Bundesinnenminister Dobrindt hat die Zurückweisung aller Migranten ohne Papiere angeordnet.
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Grenzkontrollen Bundespolizei - Grenze zu Polen

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Zurückweisungen an den Grenzen – darf Deutschland das?

Zurückweisungen an den Grenzen – darf Deutschland das?

Der neue Kanzler stürzt sich in sein Wahlkampfversprechen: Die irreguläre Migration soll noch weiter sinken. Auch durch Zurückweisungen Asylsuchender an den Grenzen. Darf er das?

Über dieses Thema berichtet: BAYERN 3-Nachrichten am .

Kanzler Friedrich Merz (CDU) ist am Freitag beim Antrittsbesuch in Brüssel. Er weiß, dass einige Nachbarn gar nicht gut auf ihn zu sprechen sind. Grund sind die Zurückweisungen an den Grenzen, mit denen die Union unter dem Titel "Asylwende" Wahlkampf gemacht hatte. Merz versucht in Brüssel zu beruhigen: Die Maßnahmen seines Innenministers Dobrindt seien im Einklang mit europäischem Recht. Doch das glauben nicht alle.

Die Nachbarn sind verärgert

Die Nachbarländer finden die Aktion mindestens schwierig. Donald Tusk, Ministerpräsident von Polen, macht keinen Hehl aus seinem Ärger: Schärfere Kontrollen könne man ja nachvollziehen. Aber der Schengen-Raum müsse erhalten bleiben, sagt Tusk am Mittwoch. Kanzler Merz steht dabei direkt neben ihm. Österreich gibt sich konziliant im Ton, aber klar in der Sache. Außenministerin Beate Meinl-Reisinger begrüßt einen "neuen Weg", um "gemeinsam gegen illegale Migration vorzugehen". "Aber natürlich können wir das nur am Boden des europäischen Rechts machen." Und das habe man den deutschen Kollegen auch deutlich gemacht. Auch die Schweiz zeigt sich verärgert.

Wenn Deutschland die Grenzen für fast alle Migranten dichtmacht, muss das Nachbarland schauen, wie es sie unterbringt. Wenn nun noch Menschen zurückgewiesen werden, die in Deutschland Asyl beantragen wollten, vergrößert sich das Problem im Nachbarland, so die Sorge. Als wahrscheinlich gilt, dass einer der Nachbarn gegen Deutschland klagen wird.

Bundesinnenminister Alexander Dobrindt (CSU) versteht die Aufregung nicht: Man habe zugesichert, die Nachbarländer nicht zu überfordern. Aber die Asylsuchenden reisten ja aus einem sicheren Drittstaat nach Deutschland ein. "Die sind mindestens schon ein Land zu weit gegangen. Sie werden nicht verfolgt in unseren Nachbarländern", sagt Dobrindt am Donnerstagabend in der Talksendung "Maybrit Illner". Wenn Deutschland nun dicht macht, werde das das europäische System wieder "funktionsfähig" machen. Das Kalkül: Asylsuchende würden nicht mehr in dem Land, in dem sie europäischen Boden betreten, durchgelassen bis an die deutsche Grenze, sondern beantragen dort Asyl, wo sie ankommen. Von diesem versiegenden Binnenzustrom würden dann auch Deutschlands Nachbarn profitieren.

Im Video: Kontrollen - ein Lokalaugenschein an der Grenze zu Tschechien

Grenze Waidhaus zu Tschechien
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Grenze Waidhaus zu Tschechien

Asylsuchende abweisen: Geht das oder nicht?

Bislang galt: Wer an Deutschlands Grenze ein Asylgesuch stellt, darf ins Land und hat Anspruch darauf, solange im Land zu bleiben, bis die Prüfung abgeschlossen ist. Daran hat sich die Bundespolizei seit 2015 gehalten, als der damalige Innenminister Thomas de Maizière eine Weisung herausgab, um die Rechtslage zu erklären. Diese Weisung hat Dobrindt zurückgenommen.

Was heißt das? Vor allem, dass die Polizisten auch Asylsuchende zurückweisen können. Auch Dobrindt spricht stets von "können", nicht sollen oder müssen. Das ist der SPD-Bundestagsfraktion aufgefallen. Der Bundesinnenminister habe die Beamten nicht ausdrücklich angewiesen, Asylsuchende zurückzuweisen. Sonja Eichwede, stellvertretende SPD-Fraktionsvorsitzende, sieht darin das Problem. Die Beamten müssten nun selbst entscheiden. "Was juristisch eine schwierige Situation ist, weil es jetzt einen Ermessensspielraum gibt." Angewiesen wurden die Beamten aber, eine Ausnahme für "vulnerable Gruppen" zu machen. Etwa schwangere Frauen, Kinder oder offensichtlich kranke Personen könnten weiter ins Land in Erstaufnahmeeinrichtungen gebracht werden.

Auf welcher Rechtsgrundlage wird zurückgeschoben?

Das ist die Gretchenfrage. Bei seinem Antrittsbesuch am Freitag in Brüssel macht Bundeskanzler Merz klar, die Zurückweisungen stünden im Einklang mit europäischem Recht. Andere Juristen sagen dagegen, dass Zurückweisungen von Asylsuchenden gegen Europarecht verstoßen. Nach den EU-Bestimmungen der Dublin-Verordnung darf die Bundespolizei Asylbewerber nicht einfach an der Grenze zurückweisen. SPD-Fraktionsmitglied Sonja Eichwede sagt, das sei "eindeutig europarechtswidrig".

Die Notlage macht Zurückweisungen möglich

Es gibt aber eine Art Notlageklausel, von der die EU-Mitgliedsstaaten für sich Gebrauch machen können. Sie findet sich in Artikel 72 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV). Danach sind den Staaten Zurückweisungen an den Grenzen ausnahmsweise gestattet, wenn dies für "die Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung und den Schutz der inneren Sicherheit" erforderlich ist.

Merz hatte im vergangenen Sommer darauf hingewiesen, dass man eine "nationale Notlage" in puncto Migration erklären könnte. Schon damals war umstritten, ob die Asylzahlen ausreichen, um auf das Instrument zurückzugreifen. Seitdem sind die Asylzahlen noch weiter gesunken. Am Freitag erklärte Merz, es habe "niemand in der Bundesregierung, auch ich persönlich nicht, eine Notlage ausgerufen". Innenminister Dobrindt hatte allerdings bereits am Mittwoch, als er seinen Plan vorstellte, sehr wohl auch den Artikel 72 AEUV, also wohl die Notlageklausel, als eine der Rechtsgrundlagen genannt.

Rechtswissenschaftler: Notlage muss nicht ausgerufen werden

Von Notlage zu sprechen oder eine auszurufen, sei nicht nötig, um sich auf Artikel 72 zu berufen, erklärt der Konstanzer Rechtsprofessor und Migrationsexperte Daniel Thym bei X. Zu den Zurückweisungen von Asylbewerbern sagt Thym im Podcast "Ronzheimer": "Das macht man einfach. Und wenn dann jemand dagegen klagt, muss man vor Gericht." Dort komme dann die rechtliche Begründung auf den Prüfstand. Gut sei, auch vor diesem Hintergrund, dass es Ausnahmen für vulnerable Gruppen gebe. Dass Dobrindts Zurückweisungen vor Gericht geklärt werden, gilt den meisten Experten jedenfalls als sicher.

Im Video: Zurückweisung an der Grenze - Darf der Innenminister das?

08.05.2025, Brandenburg, Frankfurt an der Oder: Beamte der Bundespolizei stehen bei der Einreisekontrolle am deutsch-polnischen Grenzübergang Stadtbrücke. Wenige Stunden nach seinem Amtsantritt hat Bundesinnenminister Dobrindt entschieden, dass künftig auch Asylsuchende an den Landgrenzen zurückgewiesen werden können.
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Bundespolizei an der deutsch-polnischen Grenze

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