Elena sitzt nach vorne gebeugt an der Nähmaschine, drapiert Glitzersteine auf einem Eiskunstlauf-Kleid, die Kamera ist ganz nah bei ihr. So akribisch sie näht, so ehrgeizig beißt sie sich durchs Leben, erst in der Sowjetunion, inzwischen in Duisburg. Ihr Spitzname ist Kernkraftwerk. Sie hat drei Diplome, arbeitet als Ingenieurin - und auf dem Eis an ihren Pirouetten.
Eiskunstlauf als Metapher für das Leben
Elena ist eine von sechs Heldinnen und Helden in diesem Film, sie alle haben ein Ziel: die Hobbyweltmeisterschaft im Eiskunstlauf in Oberstdorf. Die Regisseurin Alexandra Sell erzählt ihren Weg dorthin: "Eiskunstlauf ist der schönste Sport der Welt. Das ist einfach für mich eine Metapher für unser ganzes Leben, es ist hart, es ist kalt, es tut weh, wenn man hinfällt. Und wichtig ist, dass man wieder aufsteht. Ich hab auf dem Eis so viel Wärme gefunden, wie noch nie zuvor irgendwo, die Leute sind einfach fantastisch."
Wirtschaftsprüfer Roland wurde mit zwölf auf einer West-Berliner Eisbahn entdeckt, doch sein Talent musste dem Ernst des Lebens weichen. Linda aus London schwänzte die Schule für die Eis-Disco und 1968 startete sie als dreifache britische Paarlaufmeisterin bei Olympia. Ein halbes Jahrhundert und zwei Schicksalsschläge später zieht Linda noch einmal die Schlittschuhe an: Mit Gefängniswärterin Nadia und London-Underground-Schaffner David gründete sie das erste Eis-Trio der Welt. Und dann ist da noch Toos aus den Niederlanden.
Goldmedaille für die Protagonisten
Sie wird immer von ihrem Mann Harm begleitet. Während sie mit 77 Jahren im holländischen Blumenmädchenkostüm in der Oberstdorfer Halle auf dem Eis trainiert, durchkämmt er im strömenden Regen das halbe Allgäu, um ihr Outfit zu komplettieren. Er schafft es, einem Haushaltswarenhändler die Plastiktulpen aus der Auslage abzuschwatzen und sie ihr an der Bande mit einem Küsschen zu überreichen. Zur Aufmunterung - denn auf dem Weg zum weltmeisterlichen Höhepunkt kommen Stürze und Tränen dazu.
Die Szenen sind herzerwärmend, die Bilder und Aussagen der Protagonisten stark. Einziger Schwachpunkt: Die oft recht blumigen Off-Texte. Und trotzdem: Was nach fast zwei Stunden im Gedächtnis bleibt, sind die berührenden Geschichten der Heldinnen und Helden im fortgeschrittenen Alter und ihre Liebe zum Eiskunstlauf. Die Goldmedaille geht an diese sechs Silver-Ager.
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