"Russland, das eine militärische Konfrontation mit einem nicht sehr starken Gegner nicht gewinnen kann, will sich auf einen Krieg mit fast der ganzen Welt vorbereiten. Meiner Meinung nach ist das nicht nur ein gefährliches, sondern auch ein aussichtsloses Spiel – aber offenbar sind die Behörden so sehr davon besessen, dass es besser ist, keinen Abbruch zu erwarten", schreibt der als "ausländischer Agent" gebrandmarkte russische Politologe Wladislaw Inosemtsew in seiner neuesten Analyse, [externer Link] die für den Kreml wenig schmeichelhaft ausfällt.
"Russland ist schwächer als die Sowjetunion"
Grund dafür: Die vergangenen Tage seien für Russland "ziemlich alarmierend" verlaufen, so Inosemtsew. Putins Verbündeter Iran sei "gedemütigt" worden, der Nato-Gipfel in Den Haag sei für die Ukraine "recht günstig" verlaufen. Im Übrigen verschärften sich Putins Haushaltsprobleme und das russische Parlament habe aufgrund dramatischen Personalmangels jetzt auch Ausländern und Staatenlosen ermöglicht, bei der Armee anzuheuern.
"Es ist kaum übersehbar, wie das Wettrüsten zu Sowjetzeiten endete – und seitdem hat sich vieles verändert, und fast alles nicht gerade zu unseren Gunsten: Russland ist heute schwächer als die Sowjetunion, technologisch nicht autark und hat zudem keine Verbündeten", so das Fazit des Politologen, der allerdings nicht mit einem "Zusammenbruch" der russischen Wirtschaft rechnet.
"Irgendwie erbärmlich und beängstigend"
Putin hatte sich wegen stark rückläufiger Öl- und Gaseinnahmen kürzlich gezwungen gesehen, drastische Haushaltskürzungen im nichtmilitärischen Bereich vorzunehmen [externer Link]. Das Defizit soll sich im laufenden Jahr verdreifachen. Beim St. Petersburger "International Economic Forum" (SPIEF) hatten russische Unternehmer und sogar Wirtschaftsminister Maxim Reschetnikow einhellig Rezessionsängste geäußert [externer Link], was Wirbel ausgelöst hatte.
"Ich möchte nicht mit Europa in Bezug auf Kriegsausgaben konkurrieren – die Kräfteverhältnisse sind zu ungleich", fasste einer der tonangebenden Kommentatoren seine Befürchtungen zusammen und ein weiterer schrieb [externer Link]: "Die Denkweise von Putin basiert auf der falschen Annahme, dass die Russische Föderation einen Krieg mit der westlichen Welt beginnen und militärische Aktionen in Europa entfesseln könnte."
Das sei "irgendwie erbärmlich und beängstigend": "Denn während der Spezialoperation haben wir bereits eine Million Soldaten verloren, und der Kremlchef erzählt jungen Offizieren irgendwelche Märchen."
"War es das alles wert?"
Pessimistisch ist auch Politologe Andrei Nikulin [externer Link]: "Selbst wenn es uns in zehn Jahren nach einer Reihe von Krisen und Schicksalsschlägen gelingt, den Ring der Sanktionsblockade zu durchbrechen, werden wir geschwächt, technologisch zurückgeblieben und ausgegrenzt dastehen. Es stellt sich natürlich die Frage: War das alles den zehnjährigen Rückstand gegenüber dem Rest der Welt wert?"
Der gut versorgte Kreml werde die Frage natürlich bejahen: "Aber der Rest, die einfachen Leute, die die Hauptlast des Geschehens tragen, sollte über die Antwort nachdenken. Wenn nicht für sich selbst, dann zumindest für ihre Kinder und Enkel."
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Gleichzeitig sind kremlfreundliche Blogger beunruhigt über jüngste Äußerungen Trumps, der behauptet hatte, der Ukraine-Krieg sei "außer Kontrolle" geraten. "Es ist offensichtlich, dass sich der US-Präsident nach dem Eingreifen im Iran aus Russlands Sicht zum Schlechteren verändert", argumentiert Kommentator Dmitri Sewrjukow [externer Link]: "Das bedeutet, dass weder die geopolitische Lage noch die ukrainische Front für Russland einfacher werden, sondern dass es an der Zeit ist, etwas an der aktuellen Situation zu ändern, bevor sie sich endgültig ins Unendliche fortsetzt und das Potenzial des Staates schwächt."
"Nato sollte Putin Denkmal setzen"
"Generell fällt auf, dass der Optimismus hinsichtlich der Wiederherstellung der russisch-amerikanischen Beziehungen deutlich zurückgeht", so Dmitri Drise [externer Link], der Chefkolumnist des Wirtschaftsblatts "Kommersant".
Der kremlkritische Polit-Blogger Anatoli Nesmijan spottete [externer Link]: "Die Nato hatte keine Perspektive. Putin gab ihr diese Perspektiven. Wenn das Ziel darin bestand, die Nato zu zerstören, dann gab es überhaupt keinen Grund zu handeln – das Bündnis lag im Sterben, ohne Ziele. Unser Präsident half den Nato-Partnern, indem er ihnen diese Ziele gab. Die Nato hatte wieder einen Feind, Adrenalin floss durch ihre Adern, das Sterbende erwachte zum Leben." Eigentlich müsse das Militärbündnis Putin irgendwann ein Denkmal setzen – oder zumindest eine Büste.
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