Ein Wahlzettel bei der Bundestagswahl.
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Könnte ein zusätzliches Feld auf dem Wahlzettel, nur für Protest, positive Auswirkungen haben? (Symbolbild)
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Könnte ein zusätzliches Feld auf dem Wahlzettel, nur für Protest, positive Auswirkungen haben? (Symbolbild)

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Ein extra Wahlkreuz für den Protest: Was bringt's?

Ein extra Wahlkreuz für den Protest: Was bringt's?

Manche Menschen stimmen bei Wahlen aus Protest ab, weniger aus Überzeugung. Ein BR24-User hat sich gefragt: Wie wäre es, wenn Unzufriedene ihr Kreuz nicht bei einer Partei, sondern separat machen könnten? Eine Analyse der Möglichkeiten und Folgen.

Über dieses Thema berichtet: BR24 im Radio am .

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Eine Wahlentscheidung nicht für etwas, sondern gegen die aktuelle Politik: Der "Protestwähler" ist in der Betrachtung von Wahlergebnissen immer wieder Diskussionsgegenstand – und dennoch schwer auszumachen. Manche wählen nicht aus Überzeugung, sondern weil sie bestimmten Parteien eins auswischen wollen. Mit demselben Motiv machen andere ihren Wahlzettel ungültig oder wählen gleich gar nicht. Auch nach der Kommunalwahl in Nordrhein-Westfalen an diesem Sonntag wird vermutlich wieder über den Anteil von Protestwählern diskutiert und spekuliert werden.

BR24-User "Gscheidhaferl_2" hat zu diesem Thema schon vor einiger Zeit bei BR24 kommentiert und dabei eine neue Idee ins Spiel gebracht: die Möglichkeit, "(...) bei der Wahl explizit mit einem eigenen Kreuz alle anderen Wahlvorschläge ablehnen zu können." Aus der Sicht des Kommentators müssten sich die Parteien so der ausdrücklichen Ablehnung stellen.

Zudem werde "gerne vorschnell unterstellt, diejenigen, die ungültige Stimmzettel abgeben, wären nur zu dumm zum Wählen. Wenn Sie also Protest zum Ausdruck bringen wollen, müssen Sie aktuell sowas wie AfD wählen, weil die übrigen Parteien alles andere nicht ernst nehmen. Wäre doch spannend, ob sich dadurch am Ende sogar der Wahlerfolg der Demokratiefeinde etwas reduzieren ließe."

Eine Wahlentscheidung aus Unzufriedenheit kann sich bisher in drei Formen ausdrücken: durch ungültig machen des Wahlzettels, durch Nichtwahl und durch die Wahl einer Partei, die für den Protest gegen die jetzige Politik steht.

Ungültige Wahl als Mittel gibt es schon jetzt

Politikwissenschaftler Constantin Wurthmann von der Universität Mannheim stellt klar, dass es durch eine ungültige Wahl auch heute schon möglich sei, explizit keine Partei zu wählen. "Dadurch ist ein gutes Instrument geschaffen, welches dafür sorgen kann, dass man Unmut gegenüber den Parteien oder den Kandidierenden zum Ausdruck bringt."

Eine zusätzliche Ankreuzmöglichkeit hält er daher nicht für nötig. Wurthmann sagt, dass der Anteil ungültiger Wahlzettel extrem gering sei und schlussfolgert daraus, dass die meisten Wähler in Deutschland "vielleicht mit der Faust in der Tasche", dennoch innerhalb des Angebots wählen wollten, wenn sie schon zur Wahl gehen.

Zudem sei ein Wahlzettel dazu da, Wählerstimmen direkt in Repräsentation zu übersetzen. Das funktioniere nur durch das Ankreuzen von Protest nicht. Es bestehe auch die Gefahr der Manipulation, sagt Wurthmann: So könnte sich eine Partei "Protest" nennen.

"Echte Protestwähler gibt es nur wenige"

Der Politikwissenschaftler weist darauf hin, der Begriff des "Protestwählers" sei an sich unscharf und werde in der Politik sowie in der Berichterstattung systematisch falsch verwendet. So sei die Anzahl an Wählern, die wirklich nur Protest anzeigen wollen, "marginal".

Oftmals sei vielmehr eine populistische Wahrnehmung von "Wir gegen die da oben" ein Treiber für die vermeintlichen Protestwähler und so müsse man diese auch als populistische Wähler einordnen. Er glaubt dementsprechend nicht, dass ein nennenswerter Anteil der Wähler, die für sich selber den Protest als Wahlgrund sehen und deshalb jetzt extreme Parteien wählen, auf das neue Protestfeld ausweichen würden.

Es gibt bessere Möglichkeiten, Protest auszudrücken

Beate Küpper von der Uni Bielefeld sagt ebenfalls: "Die Gefahr ist groß, dass sich hinter dem Ankreuzen von 'Protest' nicht der Wunsch nach mehr Demokratie, sondern nach weniger Demokratie verbirgt." Die Soziologin beschäftigt sich in ihrer Forschung mit der Gruppe der Nichtwähler. Dass ein "Protestfeld" auf dem Wahlzettel die Wahlbeteiligung erhöht, will die Wissenschaftlerin nicht ausschließen.

Allerdings stellt sie die Frage, inwieweit die Demokratie profitieren würde. Denn "Demokratie braucht eine demokratische Grundhaltung und sie braucht Mitmachen", der reine Ausdruck von Protest würde dem Populismus das Tor noch weiter öffnen. Wahlstimmen für den Protest seien nicht konstruktiv nutzbar und würden zudem auch keine endgültige Klarheit darüber bringen, warum genau der Wähler nun unzufrieden ist. Sie verweist auf andere Möglichkeiten, sich auszudrücken, wie zum Beispiel Demonstrationen oder Petitionen.

Hundertprozentige Überzeugung nutzt der Demokratie auch nicht

Küpper stellt noch einmal klar: "Der Clou an Demokratie ist ja, dass die Menschen sehr unterschiedliche Vorstellungen davon haben, wie die Sachen laufen sollen. Demokratie ist dann ein zivilisierter Weg, diese sehr unterschiedlichen Vorstellungen auszuhandeln."

Auch Wurthmann verweist auf die Vielzahl an Wahlmöglichkeiten, die sich nicht nur auf die im Bundestag vertretenen Parteien beschränkt. "Irgendwo, im Regelfall, sollte man da ein Angebot finden." Es sei denn, man habe den Anspruch einer hundertprozentigen Übereinstimmung. Dies sei aber keine Einstellung, die in einer Demokratie besonders hilfreich wäre.

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