Eine Gruppe Menschen steht an einem Polizeiauto. Ein blonder Mann in roter Jacke ist gepixelt.
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Der ehemalige V-Mann Kai D.

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Wie nah ein V-Mann am NSU-Kerntrio war

Wie nah ein V-Mann am NSU-Kerntrio war

Der Verfassungsschutz brachte V-Mann Kai D. ins direkte Umfeld der rechtsextremen Terrorzelle NSU. Er sammelte auch Daten von Linken in Nürnberg. Der NSU-Untersuchungsausschuss des bayerischen Landtags fand noch einiges mehr über den Mann heraus.

Haben die Sicherheitsbehörden im Freistaat einen Spitzel direkt ins Umfeld des späteren NSU-Kerntrios heranspielen können, der auch den links-alternativen Szene-Treff im früheren Kultur- und Kommunikationszentrum "KOMM" in Nürnberg ausspioniert hat? Dem zweiten Untersuchungsausschuss im bayerischen Landtag zu den Morden der rechtsextremen Terrorzelle NSU liegen dazu Dokumente vor.

  • Zum Artikel: Bayern entschädigt NSU-Opfer des Taschenlampen-Attentats

Einträge bei den Sicherheitsbehörden – fast alles geschwärzt

Dem V-Mann Kai D. (59), der heute im Raum Nürnberg lebt und der in den 1990er Jahren bis in die späten 2000er Jahre als wichtiger Zuträger bei bayerischen wie auch anderen Behörden geführt wurde, werden in den Abschlussberichten des jetzt zu Ende gehenden Ausschusses lange Passagen gewidmet. Seine Rolle ist umstritten. Der Verfassungsschutz hat mit der Herausgabe von seitenweise geschwärzten Akten dazu beigetragen, dass D.'s genauer Einsatz im Dunkeln bleibt.

V-Mann stellte Kontakte zu Neonazis in Thüringen her

Der Erlanger FDP-Bundestagsabgeordnete Matthias Fischbach kommt deswegen zum Schluss, dass "politischer Handlungsbedarf" bei der Kontrolle vor allem des bayerischen Landesamtes für Verfassungsschutz bezüglich dieser Vorgehensweise bestehe. Denn Kai D. hat, so viel steht inzwischen fest, als "Gausekretär" von Franken, wie er sich bei seiner Vernehmung im Untersuchungsausschuss selbst bezeichnete, in der rechtsextremen Szene die Kontakte zu Neonazis in Thüringen hergestellt. Dort formierte sich in den 1990er Jahren der gewaltbereite "Thüringer Heimatschutz", aus dem später der terroristische NSU um Uwe Mundlos, Uwe Böhnhardt und Beate Zschäpe hervorgegangen ist.

Neonazi-Strukturen in Oberfranken aufgebaut

Der Kronacher CSU-Landtagsabgeordnete Jürgen Baumgärtner sagt sogar über Kai D., er habe die Neonazi-Strukturen vor allem in Oberfranken als Führungskader aufgebaut und für deren Radikalisierung gesorgt. Baumgärtner war in seiner Jugendzeit selbst aktiver Neonazi, ehe er sich offen distanzierte und heute in der Prävention tätig ist, um junge Menschen vor dem Abrutschen in die rechte Szene zu schützen. Baumgärtner meint sich noch zu erinnern, D. sei Ende der 1980er Jahre am Kronacher Szene-Treffpunkt aufgetaucht. "Er war viel älter und reifer als wir, anders gekleidet, und man spürte schon damals, dass der in den Landkreis Kronach Zugezogene eine Aufgabe hat. Der Aufstieg von (…) D. im System ging sehr schnell, weil er über finanzielle Mittel verfügte und durch seine Reife", heißt es in einer Akte, die dem Untersuchungsausschuss vorliegt.

Zusammenkünfte mit späterem NSU-Kerntrio

D. ist zu den Mittwochsstammtischen der thüringischen Neonazis gefahren und dort wohl auch auf das spätere NSU-Trio gestoßen, das in den Jahren 2000 und 2007 zehn Menschen in Deutschland aus rassistischen Motiven erschossen hat – neun Kleinunternehmer mit migrantischen Wurzeln und eine Polizistin. Allein drei der Morde geschahen in Nürnberg.

Tino Brandt, der den "Thüringer Heimatschutz" gegründet hatte, sagte im Untersuchungsausschuss, bei den "Führungsstammtischen" habe D. "die ersten zwei Jahre regelmäßig teilgenommen, also jedes zweite, dritte Treffen, aber später nicht mehr". D. jedoch gab an, dem NSU-Kerntrio nicht wissentlich begegnet zu sein.

Beate Zschäpe erinnert sich an V-Mann

Beate Zschäpe, die 2018 zu lebenslanger Haft verurteilt worden ist, konnte sich bei ihrer Befragung Ende Mai im Gefängnis durch die bayerischen Ausschussmitglieder an Kai D. erinnern. Als ihr ein Foto gezeigt wurde, auf dem D. zu sehen ist, sagt sie laut dem nun veröffentlichten Protokoll: "Der Hintere auf diesem Foto kommt mir nicht gänzlich unbekannt vor.... dieser dämliche Ausdruck von dem Hinteren, bilde ich mir ein, dass ich den kenne." D. war, davon sind der Ausschuss-Vorsitzende Toni Schuberl und der Augsburger Abgeordnete Cemal Bozoglu (beide Grüne) überzeugt, keine der üblichen Vertrauenspersonen (V-Leute), die der Geheimdienst in der Neonazi-Szene anwirbt und die gegen Geld Informationen liefern.

BR/NN-Rechercheteam machte Kai D. ausfindig

Der öfter arbeitslose D. habe sich vielmehr dem Verfassungsschutz selbst angeboten und sei als Privatperson mit einem bestimmten Auftrag erst in die Szene eingeschleust worden. So hatte das der Berliner Rechtsanwalt Sebastian Scharmer formuliert, der Opferfamilien vertritt. Kai D. habe als "privater verdeckter Ermittler" agiert, obwohl er in den Akten als V-Mann geführt worden sei, schreiben Schuberl und Bozoglu in ihrer persönlichen Stellungnahme zum Abschlussbericht. Das gemeinsame Rechercheteam von Bayerischem Rundfunk und "Nürnberger Nachrichten" hatte D. bereits vor fünf Jahren ausfindig gemacht und über ihn berichtet.

V-Mann spionierte linke Szene in Nürnberg aus

Welche Bedeutung das Bundesamt für Verfassungsschutz D. beigemessen hat, bleibt offen. Denn die Liste, die FDP-Mann Fischbach und die Grünen über seine Einsätze im gesamten Bundesgebiet angefordert hatten, ist durchwegs geschwärzt. Zu lesen sind lediglich die Worte: "Diese sind:". Deshalb ist besonders brisant, dass D. auch die links-alternative Szene in Nürnberg ausspioniert hat. Er gab im Ausschuss zu, dass er selbst im früheren "KOMM" am Hauptbahnhof gewesen ist.

Im ehemals selbstverwalteten Kommunikationszentrum, dem heutigen Künstlerhaus, hielten sich damals auch linksautonome Gruppen auf. D. sammelte dort Namen und Adressen von Antifaschistinnen und Antifaschisten, vor allem von jenen, die Busreisen für große Demonstrationen organisierten. Etwa, um gegen die Rudolf-Heß-Gedenkmärsche von Neonazis zu demonstrieren: Kai D. wiederum gehörte dem "Aktionskomitee Rudolf Heß" an und war 1996 Mitorganisator eines Umzugs für die rechte Szene in Worms. Auf diesem Heß-Gedenkmarsch liefen auch Zschäpe, Mundlos und Böhnhardt mit.

Namen von Antifa-Aktivisten an Rechtsextreme weitergeleitet

D. soll Namen, Bilder und Adressen der Linken nicht nur an den Verfassungsschutz, sondern auch an einen Nürnberger Anti-Antifa-Aktivisten und Rechtsextremen weitergeleitet haben, der sie in der Zeitschrift "Der Einblick" veröffentlichte, mit dem Hinweis, den "politischen Gegner ausschalten" zu wollen. D. bestreitet das, Ausschussmitglieder sehen dies aber als realistisch an.

Und: D. schleuste mit der Aktivistin Silke W. einen Spitzel in die linksextreme Szene ein, wie er zugab. Auf die Frage des Vorsitzenden Schuberl, ob der Verfassungsschutz für die Daten aus dem linken Bereich dankbar gewesen sei, sagte Kai D.: "Er hat sich nicht beklagt." Es habe zu seiner Pflicht gehört, diese Informationen weiterzugeben. Jedoch habe er seine Spitzel sofort abziehen müssen, als der Geheimdienst davon erfahren habe. Die Namenssammlung habe er auch an den niederländischen Neonazi-Führer Eite Homann sowie an den damaligen deutschen Neonazi-Führungskader Christian Worch nach Hamburg geschickt.

Im Ausschuss ungeklärt: War Kai D. bewaffnet?

Im Unklaren bleibt weiterhin, welchen Zugang Kai D. zu Waffen hatte. Für den Erlanger Landtagsabgeordneten Matthias Fischbach hat die Staatsregierung "durch überzogene Geheimhaltungsanforderungen und massiv eingeschränkte Aussage-Genehmigungen" die Aufklärung erschwert. So konnte der erste bayerische Untersuchungsausschuss im Jahr 2012/2013 in einer Akte des Verfassungsschutzes noch den Satz von D. (zu einer anderen Person) lesen: "Damit Du es gleich weißt, ich bin bewaffnet!" Und dass auf seinem Bett ein Schulterholster gelegen habe.

Der jetzige Ausschuss bekam das gleiche Dokument geschwärzt zugeleitet, mit dem Vermerk: "Behördlicher Methodenschutz". Dies wiederum wirft die Frage auf, ob der Geheimdienst seinen V-Mann bewaffnet hatte – und wenn ja, warum. Offenbar hatte es auch ein Ermittlungsverfahren gegen D. wegen eines Verstoßes gegen das Waffengesetz gegeben. Was hatte D. aus der Szene über Waffendeals mitbekommen, was davon seinen Vorgesetzten berichtet? Man wisse, dass D. "immer wieder einmal Informationen zum Thema Waffen erhalten hatte", sagen die Grünen.

V-Mann auf "Garagenliste" von NSU-Terroristen

Kai D., dessen damalige Mobilfunknummer auch auf der sogenannten Garagenliste des NSU mit möglichen Fluchthelfern stand, die nach Erkenntnissen der Ermittler Uwe Mundlos verfasst hatte, hatte sich in den Kreisen bewegt, in denen sich auch das NSU-Kerntrio aufhielt. D. betonte jedoch mehrfach, er sei bereits abgeschaltet gewesen, als Mundlos, Böhnhardt und Zschäpe 1998 in den Untergrund gingen, und habe von deren Radikalisierung nichts mitbekommen.

Im Ausschuss kam nun ein neuer Sachverhalt ans Licht: Durch das hartnäckige Nachbohren des FDP-Abgeordneten Matthias Fischbach, warum D. noch 1998 Zahlungen erhalten hatte, obwohl er angeblich gar keine Informationen mehr geliefert habe, musste der Verfassungsschutz einräumen, dass man den Abgeordneten acht von zehn Quellenberichten aus dieser Zeit nicht zur Verfügung gestellt hatte. Sie seien bei der digitalen Recherche zunächst nicht gefunden worden, hieß es zur Begründung. Einen Antrag von Fischbach, diese Merkwürdigkeit näher zu beleuchten, lehnten CSU und Freie Wähler mit ihrer Mehrheit ab.

Spitzel auch nach Auffliegen des NSU noch aktiv

Kai D. scheint seine Dienstherren beeindruckt zu haben. Wie aus den Akten hervorgeht, setzten ihn die Verfassungsschützer später erneut ein: Von Ende 2008 bis Juni 2009 soll er undercover im Milieu der organisierten Kriminalität tätig gewesen sein. Und als D., der wegen unterschiedlichster Delikte mehrfach mit dem Gesetz in Konflikt geraten war, 2012 in Nürnberg in Haft saß, nahm er Kontakt zu einem Staatsschutzkommissariat der Kriminalpolizei in Nürnberg auf, das auch V-Leute führt. Er wollte auf kriminelle Strukturen in der JVA hinweisen, heißt es in einem geheimen Aktenvermerk. Der häufig arbeitslose Kai D. hatte sein Auskommen gefunden: beim Inlandsgeheimdienst – und bei der Polizei.

Im Video: Welche Verbindungen hatte der NSU nach Nürnberg?

Blumen und Fotos der Opfer des NSU vor einem Ladengeschäft
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Blumen und Fotos der Opfer des NSU vor einem Ladengeschäft.

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