Die beiden Politiker beim Handschlag
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Bessere Zeiten: Aserbaidschans Staatschef Alijew (links) mit Putin im Oktober 2022 bei einem Treffen in Kasachstan
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Bessere Zeiten: Aserbaidschans Staatschef Alijew (links) mit Putin im Oktober 2022 bei einem Treffen in Kasachstan

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"Nützt sowieso nichts": Verliert Putin weiteren "Partner"?

"Nützt sowieso nichts": Verliert Putin weiteren "Partner"?

Nach der Festnahme von rund 50 Aserbaidschanern im russischen Jekaterinburg im Zusammenhang mit Mord-Ermittlungen ist das Verhältnis zwischen Moskau und Baku schwer gestört. Politologen sprechen von einem postsowjetischen "Zerfallsprozess".

Über dieses Thema berichtet: BR24 am .

"Die ehemaligen sowjetischen Republiken sind es leid, dass Moskau sich bei ihnen einschmeichelt, sie manipuliert, Truppen schickt oder gar den Notstand ausruft und damit alle früheren Versprechen und Angebote zunichtemacht. Und Moskau hat es satt, dass in diesen Republiken alles zu kompliziert und unverständlich ist. Daher ist es einfacher, sie zu vergessen und loszulassen, es nützt sowieso nichts", so der St. Petersburger Politologe Michael Winogradow [externer Link] zur aktuellen Krise der Beziehungen zwischen Russland und Aserbaidschan.

"Terror nach innen, Aggression nach außen"

Grund für die politische Entfremdung: In Jekaterinburg hatten russische Sicherheitskräfte am 27. Juni bei einer Razzia rund fünfzig Aserbaidschaner festgenommen [externer Link] und behauptet, es sei dabei um Ermittlungen gegen eine "ethnische kriminelle Gruppe" gegangen, die an einer Reihe von Morden und Mordversuchen beteiligt gewesen sei. Die aserbaidschanische Regierung reagierte scharf, nahm im Gegenzug russische Staatsbürger fest, die angeblich an "Drogengeschäften" beteiligt oder für den russischen Geheimdienst tätig gewesen seien.

Die russischen Kriegsblogger und Ultrapatrioten zeigten sich empört über Baku und forderten Vergeltung, Politologen verwiesen dagegen auf einen "Zerfallsprozess" unter den ehemaligen Republiken der UdSSR und warfen dem russischen Außenministerium ein Totalversagen vor.

Der kremlkritische Kommentator Anatoli Nesmijan schrieb [externer Link]: "Russland hätte einen großen Teil des postsowjetischen Raumes zurückgewinnen können, wenn es ein für alle attraktives Integrationsprojekt angeboten und selbst eine Entwicklung aufgezeigt hätte. Das Projekt scheiterte, ebenso wie die Entwicklungsperspektive, und das Bild des heutigen Russlands, das Terror im Inland und Aggression über seine Grenzen hinaus fördert, ist eindeutig nicht das Bild, in das sich die ehemaligen Republiken der Union einfügen wollen."

"Kleine Brüder oder gar potentielle Beute"

Ähnlich beurteilt Politikwissenschaftler Ilja Graschtschenkow die Lage [externer Link]: "Russland verschlechtert seine Beziehungen zu den ehemaligen Sowjetrepubliken weiter. Nach der Abkühlung der Beziehungen zu Kasachstan und Usbekistan, Armenien und Moldawien nun auch die zu Aserbaidschan. Neben formalen Widersprüchen fordern sie alle Respekt und Beziehungen als souveräne Staaten und nicht als kleine Brüder oder gar potentielle Beute."

Graschtschenkow rät dem Kreml, sich im Umgang mit seinen postsowjetischen Nachbarn mehr an der "klugen chinesischen Diplomatie" zu orientieren, die "nach Gleichgewicht und nicht nach Dominanz" strebe. Putin habe bei seiner vielfach geäußerten Forderung nach globaler "Multipolarität" übersehen, dass es auch eine regionale Multipolarität gebe. Der Westen, die Türkei und China nutzten ihre Chance, ihren Einfluss im Kaukasus und Zentralasien zu verstärken.

"Brüderliche Umarmung gefällt nicht jedem"

"Es scheint, dass Russland immer größere Schwierigkeiten mit seinen Verbündeten hat", so Dimitri Drise [externer Link], der Chefkommentator des Wirtschaftsblatts "Kommersant" und nennt neben Aserbaidschan auch Entfremdungsprozesse zwischen Moskau und Serbien, Georgien und Belarus.

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"All das kann als Teil der großen Politik des Westens – und vielleicht nicht nur des Westens – betrachtet werden, Russland einzudämmen und seinen Einfluss auch auf die Nachbarländer zu begrenzen", so Drise: "Manchmal scheint es jedoch, als hätte der feindselige Westen damit überhaupt nichts zu tun. Der Versuch, die ehemaligen Sowjetrepubliken in eine große 'brüderliche Umarmung' zu nehmen und unabhängigen Staaten Bedingungen zu diktieren – das wird nicht jedem dort gefallen."

"Damals endete alles nicht gut"

Politologe Andrei Kalitin zog das pessimistische Fazit [externer Link]: "Der Kreml hat immer weniger Verbündete. Wollten sie eine 'belagerte Festung' werden? Nun, sie sind auf dem besten Wege dahin." Ohne Verbündete an seinen Grenzen werde Russland in ein Wettrüsten und einen neuen Kalten Krieg hineingezogen: "Eine Wiederholung des Szenarios der 1980er Jahre. Damals endete alles nicht gut."

Militärblogger Roman Aljechin spottete [externer Link], offenbar sei das russische Geld für "soft power", also Propagandamaßnahmen, fehlinvestiert worden: "Ist das nicht ein Versagen der Experten, die für die Förderung der russischen Interessen zuständig sind? Warum haben sie versagt? Weil sie keine Profis im Umgang mit den PR-Werkzeugen sind? Oder weil sie zu gute Profis im Umgang mit Budgets und geschönten Berichten sind? Sind doch einfache Fragen, oder?"

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