Er kam als vermeintlicher Retter in einer der schwersten Vereinskrisen des TSV 1860 München und galt als einer, der den Traditionsklub nach turbulenten Jahren wieder in eine bessere Zukunft führen sollte. Doch nach acht Jahren Präsidentschaft geht Robert Reisinger mit einer durchwachsenen Bilanz - und hinterlässt seinem Nachfolger Gernot Mang einige Baustellen.
Robert Reisingers Amtszeit: eine Retrospektive
Juni 2017, der TSV 1860 München fällt so tief wie lange nicht: Nach dem sportlichen Abstieg aus der 2. Fußball-Bundesliga bekommen die Löwen keine Lizenz für die 3. Liga, weil Ex-Investor Hasan Ismaik weitere Darlehen verweigert - es geht zwangsweise hinunter in die Regionalliga.
Es ist beachtlich, dass sich mit Robert Reisinger überhaupt jemand für die vermeintliche "Mission Impossible" fand, den TSV 1860 wieder nach oben zu führen. Sein Vorgänger Peter Cassalette hatte nach den Relegationsspielen gegen Jahn Regensburg sein Amt zur Verfügung gestellt, weil er einem Neuanfang nicht im Wege stehen wollte.
1860 "nicht vergnügungssteuerpflichtig"
Nun also Reisinger, im Juli 2017 nach kurzer Interimszeit auch offiziell zum Präsidenten gewählt. Aus dem Fan - er ist seit 30 Jahren Mitglied - wurde plötzlich einer der wichtigsten Männer des Klubs. "Vergnügungssteuerpflichtig ist die Aufgabe sicher nicht", sagte Reisinger damals: "Aber ich bin Löwe und kann mich nicht einfach wegducken, wenn mein Verein mich in schwerer Stunde braucht." Dass es wohl keine ganz triviale Aufgabe werden könnte, ahnte er da schon. Denn es galt, einen in vielen Bereichen zerstrittenen Verein zu einen.
Der Aufstieg und die Herausforderungen des TSV 1860 München
"Der Präsident präsidiert, der Investor investiert, der Trainer trainiert, die Spieler spielen, die Fans unterstützen." So einfach schilderte Reisinger gegenüber Fan-Magazinen seinen Wunsch für den TSV 1860 München. Der Verein sollte wieder eine klare Rollenbalance bekommen.
Daneben machte Reisinger keinen Hehl daraus, dass er den sportlichen und vereinsinternen Wiederaufbau vor allem mit Jugendförderung angehen will und stark auf den e.V. setzt. Und die erste Saison verlief vielversprechend. Unter Trainer und Vereins-Ikone Daniel Bierofka glückte den Löwen in der Saison 2017/18 direkt der Aufstieg in die 3. Liga. Die Fans träumten prompt von mehr.
Streit mit Ex-Investor Ismaik: ein beständiger Konflikt
Doch Reisinger holte schnell die Realität ein. Denn von 2011 bis Juli 2025 "herrschte" beim TSV 1860 München neben dem Verein auch noch der damalige Investor Hasan Ismaik. Reisinger, der Idealist, für den der Verein über allem steht, gegen einen Geschäftsmann, der seine Champions-League-Träume noch lange nicht aufgegeben hat.
Acht Jahre Präsidentschaft Reisinger stehen auch für acht Jahre Dauerzwist mit Ismaik und anderen 1860-Gremien. Kaum eine Amtszeit im deutschen Fußball war von so anhaltendem Streit geprägt wie die von Reisinger.
Die ungelöste Stadionfrage
Denn der Vereinsmensch Reisinger war und ist ein konsequenter Verteidiger der 50+1-Regel. Auch in der Stadionfrage gab es keinen Konsens. Während Ismaik immer wieder einen Neubau forcierte, sah Reisinger im städtischen Stadion an der Grünwalder Straße die emotionale Heimat des Klubs. Reisinger sah zwar mögliche Probleme - bauliche und finanzielle Grenzen - für den Fall einer Rückkehr in die 2. Bundesliga.
Er hielt aber am "Grünwalder" fest. Realistische Lösungen konnten weder das Präsidium noch der Investor in den vergangenen acht Jahren präsentieren. Die ungelöste Stadionfrage entwickelte sich unter der gespaltenen Anhängerschaft schnell zu einem Symbol für die Blockaden der Vereinsführung.
Deutlich steigende Mitgliederzahl
Die positiven Seiten der Ära Reisinger rutschten da leicht in den Hintergrund. An erster Stelle die Stabilisierung des Vereins mit der Rückkehr in den Profifußball. 2017 wäre durchaus auch ein kompletter Kollaps des Klubs denkbar gewesen. Dann steigende Mitgliederzahlen: Von 20.108 kurz vor seinem Amtsantritt ging's hoch auf mittlerweile 27.000 (Stand Juni 2024).
Damit steht der TSV 1860 in den Top 30 der mitgliederstärksten Vereine Deutschlands. Reisinger stärkte dabei nicht nur den Profifußball, sondern auch die anderen Abteilungen des e.V. - von Turnen bis Breitensport. Ein Achtungserfolg, der aber unterstreicht, welches Potenzial im Traditionsklub schlummert.
Verpasste Chancen: kein Aufstieg in die 2. Fußball-Bundesliga
Doch Ex-Investor Ismaik und einem Teil der Anhängerschaft dauerte dieser Schlummerzustand am Ende zu lange. Am Aufstieg in die 2. Bundesliga schrammten die Löwen in den vergangenen acht Jahren teilweise deutlich vorbei. Konnte Reisinger mit Haltung und Prinzipientreue punkten, was ihm sogar den Respekt seiner Kritiker einbrachte, vermied er sportlich jeden Harakiri-Kurs: keine riskanten, kurzfristigen Investitionen, keine Schulden, um den sportlichen Erfolg um jeden Preis zu erzwingen.
Doch Applaus beim Abschied
Bei seiner letzten Rede auf der Mitgliederversammlung am 6. Juli traf Reisinger mit einem Satz einen Nerv bei den Mitgliedern: "Alle Themen auf meiner Liste, welche HAM International und Hasan Ismaik betreffen, fallen weg – es hat keine Relevanz." Schon am Abend hatten Fans in Giesing gefeiert und Raketen gezündet, als bekannt wurde, dass Ismaik seine Anteile an eine Schweizer Holding verkauft hat. "Alle Schulden wurden erlassen", sagte Reisinger.
Der scheidende Präsident zeigte sich sehr zufrieden mit der Entscheidung, die "auf den letzten Metern unserer Amtszeit" getätigt werden konnte. Verschuldet haben Reisinger & Co die Sechzger nicht, trotzdem hatte es vor dem Verkauf ein Finanzloch von fünf Millionen Euro gegeben, das bereits vor Reisingers Amtszeit bestand.
Reisingers "Aus" beim Kaffeetrinken?
So endet Reisingers Amtszeit recht tragisch. Dass er gar nicht mehr zur Wahl steht, erfuhr er angeblich beim Kaffeetrinken aus einer Pressemitteilung des Verwaltungsrats: Reisinger stand nicht mehr auf der Liste der Kandidaten, gesprochen hatte offenbar niemand mit ihm. Einziger Kandidat auf der Liste war Mang. Der nahm als Reisingers Nachfolger am Sonntag "mit Demut und Dankbarkeit die Wahl an."
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