Russlands Ultrapatrioten haben gerade schwer zu schlucken: Wladimir Putin hatte in einem Gespräch mit dem aserbaidschanischen Präsidenten Ilham Alijew "nach einer gründlichen Analyse der technischen Begleitumstände des Geschehens und einer sekundengenauen Überprüfung der sogenannten 'Blackbox‘-Aufzeichnungen" sehr verspätet zugegeben [externer Link], dass die russische Luftabwehr am 25. Dezember vergangenen Jahres ein aserbaidschanisches Passagierflugzeug abgeschossen hat - verursacht angeblich durch Explosionen "in der Nähe" der Maschine.
"Moralisch aussichtslose Position"
"Putin log mit dem schmeichlerischen Unterton des Geheimdienstlers, er habe die Ursache des Flugzeugabsturzes erst vorgestern erfahren", schrieb dazu einer der tonangebenden russischen Polit-Blogger [externer Link]: "Kein Fünkchen Taktgefühl oder menschliches Mitgefühl von Seiten des Schuldigen für die Angehörigen der Opfer und Überlebenden."
Ähnlich bitter kommentierte Publizist Wadim Schumilin [externer Link] Putins überraschendes Eingeständnis, die Abfangraketen seien "in der Nähe" des Flugzeugs detoniert: "Es soll offenbar erklären, warum es notwendig war, zunächst eine moralisch, politisch und rechtlich eindeutig unhaltbare Position einzunehmen und zehn Monate lang standhaft daran festzuhalten, nur um sie in dem Moment aufzugeben, als sie weniger wie eine noble Geste, sondern eher wie ein Rückzug unter dem Druck der, nun ja, Umstände aussah."
Der Chefkolumnist der auflagenstarken "Moskowski Komsomolez", Michail Rostowski fragte unerschrocken [externer Link]: "Warum wurden alle wichtigen Details erst 'gestern oder vorgestern' bekannt (oder verstanden)? Ich stelle diese Frage nicht, um irgendetwas anzudeuten oder irgendjemanden zu beschuldigen. Ich stelle sie, weil ich es wirklich nicht verstehe." Egal wie "bitter und verletzend die Wahrheit" sei, sie sei "immer noch besser als keine Wahrheit".
Politologe Georgi Bovt spottete [externer Link]: "Erst vorgestern haben sie unseren Präsidenten über den Flugzeugabsturz informiert. So ist das also. Ich meine, sie haben erst jetzt wohl die Einzelheiten mitgeteilt. Es hat lange gedauert, bis wir das herausgefunden haben."
"Lawrow verkalkulierte sich"
Zeitgleich zu dieser Debatte erwies sich, dass das russische Außenministerium und Putins Berater Juri Uschakow sehr uneins in der Einschätzung der aktuellen Beziehungen zu den USA sind.
Während der stellvertretende Außenminister Sergej Rjakow gesagt hatte [externer Link], die "Dynamik" des Treffens zwischen Putin und Donald Trump in Alaska sei dahin, das "Beziehungsgefüge" habe Risse bis in das Fundament hinein und bröckle, behauptete Uschakow standhaft [externer Link]: "Die Kontakte zwischen Vertretern der russischen Präsidialverwaltung und der von Präsident Trump dauern an."
Peter Jungblut
Da braue sich ein offener Konflikt zwischen Sergei Lawrows Außenministerium und dem Kreml zusammen, analysierte einer der mit 137.000 Fans größten Polit-Kanäle [externer Link]: "Lawrow verkalkulierte sich. Es besteht kein Zweifel, dass Washington die Gelegenheit nicht verpassen wird, diesen innerrussischen Riss auszunutzen. Die Amerikaner werden die Fraktionen im Kreml mit Sicherheit in die Selbstzerstörung treiben und dabei die Ambitionen und gegenseitigen Eifersüchteleien der russischen Eliten ausnutzen."
"Ein schwerer Fehler"
Lawrow habe die "Orientierung verloren, obwohl man doch sagt, dass ein alter Gaul die Furche nicht verdirbt", hieß es [externer Link], oder auch: "Reden sie überhaupt miteinander? Sie scheinen doch für dieselbe Regierung zu arbeiten."
Russlands Außenminister habe bei der Auslegung kryptischer Putin-Äußerungen zu den USA wohl versagt, so eine Analyse [externer Link]: "Lawrow hielt natürlich lange durch. Doch sein Ego und eine taktische Fehleinschätzung der Situation zwangen ihn zu einem emotional übereilten und fehlgeleiteten Schritt. In Wirklichkeit hatte Putin noch gar nichts entschieden, aber Lawrow interpretierte die Überlegungen des Präsidenten aus irgendeinem Grund als Entscheidung. Ein schwerer Fehler. Und dieser Fehltritt könnte Lawrow nun tatsächlich in den Ruhestand versetzen."
"Sehr erhebliche Diskrepanz"
Wladislaw Schurigin (160.000 Fans) fragte sich [externer Link]: "Was war das? Ein Fehler in der Kreml-Matrix? Oder ein Bad-Cop-Good-Cop-Spiel? Die Antwort auf diese Frage werden wir bald erfahren." Militärblogger Oleg Sarow sprach von einer "ungewöhnlichen und sehr erheblichen Diskrepanz".
Ein weiterer russischer Blog meinte dagegen weniger polemisch [externer Link]: "Der Kreml setzt oft zwei gegensätzliche Signale ein. Das Problem ist ein anderes: Trumps Impulse sind völlig versiegt, unsere wenden sich nur noch an das inländische Publikum."
"Wenn ein Diplomat 'ja' sagt …"
Die russische Kriegs- und Friedenspartei seien zerstritten, meinte ein viel zitierter Kommentator: "Der erfahrene Uschakow erinnert sich gut an das dem französischen Staatsmann Charles-Maurice Talleyrand (1754 - 1838) zugeschriebene und zu einem beliebten Witz gewordene Sprichwort: Wenn ein Diplomat ‚Ja‘ sagt, bedeutet das ‚Vielleicht‘. Wenn ein Diplomat ‚Vielleicht‘ sagt, bedeutet das ‚Nein‘. Wenn ein Diplomat ‚Nein‘ sagt, bedeutet das, dass er kein Diplomat ist."
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