Weiße Flecken auf der Landkarte, wo es bis heute kein schnelles Internet gibt. Ämter, in denen nach alter Väter Sitte papierene Aktenberge gewälzt werden. Wenn es um die Digitalisierung geht, dann ist Deutschland weit davon entfernt, ein Vorbild zu sein, sagt Ralf Wintergerst im Exklusiv-Interview mit dem BR. Der Chef des Münchener Hightech-Konzerns Giesecke+Devrient und Präsident des Digitalverbandes Bitkom sieht aber Hoffnungsschimmer.
- Ralf Wintergerst im Interview zum Thema "Die Zukunft des Geldes"
Eine wesentliche Grundlage sei die Entscheidung der schwarz-roten Bundesregierung, ein eigenes Digitalisierungs-Ministerium einzurichten. Damit sei für ihn persönlich und auch für die IT-Branche ein Traum in Erfüllung gegangen. Endlich bestehe die Chance, dass verschiedene Behörden und Ministerien ihre Aktivitäten bündeln und nicht mehr nebeneinanderher arbeiten und sich dabei gegenseitig ausbremsen: "Denn nur über die koordinierte Zusammenfassung von Aktionen, die Deutschland voranbringen sollen, können wir auch einen Fortschritt erreichen."
Gute Gastgeber ziehen Investitionen an
Positiv bewertet Ralf Wintergerst, dass sich zuletzt ein langfristiger Trend umgekehrt hat: Flossen Investorengelder über Jahre aus Deutschland und Europa überwiegend in die USA, hat sich die Stimmung gedreht. Die Politik von US-Präsident Donald Trump habe viele Kapitalgeber und Firmen verunsichert, die investieren nun verstärkt in Europa. Deutschland habe hier eine große Chance, neue Firmen anzuziehen.
Allerdings müssten dafür auch Politik und Behörden mitspielen, so der CEO von Giesecke+Devrient. Er selbst habe als Unternehmenschef erlebt, wie man in den Vereinigten Staaten als potenzieller Investor umsorgt werde: "Wenn man in den USA einem Senator oder Gouverneur gegenübersitzt, dann verhält der sich wie ein Unternehmenschef, wie ein CEO", so Wintergerst. "Was kann ich für Sie tun?", frage der. "Und so eine Haltung wäre in Deutschland auch gut. Denn die Unternehmen sollen sich ja hier wohlfühlen. Und nicht nur über Bürokratie drangsaliert werden."
Erster Schritt: Amts-Register entstauben
Auf dem Weg dahin sei das Einrichten eines Digitalisierungs-Ministeriums aber nur ein erster organisatorischer Schritt. Jetzt folge die praktische Umsetzung. Dabei müsse man zügig an die Arbeit gehen, so Ralf Wintergerst. Er warnte gleichzeitig davor, sich zu verzetteln: "Was wir über drei Jahrzehnte nicht geschafft oder nicht einmal angefasst haben, das wird nicht an einem Tag erledigt werden können."
Wichtig sei zum Beispiel für die staatliche Verwaltung, erst einmal Daten-Grundlagen zu schaffen. Zum Beispiel durch die Digitalisierung all der Informationen, die in behördlichen Registern bisher nur auf Papier vorliegen und jedes Mal mühsam aus den Archiven herausgekramt und händisch ausgewertet werden müssen, wenn man sie braucht. Das wäre laut Ralf Wintergerst eine erste große Aufgabe, bevor man sich dann mit anderen Feldern der Digitalisierung beschäftige. Bayern hat sich hier als Testregion ins Spiel gebracht.
Mehr Startup-"Fabriken"
Grundsätzliche sieht Wintergerst die deutsche IT-Industrie mit 1,4 Millionen Beschäftigten gut aufgestellt. Der Verband Bitkom erwartet für dieses Jahr einen Branchenumsatz von fast 240 Milliarden Euro (externer Link). Das entspräche einem Wachstum von knapp 4,5 Prozent im Vergleich zum Vorjahr, was sich deutlich von der Stagnation der deutschen Gesamtwirtschaft abhebt.
Um für die Zukunft mit Technologien rund um Künstliche Intelligenz und Quantencomputern noch fitter zu werden, fordert der Verbandspräsident aber noch mehr Anstrengungen. So müsse man die koordinierte Ansiedlung von Startups fördern, um Knowhow zu bündeln und den Austausch junger Firmen zu ermöglichen. Solche sogenannten Startup-Fabriken gebe es bisher im Wesentlichen nur in zwei Regionen, nämlich Berlin und Oberbayern. Wintergerst sieht dafür aber auch Potenzial in den Regionen Frankfurt, Hamburg und Düsseldorf.
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