weiße Mehrheit" haben würden (externer Link).
Hingegen würde es bei den gegenwärtigen Bevölkerungstrends "noch mehrere Jahrzehnte dauern, bis Großbritannien oder Deutschland eine ähnliche Schwelle überschreiten würden." In diesem Zusammenhang von einer drohenden "Auslöschung der Zivilisation" in Europa zu sprechen, spiegele daher die nationalistisch-ideologische Fixierung des US-Präsidenten auf ethnische Zugehörigkeiten wider, wie es in einer Analyse des liberalen US-Think Tanks "Brookings Institute" heißt.
Der dortige Befund: Die Ideologie Trumps drohe die nationalen Interessen der USA zu untergraben. "Massenmigration" werde als die größte externe Bedrohung für die Vereinigten Staaten angesehen – "noch vor China, Russland oder Terrorismus."
US-Think Tank: "Sprache der Tyrannei"
Und die oft nüchterne Sprache der Sicherheitsstrategie schlage in Bezug auf Europa, das Trumps Meinung nach vor dem "Untergang der Zivilisation" stehe, "völlig um." Das Dokument mache deutlich, dass die größte transatlantische Kluft derzeit nicht zwischen den Vereinigten Staaten und Europa bestehe, "sondern zwischen transatlantischen Liberalen und transatlantischen Illiberalen".
Dass dabei die US-Regierung die "patriotischen europäischen Parteien" als die wahren Verbündeten Amerikas in Europa betrachte und den "Widerstand gegen den aktuellen Kurs Europas innerhalb der europäischen Nationen" fördern wolle, laufe auf eine Politik des "verfassungsmäßigen Regimewechsel" hinaus. Das Fazit des "Brookings Institute": "So spricht man nicht mit Verbündeten. In früheren Zeiten hätte man dies als Sprache der Tyrannei erkannt."
Zwei unterschiedliche Versionen des Westens
Die zivilisatorische These der US-Sicherheitsstrategie vom angeblichen Niedergang Europas durch "Überfremdung" mache deutlich, so die Beobachtung Gideon Rachmans in der "Financial Times", "dass derzeit ein Kampf zwischen zwei unterschiedlichen Versionen des Westens" ausgetragen werde. Dies sei ein Kampf, der die USA und Europa gegeneinander aufbringe.
Die Sichtweise der Trump-Regierung auf die westliche Zivilisation basiere auf "Rasse, Christentum und Nationalismus". Die Version der europäischen Staaten sei eine liberale Sichtweise, "die auf Demokratie, Menschenrechten und Rechtsstaatlichkeit, einschließlich des Völkerrechts" basiere. Europas liberale Version der westlichen Zivilisation sei nunmehr von zwei Seiten bedroht: Von den rechtsextremen Parteien in Europa, "die die USA fördern", und vom russischen Staat, "um den sich die Trump-Regierung bemüht." Es sei daher kein Wunder, "dass der Kreml eine Chance wittert."
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