Landtagswahl: Wahlplakate im Berchtesgadener Land
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Kurz vor der Landtagswahl verbreiten sich im Netz Umfragezahlen - nicht alle sind seriös.

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Experten warnen vor Verbreitung der Zahlen von "PrognosUmfragen"

Experten warnen vor Verbreitung der Zahlen von "PrognosUmfragen"

Hubert Aiwanger hat auf X, ehemals Twitter, eine scheinbare Wahlumfrage zur Bundestagswahl 2025 geteilt. Die Grafik stammt von einem Account, der aufgrund mangelnder Transparenz häufiger in der Kritik steht. Ein #Faktenfuchs.

Hubert Aiwanger hat die Freien Wähler in Bayern in den Landtag und die Regierung geführt. Seine Ambitionen, auch auf Bundesebene eine Rolle zu spielen, hat Aiwanger kürzlich mit Zahlen untermauert – die allerdings laut Experten fragwürdig und ohne Aussagekraft sind.

Der stellvertretende Ministerpräsident und bayerische Wirtschaftsminister von den Freien Wählern teilte einen Post auf X, dem ehemaligen Twitter, mit einer Grafik von "PrognosUmfragen". Diese Zahlen sollen laut Beschreibung der Grafik eine "Projektion" für die Bundestagswahl 2025 sein – und sehen die Freien Wähler bei fünf Prozent. Neben Aiwanger hat auch Fabian Mehring, Parlamentarischer Geschäftsführer der Freien Wähler im Landtag, die Zahlen aus dem X-Post geteilt.

Intransparenz: Keine Informationen zu Betreiber des X-Accounts

Doch der Betreiber des Accounts, der die Zahlen veröffentlicht, agiert undurchsichtig. Aus der Selbstbeschreibung geht nicht hervor, wer hinter dem Account steht. Versprochen werden dort "beste Wahlprojektionen auf Grundlage von Umfragen & Analysen" sowie "genaueste Projektionswerte" – unter anderem für die Bundestagswahl und Landtagswahlen.

Mehr Informationen liefert der Account, der seine Tätigkeit im Profil als "Marktforschung" bezeichnet, nicht. Es gibt keine zugehörige Webseite, kein Impressum, keine Informationen über die Personen oder Organisation, die den Account betreiben und die "Projektionswerte" verantworten, sowie die Finanzierung.

Das sind Experten zufolge Hinweise darauf, dass der Account nicht seriös ist – ihm fehlen die Merkmale von glaubwürdigen Quellen.

Lediglich eine Abgrenzung vom namensgleichen Forschungsinstitut Prognos AG ist im Profil zu finden – das sich wiederum auch in einem Statement auf seiner Website von dem Account distanziert: "Der Twitterkanal des Users "@PrognosUmfragen" ist in keiner Weise mit der Prognos AG verbunden. Die Person hinter dem Account ist uns nicht bekannt und steht in keiner Beziehung zur Prognos AG." Die Prognos AG betreibe "keinerlei Meinungsforschung rund um politische Wahlen", sondern beschäftige sich mit "Themen aus der Wirtschafts- und Gesellschaftsforschung".

Abgesehen von dem X-Account mit rund 3.300 Followern ist keinerlei Internetpräsenz von "PrognosUmfragen", etwa eine offizielle Internetseite, zu finden. Eine Internetsuche führt lediglich zum X-Account sowie zur Berichterstattung über zweifelhafte Zahlen, die darüber verbreitet werden.

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Den von Aiwanger verbreiteten Post teilte auch Fabian Mehring, Parlamentarischer Geschäftsführer der Freien Wähler im Bayerischen Landtag.

Kritik von Experten: "Verwirrung der Wahlberechtigten"

Das Zustandekommen der Werte bleibt – wie die Urheberschaft – unklar. Es gibt keinerlei Informationen darüber, ob tatsächlich Menschen befragt wurden und wenn ja, wie viele, aus welchen Bevölkerungsgruppen und mit welchen Methoden. Nicht bekannt ist auch, welche Rechenmodelle hinter den selbsternannten Projektionen stecken.

Dazu gehören etwa die Zahl der befragten Personen, der Befragungszeitraum, die Methode, wie die Stichprobe ermittelt wurde, über welchen Weg befragt wurde (zum Beispiel telefonisch oder schriftlich), wie genau der Wortlaut der Frage war und wie die Antworten gewichtet wurden.

Das kritisiert auch der Rat der Deutschen Markt- und Sozialforschung. In einer Stellungnahme vom 15. September 2023 heißt es: "Der Twitter-Account '@PrognosUmfragen' veröffentlicht Umfragezahlen, deren Herkunft und Grundlage völlig unklar sind. Dies kann zu einer Verwirrung der Wahlberechtigten und zu einer Beeinträchtigung des Wahlprozesses führen."

Der Rat verweist im Zuge der Stellungnahme darauf, dass "Wissenschaftlichkeit und Transparenz gerade bei Wahlumfragen einen besonders hohen Stellenwert haben". In einem Branchenkodex verpflichtet sich die Markt- und Sozialforschungsbranche in Deutschland, gewisse Grundinformationen bei der Veröffentlichung einer Wahlumfrage mitzuliefern.

"PrognosUmfragen": Auch auf Nachfrage keine genauen Angaben zur Stichprobe

Der #Faktenfuchs hat "PrognosUmfragen" per Direktnachricht auf X gefragt, wie genau die Zahlen entstehen und wer den Account verantwortet. Die Antwort ist ausführlich, aber nicht namentlich unterzeichnet – es bleibt unklar, wer antwortete. Aufgrund schlechter Erfahrungen mit bestimmten Medien wolle man keine Namen preisgeben. Der "Hauptsitz" von PrognosUmfragen befinde sich "derzeit in Baden-Württemberg", schreibt der anonyme X-Nutzer. Die Finanzierung stütze sich "ausschließlich auf inländische Quellen".

Zur Erhebung werde ein "Methoden-Mix verschiedener Kanäle" genutzt. "Das Modell ist nicht öffentlich", heißt es weiter. Anhand einer Gewichtung "soziodemographischer und politischer Kriterien" werde eine "Repräsentativität für tatsächliche Wähler" sichergestellt. Die Faktoren für die Gewichtung orientierten sich an einem "mikrobasierten Wählermodell". Dieser Begriff ist den vom #Faktenfuchs befragten Wahlforschern nicht geläufig.

Der Politikwissenschaftler Arndt Leininger, der an der TU Chemnitz zu Wahlforschung und Angewandten Quantitativen Methoden forscht, schätzt die Angaben von "PrognosUmfragen" als "verklausuliertes Eingeständnis" ein, keine eigenen standardisierten Befragungen durchzuführen, wie er in einer Mail-Antwort an den #Faktenfuchs schreibt. "Ich habe den Verdacht, dass durch 'PrognosUmfragen' keine eigenen landesweiten Befragungen durchgeführt werden. Und wer das nicht tut, kann natürlich auch keine Stichprobengröße veröffentlichen", so Leininger weiter.

Politologe attestiert "zweifelhaftes Wissenschaftsverständnis"

Auch Constantin Wurthmann, Politikwissenschaftler am Institut für Politische Wissenschaft an der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg, schreibt dem #Faktenfuchs: "Man muss befürchten, dass da jemand willkürlich Zahlen erwürfelt. Die Angaben zur Methodik sind weder seriös begründet noch liefern sie Hinweise auf eine seriöse Arbeitsweise. Sie deuten auf ein zweifelhaftes Wissenschaftsverständnis hin und genügen den Kriterien wissenschaftlichen Arbeitens nicht." Eine wissenschaftliche Arbeitsweise baue auf Verlässlichkeit, Nachvollziehbarkeit und Transparenz auf. "Und das bezieht sich auch auf die Person, die diese Arbeit macht", so Wurthmann. Der Politikwissenschaftler war auch am GESIS, dem Leibniz-Institut für Sozialwissenschaften, tätig und führt dort derzeit drittmittelfinanzierte Projekte zu Ende – zum Beispiel Landtagsstudien zu Bayern und Hessen. Das GESIS ist durch Mittel von Bund und Ländern finanziert.

Dazu, dass es in den Posts keine Angaben zum Zustandekommen der Zahlen gibt, schreibt "PrognosUmfragen": "Informationen über Befragtenzahlen tragen eher zur Verwirrung des Lesers bei, da dieser kaum einschätzen kann, wann 'genügend' Personen befragt worden sind."

Wahlforscher Leininger schreibt dem #Faktenfuchs: "Den Einwand, Befragtenzahlen verwirren, teile ich explizit nicht." Das sieht auch Daniel Hellmann, wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Parlamentarismusforschung, so: "Die Zahl der Befragten und die Art der Befragung sind für die Interpretation der Belastbarkeit unerlässlich".

Die Standards für die Zahl der Befragten erläutert Politikwissenschaftler Wurthmann so: "Optimal sind 1.000 Befragte. Wenn Umfragen das liefern, können sie dennoch Probleme haben, gewisse Teile der Bevölkerung abzubilden, weil manche eher teilnehmen als andere. Diese Probleme kann man aber transparent machen." Außerdem seien Erhebungen, die auf dem Prinzip einer sogenannten Zufallsstichprobe basieren, dennoch als repräsentativ einzustufen. Umfragen gelten als repräsentativ, wenn Rückschlüsse auf eine Grundgesamtheit möglich sind. Bei der Bundestagswahl wären das alle Wahlberechtigten in Deutschland.

Rat der Deutschen Markt- und Sozialforschung fordert, Zahlen nicht weiterzuverbreiten

Dass sich "PrognosUmfragen" laut Antwort an den #Faktenfuchs der Richtlinie des Rats der Deutschen Markt- und Sozialforschung nicht verpflichtet fühlt, ist für Experten ein weiteres Warnsignal. "Die in der Richtlinie genannten Informationen sind unerlässlich für Experten, um einzelne Befragungen zu bewerten", schreibt Leininger. "Für seriös halte ich nur, wer sich voll und ganz den Vorgaben der Richtlinie für die Veröffentlichung von Ergebnissen der Wahlforschung verschreibt."

Der Rat der Deutschen Markt- und Sozialforschung selbst fordert, "derart unseriöse 'Umfragezahlen' nicht weiter zu verbreiten".

Das sieht auch Ingo Rohlfing so, Professor für Methoden der Empirischen Sozialforschung an der Universität Passau: "Allgemein legen die verfügbaren Informationen bzw. die Informationen, die nicht verfügbar sind, nahe, dass man die Zahlen nicht verwenden sollte", antwortet Rohlfing auf die #Faktenfuchs-Anfrage. Er kritisiert ebenfalls die mangelnde Transparenz des Accounts sowie die fehlenden Informationen zur Untersuchungsmethode. Diese seien aber "Mindeststandard", um die Entstehung der Ergebnisse bewerten zu können, so Rohlfing.

"Insgesamt kann man daher nicht nachvollziehen, dass Umfragen durchgeführt wurden; wie sie durchgeführt wurden; und von wem und unter welchen Umständen. Dies sind alles Alarmzeichen, die aus meiner Sicht gegen eine Verbreitung der Zahlen sprechen." Ingo Rohlfing, Universität Passau

FW-Politiker Mehring äußert sich, Aiwanger nicht

Hubert Aiwanger äußerte sich auf #Faktenfuchs-Anfrage nicht zu seinen jüngsten Posts und der Kritik an "PrognosUmfragen". Sein Parteikollege Fabian Mehring antwortete hingegen. Er schreibt dem #Faktenfuchs: "Als promovierter Politikwissenschaftler bin ich mir darüber im Klaren, dass solche Erhebungen nicht von der gleichen sozialwissenschaftlichen Qualität sind, wie die Projektionen der einschlägigen Forschungsinstitute." Mehring schreibt, dass es kaum Abweichungen bei den Freien Wählern zwischen BayernTrend und "PrognosUmfragen" gebe. Die Kritik könne er daher nicht nachvollziehen.

Politikwissenschaftler Wurthmann sagt dazu: "Grundsätzlich würde ich mir wünschen, dass auch politische Mandatsträger nur Umfragen von den Instituten teilen, die gemeinhin als seriös bewertet werden. Welche das sind, hat man in drei Klicks im Internet herausgefunden."

Mehring antwortete dem #Faktenfuchs am vergangenen Mittwoch. In einer neuen "Projektion" sah "PrognosUmfragen" die Freien Wähler an diesem Tag in Bayern bei 19 Prozent. Der BayernTrend vom vergangenen Donnerstag gibt für die Freien Wähler 16 Prozent an.

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Aufgrund der Anfrage habe Mehring entschieden, die Werte des Accounts nun "systematisch zu beobachten und mit den Werten etablierter Institute sowie dem Wahlergebnis" zu vergleichen. Der FW-Politiker weiter: "In Abhängigkeit davon entscheide ich, ob ich derlei Erhebungen erneut reposten oder in Zukunft hierauf verzichten werde." Die gesamte Stellungnahme hat Mehring auch auf X geteilt.

Bereits in der Vergangenheit Kritik an "PrognosUmfragen"

Aiwanger wiederum hatte bereits Anfang September mehrere Posts des Accounts zu den Landtagswahlen in Bayern und Hessen verbreitet. Damals berichtete die "Süddeutsche Zeitung".

Ein Faktencheck der dpa befasste sich bereits 2019 mit den Posts und ordnete den Account ein.

Den Account "PrognosUmfragen" gibt es laut X-Profil bereits seit 2012. Aufmerksamkeit erregten die dubiosen Umfragewerte erstmals 2014, als der damalige thüringische CDU-Chef Mike Mohring in einer Parteitagsrede die Zahlen aufgriff, wie der "Spiegel" berichtete.

Die Zahlen von "PrognosUmfragen" werden immer wieder, vor allem von Rechtspopulisten und Querdenkern, als angeblicher Beleg für ein politisches Stimmungsbild genutzt. Stefan Homburg, Hans-Georg Maaßen und Eva Herrmann teilten Mitte September eine "Projektion" zur Landtagswahl in Sachsen 2024 auf ihren X- bzw. Telegram-Kanälen.

Fazit

Die angebliche Wahlumfrage vom X-Account "PrognosUmfragen", die auch Hubert Aiwanger (Freie Wähler) geteilt hat, ist unseriös. Über den Urheber der Zahlen ist nichts bekannt, es gibt keine nachprüfbaren Informationen zu Verantwortlichen, Organisation oder Finanzierung. Auch die Entstehung der Zahlen selbst ist intransparent, ihre Aussagekraft unklar. Sie entsprechen damit nicht dem Branchenkodex des Rats der Deutschen Markt- und Sozialforschung. Experten raten von der Verbreitung der Zahlen des Accounts ab.

Disclaimer: Am 4.10.2023 um 13.30 Uhr haben wir die Angaben zur Tätigkeit von Constantin Wurthmann vom Textende entfernt und dafür im Text selbst ergänzt und präzisiert.

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