Uniformierte mit schusssicheren Westen vor der Basilius-Kathedrale
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Russische Nationalgardisten auf dem Roten Platz

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"Guter König, böse Bojaren": Putins Kampf gegen Frost und Frust

"Guter König, böse Bojaren": Putins Kampf gegen Frost und Frust

Tausende von russischen Haushalten müssen tagelang ohne Heizung auskommen. Es sei "unmöglich", alle defekten Rohre sofort zu sanieren, so der Kreml. Der Präsident lässt unterdessen ein Kraftwerk verstaatlichen - und Kommunalpolitiker rauswerfen.

Über dieses Thema berichtet: BR24 am .

Ausreden gibt es reichlich für die Probleme mit der Fernheizung in zahlreichen russischen Städten und Gemeinden, manche davon sind sogar recht unterhaltsam. Der Winter sei "wie immer unerwartet" über Russland hereingebrochen, hieß es von Spöttern. Dass die Leiterin der russischen Umweltagentur, Swetlana Radionowa, bei einem Treffen mit Putin zeitgleich ausgerechnet den Eisbär als Wappentier vorschlug, hatte allerdings nichts mit dem Kälteschock zu tun. Sie begründete das damit, es handle sich schließlich um das "intelligenteste Tier Russlands" und sei dessen ganzer Stolz: "Wir haben tatsächlich die Idee, den Eisbären zu einem Symbol zu machen, weil wir ja die Panda-Diplomatie kennen und wissen, was China mit seinem bedrohten Tier alles macht. Es scheint uns, dass wir dasselbe Recht haben: 30 Prozent der Eisbärenpopulation leben bei uns und wir jagen sie nicht. Im Gegensatz zu unseren Nachbarn vergeben wir keinerlei Jagderlaubnis."

"Unmöglich, alle Rohre zeitnah zu reparieren"

Das grenzte an unfreiwillige Realsatire, wo örtliche Behörden doch angesichts landesweit erkaltender Wohnungen von einem "stark erhöhten Verbrauch" als Ursache gesprochen hatten, während Kremlsprecher Dmitri Peskow einen "ungewöhnlichen Frosteinbruch" verantwortlich machte und einräumte, dass "ein gewisser Teil" der russischen Infrastruktur in einem "ziemlich heruntergekommenen Zustand" sei: "Die Sanierungsprogramme werden fortgesetzt, das geht aber nicht in 10 oder 15 Minuten. Es ist unmöglich, alle Rohre, alle Wohnungs- und kommunalen Dienstleistungseinrichtungen zeitnah zu reparieren, daher werden diese Programme natürlich nach und nach verlängert."

Die meteorologischen Herausforderungen würden jetzt auf höchster Ebene angepackt, war in ironischen Kommentaren zu lesen: "Der Feind ist gerissen, und er landete nicht dort, wo er erwartet wurde, sondern schlug heimlich vom Himmel aus durch den Angriff eines arktischen Wirbelsturms zu. Aber Russland hat sicherlich etwas parat, um auf eine solche Verletzung der 'roten Linien' durch General Frost zu reagieren."

Unterdessen posteten Spaßvögel Landkarten von "europäischen Städten, in denen die Menschen derzeit frieren" und zeigten den Großraum Moskau, wo es in etlichen Gemeinden zu Ausfällen kam, wie sogar die kremlnahe Nachrichtenagentur RIA Nowosti und die staatliche TASS berichteten. Putin persönlich schaltete nach Auffassung von Beobachtern wie dem Blogger Andrej Gusij in der Kältekrise auf "manuelle" Steuerung um, womit gemeint war, dass er sich Berichte von Gouverneuren anhörte und Kommunalpolitiker rauswerfen ließ, etwa den stellvertretenden Bürgermeister von Podolsk südlich von Moskau. Auch der dortige Chef des Heizkraftwerks musste gehen - wegen "der Erbringung von Dienstleistungen, die nicht den Anforderungen an die Sicherheit des Lebens und der Gesundheit der Verbraucher entsprechen", wie die staatliche Nachrichtenagentur TASS meldete. Von "Machtmissbrauch" war die Rede und davon, dass die Verantwortlichen "in Kenntnis der Mängel" falsche Bescheinigungen der Funktionstüchtigkeit ausgestellt hätten.

Für Putin ist die Privatisierung schuld

Während Blogger angesichts solcher Meldungen nicht von ungefähr klagten, korrupte Beamte seien am maroden Zustand der Infrastruktur schuld, ist der Kreml offenbar gegenteiliger Meinung. Er will das bisher private Heizkraftwerk in Podolsk verstaatlichen, damit "qualifiziertes Personal mit der Modernisierung" beginnen könne, wie es der zuständige Gouverneur Andrej Worobjow ausdrückte. Die Anlage steht auf dem Gelände einer Munitionsfabrik und musste wegen mehrerer Leitungslecks abgeschaltet werden, wodurch die Wärmezufuhr für 170 Mietshäuser zusammenbrach, rund 20.000 Menschen saßen in der Kälte.

Der Staatskonzern Rostec, der nach eigener Darstellung bereits 90 Prozent der russischen Munitionsproduktion verantwortet, teilte zur geplanten Verstaatlichung mit: "Dadurch werden die Erfüllung der Produktionsaufgaben und der sozialen Verpflichtungen des Werks sichergestellt und insgesamt die Ordnung im Unternehmen wiederhergestellt, einschließlich der Erhöhung des Arbeitsschutzniveaus." Russische Exilmedien wollten herausgefunden haben, dass die altersschwache Munitionsfabrik von Podolsk einem ehemaligen Bewacher Putins und einem zwielichtigen Geheimdienst-Oberst gehörte, der zeitweise der Organisierten Kriminalität von Moskau zuzurechnen gewesen sei.

Im Übrigen amüsierten sich Zeitgenossen darüber, dass die Stadt Podolsk noch vor Kurzem in der Kategorie "Durchbruch des Jahres" für "effektives Ressourcenmanagement" ausgezeichnet worden sei: "Das ist nicht lustig, das ist ungeheuer lustig."

"Revolutionen finden in Moskau statt"

Angesichts solcher Vorkommnisse wundert es nicht, das russische Meinungsforscher einen "starken Einbruch" bei der Zustimmung für Putin gemessen haben wollen und hochrangige Kreml-Insider über eine "inakzeptable Nachlässigkeit und Unfähigkeit" der untergeordneten Institutionen schimpften. Der Gouverneur der Region Moskau, Worobjow, sei offenbar nicht in der Lage, "Risiken einzuschätzen". Er habe keine gelbe, sondern eine "orangene" Karte verdient.

"Der Wahlkampfauftakt verlief für den Präsidenten erfolglos", bilanzierte ein Newsportal mit 150.000 Abonnenten nach der beschämenden Pannenserie: "Die negative Personalauswahl flog diesmal wie ein 'schwarzer Schwan' über die Region Moskau und entlarvte die völlige Inkompetenz des Teams von Gouverneur Worobjow überdeutlich. Ja, offenbar nicht nur seines Teams, sondern auch des Gouverneurs selbst. Bei solchen Gouverneuren werden bei der Wahl keine Oppositionskandidaten benötigt, sein eigenes Team wird die Beliebtheitswerte des Präsidenten ruinieren."

Blogger Dmitri Kolesew (60.000 Fans) machte sich darüber lustig, dass der Staatsmann Putin inzwischen mit den Eierpreisen und defekten Heizkraftwerken zu tun hat: "Die gefrostete Region Moskau ist für Putin gefährlich, weil sie ein potenzielles Risiko für Proteste, nicht irgendwo in der Ferne, sondern in der Hauptstadt birgt, worauf die russischen Behörden schon immer große Aufmerksamkeit gerichtet haben. Revolutionen finden nicht in Chabarowsk und Jekaterinburg statt, sondern in Moskau."

"Ich habe davor gewarnt"

Während Russland demnächst in das dritte Kriegsjahr gehe, zeige das System "erste Anzeichen von Ermüdung", so Kolesew: "Niemand kennt den Sicherheitsspielraum, auch Putin nicht: Hinter der Fassade eines gewissen Wohlstands verbirgt sich eine Menge maroder Infrastruktur, versteckte Kosten und angehäufte Fehler." Ähnlich bewertete Politologe Ilja Ananjew die Lage. Der Kreml "verbummele" weiterhin seine Zeit und gehe mit dem "Vorschlaghammer" und einem "Tritt" gegen Untergebene vor, aber nicht gegen die wahren Ursachen der Krise.

Igor Lipsits, Wirtschaftsfachmann an der Moskauer Uni, verwies in diesem Zusammenhang darauf, dass entgegen der Aussage von Kremlsprecher Peskow die staatlichen Ausgaben für die Wohnraumsanierung und kommunale Dienstleistungen in den kommenden zwei Jahren drastisch gekürzt würden, von umgerechnet rund neun Milliarden Euro auf nur noch knapp vier Milliarden im Jahr 2026. Das werde zu "massiven" Problemen bei der Infrastruktur führen: "Es kam ziemlich dick. Ich habe davor gewarnt, ist nun meine Logik nachvollziehbar?"

"Menschen hörten hartnäckig nicht zu"

Im Grunde habe sich seit der Sowjetunion an der Mentalität der Menschen nichts geändert, argumentiert der liberale Politikwissenschaftler Andrej Nikulin, es gelte weiter das Prinzip "guter König, böse Bojaren", wonach die Spitze keine Schuld trifft: "Appelle an die Behörden mit Beschwerden zu unpolitischen Themen galten damals jederzeit als akzeptabel – diese Tradition geht auf vorrevolutionäre Petitionen an höchste Kreise zurück. Zu Sowjetzeiten versuchten sie immer wieder, den Bürgern behutsam auseinanderzusetzen, dass sie sich an die unteren Behörden wenden müssten, ohne die höheren Instanzen mit ihren Beschwerden zu belästigen, die ohnehin 'nach unten' durchgereicht würden. Aber die Menschen hörten diesen Erklärungen hartnäckig nicht zu."

Offenbar gebe es in Russland einen "dringenden Reformbedarf auf nationaler Ebene", so Blogger Dmitri Sewrjukow, der aber gleichzeitig gestand, für eine "gesamtrussische Perestroika" sei die Zeit noch nicht reif, daher müssten sich einstweilen Kommunalbeamte mit den Problemen herumschlagen. Soziologe Ilja Paimuschkin verwies darauf, dass oftmals Neubaugebiete an die ohnehin schon mangelhafte alte Infrastruktur angeschlossen würden, was die Technik schlicht überfordere. Die Korruption sei allgegenwärtig: "Selbst in Großstädten wurden Pläne aufgedeckt, bei denen beispielsweise Rohre im Wasserversorgungssystem, deren Lebensdauer erschöpft war, nicht durch neue, sondern durch gebrauchte ersetzt wurden."

"Kaste bedeutet, dass Macht vererbt wird"

"Lasst alle Hoffnung fahren", fordert Politologe Konstantin Kalaschew sarkastisch in seinem Blog und zitiert dabei Dante. Es werde trotz aller Probleme keinerlei "Neustart" der russischen Elite geben: "Das System ist konservativ, die Elite ist etabliert und es gibt keine Motivation für eine Erneuerung. Die Herrschenden sind nicht einmal eine Klasse für sich, sie sind bereits eine Kaste. Kaste bedeutet, dass Macht, Geld, Ressourcen, Einfluss, der Platz in der Gesellschaft und in der Hierarchie vererbt werden."

Möglicherweise bleibt nur noch Galgenhumor, wie ihn Wadim Schumilin verbreitet: "Die Menschen in Russland freuen sich jeden Winter auf Schnee und Frost. Nach der Freude beklagen sie sich über Staus, vergießen Tränen, weil sie keinen Klempner finden, sind entsetzt über Unfälle mit Todesopfern, schimpfen über rutschige Gehwege und Brüche, beschweren sich über kalte Heizkörper. Damit Sie im nächsten November jammern können, als wäre nichts geschehen."

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