Sie mischte sich ein als öffentliche Intellektuelle, bezog Stellung zu den Kriegen in Vietnam und in Bosnien, auch zu 9/11, und nahm die amerikanische Gesellschaft unter die Lupe. 2003 hatte Susan Sontag den Friedenspreis des Deutschen Buchhandels erhalten, kurz vor ihrem Krebstod im Jahr 2004. "Everything Matters - Alles zählt", Sontags Motto liefert den Titel zur Ausstellung im Münchner Literaturhaus, und dort fallen einem sofort die legendären Listen der Essayistin ins Auge.
Literaturhausleiterin Tanja Graf erklärt, Susan Sontag habe zu allen Lebenszeiten Listen geführt: "Hier ist eine wunderbare Liste: 'Was ich mag und was ich nicht mag.' Was sie nicht mag: Haare waschen." Außerdem steht da noch: Cold Weather, Couples, Football Games und, überraschend: "being photographed", also, fotografiert zu werden. Ist das nun kokett oder ehrlich? Graf überlegt: "Was wir von Zeitzeugen gehört haben, war sie nicht besonders eitel, was ihr Äußeres betrifft, aber die berühmtesten Fotografen ihrer Zeit haben sie fotografiert."
Susan Sontag als fotogenes Glamourgirl
Die Denkerin mit dem dunklen Haarschopf als fotogenes Glamourgirl, so hat sich Susan Sontag in die Erinnerung eingeschrieben. Die Schönheit war Beigabe, mag ihr allerdings den Karrierestart erleichtert haben, wie Graf erzählt: Ihr Verleger Roger Strauß habe sie fast systematisch vermarktet. "Dazu gehört auch, dass sie nicht nur in den literarischen Zeitschriften erscheint, sondern auch im Playboy, in Vanity Fair, in der Vogue, weil er damit bezwecken wollte, dass sie von einem größeren Publikum entdeckt wird."
Sinn und Sinnlichkeit – das entsprach ohnehin Susan Sontags Wunsch, in ihrem weiträumigen Denken wahrgenommen zu werden. Ein Kinderfoto zeigt sie zwischen haushohen Kakteen in Arizona, wie eingepresst, das war eine viel zu enge Welt. Sie liest wie besessen schon als Jugendliche Weltliteratur: Dante, Goethe, James Joyce, Virginia Woolf, Simone de Beauvoir. So wird das Lesen zum Beginn ihrer Selbstfindung, analysiert Co-Kuratorin Anna Seethaler.
Enttäuschende Begegnung mit Thomas Mann
"Der Zauberberg" von Thomas Mann war ihr Lebensbuch. Eine Begegnung mit dem verehrten Schriftsteller verlief dennoch anders, als es sich die gerade frisch in eine Frau verliebte 17-Jährige vorstellte. Das Literaturhaus zeigt ihre Aufzeichnungen dazu als Faksimiles. Graf kommentiert: "Es war im Grunde eine Enttäuschung, weil sie sich etwas erhofft hat, Spiegelungen ihrer eigenen Gefühlsverwirrtheit, das hat er natürlich nicht preisgegeben".
Ein Blick in die Ausstellung "Everything Matters" im Münchner Literaturhaus
Filme, die Susan Sontag prägten, sind auf kleinen Bildschirmen zu sehen, zum Beispiel "Fahrstuhl zum Schafott". Die Ausstellungs-Architektur im Münchner Literaturhaus orientiert sich an New Yorks Hochhäusern. Die stilisierten Lebensstationen wirken wie aufragende Denkgebäude. Auf den Fassadenwänden laufen wie auf dem Times Square in New York LED-Billboards mit zweisprachigen Zitaten aus Sontags Essays. Das ist catchy und klug zugleich.
Sontags Essays weisen über ihre Zeit hinaus
Entscheidend in ihrem großen Werk – Susan Sontag war auch Schriftstellerin und Regisseurin – sind ihre Essays: "Against Interpretation" oder "Krankheit als Metapher". Das Leid Anderer sehen: Was passiert beim Betrachten auf Kriegsbildern, beim Leid von Menschen? Was würde Susan Sontag, die immer vor Ort eintraf als Zeugin, heute schreiben zur Ukraine, zum Krieg in Gaza, zu Amerika? Kuratorin Anna Seethaler findet über die Zeit hinausweisende Aussagen in ihrem Werk: "Da gibt es Sätze über die amerikanische Außenpolitik, dass niemand bezweifelt, dass Amerika stark ist, aber ob das denn alles sei, was Amerika zeigen müsse."
Man möchte sie sofort wieder lesen. Literaturhauschefin Tanja Graf attestiert Susan Sontag gerade jetzt bezwingende Aktualität: "Sie hat plädiert, sich nicht auf die Urteile anderer zu verlassen, sondern sich selbst ein Bild zu machen. Gleichzeitig war sie jemand, der sich allen Kategorien entzogen hat, sie wollte nicht als Feministin bezeichnet werden, dass sie Jüdin war, wollte sie nicht weiter kommunizieren, nichts was ihre Sexualität betrifft." Und das hält Tanja Graf vor allem als Appell an die jüngere Generation für sehr wichtig: "den Mut zu haben, sich selbst ein Urteil zu bilden."
"Everything matters", Ausstellung im Münchner Literaturhaus, 23. Mai bis 30.11. 2025
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