Bei einer Aufsichtsratssitzung des Bolschoi-Theaters im Mai 2025
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Unter Druck: Russische Notenbankchefin Elvira Nabiullina
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"Traurige Wahrheit": Darum streiten Russen um Banknoten-Design

"Traurige Wahrheit": Darum streiten Russen um Banknoten-Design

Die russische Zentralbank will die 500-Rubelbanknote neu gestalten und stellte Motive zur Abstimmung, darunter die tschetschenische Hauptstadt Grosny. Das empörte nicht nur Nationalisten, Politologen warnen vor "ernsthaftem Konfliktpotential".

Über dieses Thema berichtet: BR24 am .

"Der Fall der Abstimmung über das moralische und ästhetische Erscheinungsbild des 500-Rubel-Scheins [umgerechnet ca. fünf Euro] hat leider einmal mehr bewiesen, dass unsere Gesellschaft für Wahlen als Entscheidungsmethode noch nicht reif genug ist. Wir sollten der Zentralbank danken, dass sie uns erneut die Augen für eine traurige Wahrheit geöffnet hat", so das bittere Fazit eines anonymen russischen Politbloggers [externer Link] zum derzeit aktuellsten inländischen Streitthema.

Fast wortgleich äußerte sich der russische Politologe Ilja Graschtschenkow [externer Link]: "Die Online-Abstimmung über den neuen Fünfhundert-Rubel-Schein entlarvte Russlands politische Realität. Was könnte technischer und unpolitischer sein als die Wahl des Designs einer neuen Banknote? Doch die Initiative der russischen Zentralbank erwies sich als idealer Lackmustest und machte alle wichtigen Trends der aktuellen russischen Politik deutlich. Die Öffentlichkeit sehnt sich sichtlich nach echten Wahlmöglichkeiten."

"Alles wird zum Schlachtfeld"

Graschtschenkow sprach von einer "politischen Krise" und der "Illusion von Bürgerbeteiligung". Es sei unmöglich, freie Wahlen in einem gesteuerten System abzuhalten: "Was veranschaulicht das? Die Politisierung von allem. In Russland gibt es fast keine neutralen, rein technokratischen Freiräume mehr. Alles, vom Sport bis zur Banknotengestaltung, wird zum Schlachtfeld politischer Positionierungen und zur Kampfstätte um symbolische Ressourcen."

Die russische Zentralbank hatte auf ihrer Homepage am 1. Oktober eine umstrittene Abstimmung über das Design einer neuen 500-Rubelbanknote freigeschaltet [externer Link]. Zur Auswahl standen dabei zwei kaukasische Motive, nämlich eine Stadtansicht der tschetschenischen Hauptstadt Grosny und der 5.642 Meter hohe Gipfel des Elbrus.

"Keine lächerliche Angelegenheit"

Die Abstimmung sollte eigentlich bis 14. Oktober laufen, wurde jedoch zwei Tage vorher mit der Begründung gestoppt, es habe 'mehrfach Versuche gegeben, mit technischen Mitteln die Anzahl der Stimmen für bestimmte Motive zu erhöhen'. Es war von Manipulationen durch den tschetschenischen Machthaber Ramsan Kadyrow und seine Getreuen die Rede, die wegen der radikalislamischen Ausrichtung der Region und ihren Eigenmächtigkeiten bei russischen Patrioten in sehr schlechtem Ansehen stehen.

"Hören Sie auf, in Russland ethnischen Hass zu schüren!", forderte der rechtsnationalistische Politologe Igor Skurlatow aufgebracht und beschimpfte [externer Link] die russische Zentralbank wegen "Wirtschaftssabotage".

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Peter Jungblut

Politologe Alexander Semenjow verwies darauf [externer Link], dass die Gestaltung von Banknoten keineswegs eine "lächerliche" Angelegenheit, sondern vielmehr wichtiges Propagandamittel sei: "Doch die Abstimmung der Zentralbank zu dieser Frage hat sofort gezeigt, dass unter dem dünnen Schleier des 'Sich-um-die-Fahne-Sammelns' und des 'Einfrierens und Beschränkens' jeglicher öffentlich-politischer Aktivitäten genau dieses Bedürfnis in den Startlöchern lauert und bei der geringsten Provokation ausbricht." Dabei würden zwangsläufig "Risse" und "Spaltungen" sichtbar.

"Zerreißt unsere Einheit"

Juri Podoljak, der wichtigste russische Militärblogger (drei Millionen Follower), sprach von einer "guten Idee, die nach hinten losging" [externer Link]. Tschetschenische Kreise versuchten "skrupellos", ihre Interessen durchzusetzen und manipulierten die Abstimmung mit Hilfe von Bots: "Es zerreißt unsere Einheit (statt sie zu bewahren). Das ist alles, was die russische Zentralbank mit dieser Entscheidung erreicht hat."

Im Zweiten Weltkrieg sei es undenkbar gewesen, eine derartige gesellschaftliche Polarisierung auszulösen: "Vielleicht ist es an der Zeit, diesen Zirkus zu beenden und die Dinge zumindest so zu lassen, wie sie sind, bis der Krieg vorbei ist?"

"Ernsthaftes Konfliktpotential"

Nachdem es von einem russischen Abgeordneten geheißen hatte, "ausländische Kreise" könnten den Streit um die Banknote befeuert haben, schrieb Politologe Georgi Bovt ironisch [externer Link]: "Alles Schlechte, Unverständliche oder Gefährliche, das in unserem Land passiert, ist das Werk ausländischer Geheimdienste. Diese so einfältige Ansicht ist in ihrer pseudopatriotischen Deutlichkeit unerreicht, während sich viele schlicht schämen oder Angst haben, einem solchen 'Whistleblower' klarzumachen, dass er Unsinn redet und wie ein Idiot dasteht."

So nebensächlich der Anlass für den Streit, so bezeichnend seine Folgen, meint ein weiterer russischer Kommentator [externer Link], zumal das Aussehen von Banknoten in "stark ideologisch geprägten Ländern" wichtige Botschaften vermittle: "Es wäre gut zu erkennen, dass sich in der Gesellschaft ein ernsthaftes Konfliktpotenzial angesammelt hat und solche Skandale dieses nur noch weiter anheizen. Daher wäre es ratsam, bei solchen 'Spielchen' äußerst vorsichtig zu sein."

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