Die Bavaria mit zwei Frauen im Dirndl im Vordergrund (Archivbild).
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Das Dirndl: Kleidungsstück nur für Bayern?
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Kulturelle Aneignung: Dürfen etwa nur Bayerinnen Dirndl tragen?

Kulturelle Aneignung: Dürfen etwa nur Bayerinnen Dirndl tragen?

In der Mode wird immer wieder der Vorwurf der kulturellen Aneignung erhoben. Ließe sich der nicht auch auf Wiesn-Touristen anwenden, die in Lederhosen und Dirndl aufs Oktoberfest gehen? Ein Erklärungsversuch.

Über dieses Thema berichtet: Bayern 2 Kulturleben am .

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"Wenn die ganze Welt in bayerischer Tracht rumläuft, ist das dann keine kulturelle Aneignung?" So und so ähnlich fragten "Chiemseekatze" und andere BR24-User in der Kommentarspalte. Anlass war der Streit um eine Sandale, die Adidas herausgebracht hatte. Diese sieht einem traditionellen Modell aus der mexikanischen Gemeinde Villa Hidalgo Yalálag zum Verwechseln ähnlich – und hatte der Firma den Vorwurf der kulturellen Aneignung eingebracht, den diese auch eingestand und um Entschuldigung bat.

Aus Sicht der beschwerdeführenden mexikanischen Politiker hatte es sich um einen klassischen Fall von Groß gegen Klein gehandelt: Ein internationaler, westlicher Konzern gegen eine indigene Bevölkerung. Die BR24-User fragten nun: Wenn Tausende von ausländischen Wiesn-Besucherinnen ein Dirndl tragen, ist das dann nicht auch eine Form von kultureller Aneignung, also geistigem Diebstahl?

So authentisch wie Halloween

Auch wenn im Dirndl-Fall das Großkonzern-gegen-Indigene-Machtgefälle wohl wegfällt: Auf dem Oktoberfest tragen Menschen Kleidungsstücke, die nicht aus ihrer Heimatregion stammen. Das gilt allerdings auch schon für Franken, Preußen und andere "Zuagroaste". Was insbesondere das Dirndl angeht, handelt es sich sowieso um eine Erfindung des 19. Jahrhunderts. Es ist also weder authentisch bayerisch noch Teil einer uralten Volkstradition.

Durchgesetzt hatte es eine städtische Oberschicht, die es bei ihren Landausflügen trug. Authentische Münchner Kleidung jener Jahre waren lange Bratenröcke bei Männern und bei den Damen Kleider, die sich eher nach Paris als nach Pfaffenhofen orientierten. Das heißt: Das Dirndl für die Wiesn ist so natürlich wie Halloween für den bayerischen Festkalender.

Und auch heute ist das Dirndl als Wiesn-Klamotte eher ein Phänomen der vergangenen 20 Jahre – und selbst das eher bei all jenen, die von auswärts kommen. Ur-Münchner reagierten in den ersten Jahren eher befremdet auf den Trend, viele gehen auch heute noch stolz in Alltagsklamotte auf die Wiesn, wie es sich laut ihnen für "echte Münchner" gehört.

Allesfresser Mode

Tatsächlich ist der Vorwurf der kulturellen Aneignung bei Mode besonders schwierig zu begründen. Die Grenzen des Aneignungs-Begriffs sind seit jeher nicht klar definiert, oft eher eine Frage von Anstand und Respekt, nicht von klaren Ge- und Verboten. Mode ist und war immer ein Allesfresser.

Schon die frühesten Zeugnisse über Kleidung zeigen, dass Menschen sich gerne fremder Einflüsse bedient haben. Schon in Byzanz haben die Einheimischen im fünften Jahrhundert begonnen, plötzlich von Fibeln gehaltene bunte Umhänge zu tragen. Weil sie die an der gotischen Leibwache des Kaisers gesehen hatten. Um 1900 gab es dann etwa die Mode des Orientalismus: Männer in Paris, London und Berlin trugen zuhause einen Fes, die im Osmanischen Reich verbreitete Kopfbedeckung.

Trachten waren beständiger und veränderten sich nicht so schnell wie die Kollektionen der Modemacher heute. Der Grund lag dabei aber nicht im bewussten Bewahren einer bestimmten Tradition, eines bestimmten Aussehens. Es handelte sich viel mehr um eine Kostenfrage: Trachten waren aufwändig in der Herstellung und teuer, sodass sie nicht ständig ausgewechselt und erneuert werden konnten. In vielen überlieferten Testamenten wurden deswegen sämtliche Trachten-Kleidungsstücke aufgelistet.

Sind wir nicht alle ein bisschen "mia"?

Modehistorisch sind Dirndl und Lederhose heute eher vergleichbar mit dem Dinner-Jackett, also einem Kleidungsstück, das für eine ganz bestimmte Zeit und Gelegenheit vorbehalten ist. Sie passen für genau zwei Wochen bis zum Ende des Oktoberfests ausnahmsweise auch als Bürobekleidung, für den Besuch der Wiesn sind sie mittlerweile fast schon ein Must-have. Mit ihnen drücken wir nichts Bayerisches aus, sondern die Zugehörigkeit zu einer Partymeute. Wir zeigen visuell: Wir wollen mitmachen, mitsingen, mitfeiern, gelegentlich auch mit abstürzen.

Die Botschaft von Dirndl und Lederhose ist also nicht: "Mia san mia". Das Beste an der Wiesn ist ja sowieso, dass dabei alle ein bisschen "mia" sind – egal welcher Hautfarbe, Herkunft und Sprache. "Soll doch jeder nach seiner Façon glücklich werden", ist ein guter Rat vom Preußen Friedrich II. Die Bayern bringen es auf eine wesentlich schlankere Formel: "Passt scho".

Oktoberfest: Unser BreznBot beantwortet Eure Fragen zur Wiesn

Im Video: Kulturelle Aneignung – worüber regen sich die Leute eigentlich auf?

Zwei Menschen mit Rastas, Dreadlocks; rechts Moderator Ramo Ali
Bildrechte: picture-alliance/dpa, colourbox.com, Montage: BR
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RESPEKT "Kulturelle Aneignung"

Dieser Artikel ist erstmals am 22. September 2025 auf BR24 erschienen. Das Thema ist weiterhin aktuell. Daher haben wir diesen Artikel erneut publiziert.

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