Babyschuhe aus Leder, eine Schnabeltasse in Tierform oder die Tunika eines etwa 4-jährigen Kindes: bestickt mit entenartigen Tieren und mehrfach geflickt, woran man erkennt, wie wertvoll Kleidung damals war: Die Ausstellung "Kindheit am Nil" macht das Leben von Kindern vor mehr als 2.000 Jahren greifbar. Besonders wichtig ist natürlich die Frage: Womit hat man damals gespielt? "Man kann davon ausgehen, dass die Kinder vor allem mit Bällen und Tierfigürchen gespielt haben", sagt Kuratorin Mélanie Flossmann-Schütze. In einer Vitrine sieht man zum Beispiel die innere Füllung von Lederbällen aus Bast oder Schilf.
Lederbälle und Federmäppchen
Wie viel die Kinder im Alten Ägypten am Ende wirklich spielen konnten, hing davon ab, in welche Schicht sie geboren wurden: Kinder von Bauern und Handwerkern mussten früh bei der Ernte mithelfen, im Haushalt, oder in der Werkstatt des Vaters, die meisten Mädchen wurden zwischen 12 und 15 Jahren verheiratet.
"Wir wissen, dass Kinder teilweise in prekären Verhältnissen aufgewachsen sind", sagt Museumsdirektor Arnulf Schlüter. "Man kann heute den Gesundheitszustand von Kindern anhand der mumifizierten Leichen sehr gut untersuchen, deshalb wissen wir, dass manche Kinder in frühestem Alter zum Teil schwer arbeiten mussten, das kann man an Verformungen am Skelett sehen, manche waren auch mangelernährt. Wir neigen dazu, alles aus dem Alten Ägypten zu idealisieren, weil wir natürlich begeistert sind von der Architektur und der Kunst, in der Realität hat es phasenweise und auch für bestimmte Bevölkerungsgruppen ganz anders ausgesehen."
Altägyptische Ordnung: Meldescheine und Ammenverträge
Auch schriftliche Quellen erzählen von der Kindheit am Nil: In einer Geburtsanzeige meldet eine Mutter vier Kinder zwischen 4 und 6 Jahren gleichzeitig an: Die hohe Kindersterblichkeit machte es sinnvoll, das nicht gleich nach der Geburt zu machen. Großartig: die Einladung zu einer Geburtstagsfeier, in der mitgeteilt wird, was die Verwandten schenken oder zum Essen mitbringen sollten, nämlich Nüsse, Äpfel und Honigkuchen. Ebenfalls sehr erhellend: ein Ammenvertrag. Mélanie Flossmann-Schütze weiß, was drin steht: "In diesen Ammenverträgen wird sehr detailliert das monatliche Gehalt geregelt und dann wird aber auch festgehalten, wie sich die Amme in dieser Zeit zu verhalten hat: Sie darf kein anderes Kind stillen, sie darf nicht schwanger werden und sie darf auch mit keinem anderen Mann den Geschlechtsverkehr durchführen."
Ausstellungsansicht "Kindheit am Nil" im Ägyptischen Museum München
Natürlich ist die Schau als Familienausstellung konzipiert, Kinder können in die Nachahmung einer altägyptischen Tunika schlüpfen, mit UV-Taschenlampen nach Geheimzeichen suchen, an Hörstationen Märchen aus der verkehrten Welt anhören. Aber nicht nur Kinder, auch Erwachsene werden in dieser Schau mit allen Sinnen angesprochen: An mehreren Duftstationen kann man unter anderem das Parfum der Göttin Hathor riechen, eine Mischung aus Johannisbrotbaum, Mohnkapseln, Styraxrinde und -harz, Myrre und Nussgras.
Einmal riechen bitte: So roch das Alte Ägypten
"Kindheit am Nil" ist so sinnlich, klar und spielerisch, wie man es sich nur wünschen kann. Dabei werden die negativen Aspekte des Themas nicht verschwiegen: viele Informationen über die Kindheit im Alten Ägypten stammen aus Gräbern, denn die Kindersterblichkeit war hoch. Ramses II. hatte um die 100 Kinder, aber erst sein 13. Sohn wurde sein Nachfolger – alle anderen starben vor ihm. In der Schau zu sehen sind etwa eine aufwändig gewickelte Kindermumie und ein winziger Kindersarg: Das Mädchen darin starb vermutlich gemeinsam mit der Mutter bei der Geburt: die farbige Bemalung zeigt die beiden als Mumie. Ganz kleine, noch nicht entwöhnte Kinder wurden oft direkt unter dem Haus bestattet, damit sie näher bei der Mutter bleiben konnten.
Amulette mit Zaubersprüchen sollten die Kinder vor Krankheit und Tod schützen. In einer Vitrine liegen zwei gebogene Zaubermesser aus Nilpferd-Elfenbein mit magischen Wesen darauf. Ob man sie den Schwangeren auf den Bauch gelegt oder damit einen magischen Schutzkreis um das Geburtsbett herum gezogen hat, ist allerdings unklar. Und das ist das Schönste an der Ägyptologie: Ein paar ungelöste Rätsel sind für angehende Forscher noch übrig!
"Kindheit am Nil: Aufwachsen im Alten Ägypten": Bis 21. Juni 2026 im Staatlichen Museum Ägyptischer Kunst in München.
Kindersarg der Nefretiri
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