Fröhliches Mädchen, mit Perlen geschmückt
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Pipilotti Rist: Pepperminta (Jumps Out of the Box) (Film-Still), 2009
Bildrechte: VG Bild-Kunst Bonn, 2025 / Courtesy Sammlung Goetz, Medienkunst, München
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Bildrechte: VG Bild-Kunst Bonn, 2025 / Courtesy Sammlung Goetz, Medienkunst, München
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Pipilotti Rist: Pepperminta (Jumps Out of the Box) (Film-Still), 2009

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Punkte und Körper: Yayoi Kusama und Pipilotti Rist in Nürnberg

Punkte und Körper: Yayoi Kusama und Pipilotti Rist in Nürnberg

Die Japanerin Yayoi Kusama überzieht Menschen, Tiere und Dinge mit Punkten. Die Schweizerin Pipilotti Rist ist Videokünstlerin, bekannt für ihren freien Umgang mit Körpern. Das Neue Museum Nürnberg zeigt nun beide Künstlerinnen in einer Ausstellung.

Über dieses Thema berichtet: Bayern 2 Die Welt am Morgen am .

Ein nackter Frauenkörper im Wald, im schattigen Unterholz liegt die Frau mitten im Laub auf dem Rücken. Die Kamera fährt dicht über den Körper hinweg, von den blonden Haaren über das Gesicht mit den geschlossenen Augen, am Hals entlang und zwischen den Brüsten, an der Scham vorbei und hinab bis zu den Füßen. Der gesamte Körper ist mit leuchtenden Edelsteinen belegt. "Blauer Leibesbrief" heißt das Video von Pipilotti Rist. Die Situation könnte verstörend sein, doch alles wirkt entspannt und friedlich. Ein geschmückter Körper inmitten der Natur.

Direkt gegenüber eine Installation von Yayoi Kusama: Ein Tisch und zwei Stühle, über und über bedeckt mit prall gefüllten Handschuhen, so dass sich ihre Finger als phallusartige Wülste zeigen. Dazwischen Kannen und Teetassen und zwei Tafelaufsätze mit allerlei Früchten und Maiskolben: ein in seiner Üppigkeit barock wirkendes Ensemble in Rot und Weiß, strotzend vor Energie, aber auch ein bisschen gruselig, wie da Hunderte Hände aus den Möbeln wachsen.

Erkundungen von Körper und Raum

"Pipilotti Rist arbeitet mit audiovisuellen Medien und bei Yayoi Kusama ist es die gesamte Bandbreite: Da gibt es Malerei, Installationen, Skulpturen, Collagen, auch audiovisuelle Medien, aber die stehen nicht im Vordergrund", sagt Kunsthistorikerin Cornelia Gockel von der Sammlung Goetz in München [externer Link]. Sie hatte die Idee, Pipilotti Rist und Yayoi Kusama zusammen auszustellen.

Auf den ersten Blick erscheinen die beiden Künstlerinnen sehr unterschiedlich. Yayoi Kusama wurde sehr konservativ erzogen, in den 60ern ging sie nach New York. Seit fast 50 Jahren lebt die 96-Jährige freiwillig in einer psychiatrischen Einrichtung in Tokyo. Bekannt ist sie vor allem für ihre Polka-Dots. Die Ausstellung zeigt zwei ihrer gelben Kürbisobjekte aus Pappmaschee in einem kistenartigen Holzrahmen, sowohl Kürbis als auch Rahmen sind übersät mit schwarzen Punkten.

Bildrechte: Yayoi Kusama / Foto Walter Bayer, Courtesy Sammlung Goetz, München
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Yayoi Kusama, A PUMPKIN, 1991

"Die Punkte gehen zurück auf Yayoi Kusamas Halluzinationen, die hat sie schon im Alter von zehn Jahren gehabt", erklärt Cornelia Gockel. "Sie beschreibt in ihrer Biografie, dass ihre Mutter sie gezwungen hat, ihrem Vater hinterher zu spionieren und dass das bei ihr das Ängste ausgelöst hat und sie dadurch dann diese Halluzinationen hatte, dass die ganze Welt voller Punkte war, Menschen, Tiere und die Umgebung. Das war einerseits für sie eine sehr beängstigende Erfahrung und andererseits hat sie auch dann die Vorstellung gehabt, dass es keine Grenzen mehr gibt, dass die Punkte alles auflösen und die ganze Welt eine große Einheit bildet."

Von der Halluzination zur großen Kunst

Mit Punkten übersät wird alles zur Fläche, zum Muster, die Dinge verbinden sich miteinander, Grenzen und Räume lösen sich auf. "Kusama‘s Self-Obliteration" – Selbstauslöschung – heißt der Experimentalfilm, der Kusamas Performances und Nackt-Happenings aus ihrer Zeit in New York dokumentiert. Stellenweise handelt es sich um Orgien mit Körpern voller Punkte.

Den freien Umgang mit Nacktheit und Sex musste sich Yayoi Kusama erst erarbeiten, das merkt man ihrer Kunst an. Ihre mit phallischen Stoffgebilden übersäten Möbel, Kleidungsstücke oder Räume wirken ein bisschen zwanghaft.

Bildrechte: YAYOI KUSAMA, Courtesy Sammlung Goetz, Medienkunst, München
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Yayoi Kusama, Walking Piece (Detail), 1966

Bei Rist ist Freiheit die Werkseinstellung. Ihr Künstlername bezieht sich auf Pippi Langstrumpf, Sinnbild von Mut, Stärke, Eigenständigkeit und Phantasie. Alles bei Rist wirkt leicht und spielerisch. Ihre Erkundungen des weiblichen Körpers hinterfragen gesellschaftliche Vorstellungen von Sexualität, Geschlecht und Identität – und verbreiten dabei nonchalant gute Laune. Da ist etwa ihr "Pickelporno": Zwei sich liebkosende Menschen: Hände auf Haut, Haut auf Haut, extreme Close-Ups aller denkbaren Körperteile, ungewohnte Blickwinkel, das ganze digital zusammengesetzt mit Bildern von Blumen, Wolken, Geröllhaufen, Vulkanausbrüchen.

Überraschende Parallelen

Bei allen Unterschieden gibt es doch erstaunliche Parallelen zwischen den Künstlerinnen. Da ist etwa Pipilotti Rists "Blutraum" mit einem Video, in dem rote Farbe aus einer Frau strömt. Mit traumwandlerischer Sicherheit schafft Rist es, das Ganze nicht eklig, sondern empowernd darzustellen. Direkt daneben ein frühes Gemälde von Yayoi Kusama voller kleiner roter Strukturen, die an rote Blutplättchen erinnern.

"Das finde ich total spannend zu sehen, dass so etwas wie das Thema Blut und dann auch speziell so eine Ästhetik des roten Blutkörperchens bei beiden Künstlerinnen erscheint", sagt Simone Schimpf, Direktorin des Neuen Museums Nürnberg [externer Link]. "Überhaupt die Faszination für die Farbe Rot, die natürlich sehr aufgeladen ist, schon immer, das ist Leben, das ist Liebe, das ist Lust, das ist aber auch Leid und Tod. Rot bündelt ganz viel und bei beiden taucht das unterschiedlich auf und springt das immer hin und her, also es ist ein roter Faden in dieser ganzen Ausstellung."

Bildrechte: Pipilotti Rist, VG Bild-Kunst Bonn, 2024/25 / Courtesy Sammlung Goetz, München
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Pipilotti Rist: "Blutraum", 1992-98 (Filmstill)

Kunst, in der man sich verlieren kann

Zentral in der Ausstellung platziert: "Liberty Statue of Löndön" von Pipilotti Rist, ein riesiger Kubus mit goldenen Vorhängen. Im Inneren laden eine plüschige Plattform und Samtkissen zum Fläzen ein. Das Video, das in einem Wald spielt, wird über Spiegel so zwischen Decke und Boden projiziert, dass sich der Raum aufzulösen scheint. Man kann sich im Werk verlieren, kann eintauchen in diesen Wald. Kusamas Auflösung des eigenen Körpers im Universum scheint in dieser Arbeit von Pipilotti Rist bis auf das Publikum ausgedehnt.

Es macht Spaß, die Gemeinsamkeiten zwischen den Künstlerinnen zu entdecken, zugleich öffnet die überraschende Kombination die Augen für jede einzelne von ihnen. Eine gelungene Ausstellung, der man zum 25. Jubiläum des Neuen Museums Nürnberg viele Besucher wünscht.

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