Für die britische Anklagebehörde ist es Fakt: "Zwischen August 2020 und Februar 2023 sammelte eine Gruppe von sechs Bulgaren mithilfe ausgeklügelter Methoden Informationen über Personen und Orte, die für den russischen Staat von Interesse waren." So steht es auf der Internetseite der britischen Anklagebehörde. Im Februar 2023 hatte die britische Polizei die sechs im Raum London lebenden Bulgaren festgenommen, gegen die der "Crown Prosecution Service" (CCC) schweren Vorwürfe erhoben hat.
Dabei stellten die Einsatzkräfte unter anderem Drohnen, mehr als 200 Mobiltelefone sowie gefälschte Aufenthaltsgenehmigungen und Reisepässe sicher. Die Dokumente seien unter anderem verwendet worden, um in Großbritannien zwölf Bankkonten zu eröffnen. Wer die Dokumente erstellt hat, ist weiter unklar.
Drei mutmaßliche Spione haben Geständnisse abgelegt
Nachdem ein Londoner Gericht und eine Jury seit November vergangenen Jahres über den Fall beraten und verhandeln, soll spätestens am kommenden Montag das Strafmaß feststehen. Drei der Angeklagten, Orlin R., Bizer D. und Ivan S., haben sich im Zuge des Verfahrens für schuldig bekannt. Drei weitere Angeklagte, Vanya G., Tihomir I. und Katrin I., haben jegliche Schuld von sich gewiesen und bestritten, wissentlich für Russland zu spionieren, um dem Vereinigten Königreich zu schaden, so die Verteidigung. Trotzdem hat sie das Gericht Anfang März verurteilt, die Tätigkeit für den russischen Geheimdienst sei erwiesen.
Nach Überzeugung der Ermittlungsbehörden hat der untergetauchte Ex-Wirecard-Vorstand Jan Marsalek die sechs Bulgaren angeführt. Dabei sei Kommunikation in erster Linie über den Anführer der Gruppe - Orlin R. – gelaufen. Bei R. handelt es sich um einen IT-Experten. Er und Marsalek standen nach Recherchen des Bayerischen Rundfunks schon in Kontakt, als der Wirecard-Manager noch in Diensten des Zahlungsdienstleisters aus Aschheim gestanden hatte. 2015 tauschten sich Marsalek und R. per E-Mail über abhörsichere Telefone aus. Die Mails liegen dem BR vor. Im Jahr 2019 veranlasste Marsalek, dass Wirecard auf Orlin R. und Bizer D. laufende Firmen für angeblich erbrachte IT-Dienstleistungen mehrere zehntausend Euro überwies.
Beobachtung von US-Kaserne in Stuttgart, Diskussion über Entführungspläne
Im Zuge des Verfahrens am Central Criminal Court in London wurde bekannt, dass die Ermittler zudem rund 78.000 Textnachrichten sichergestellt haben, die sich Orlin R. und Jan Marsalek geschrieben haben sollen. Darin haben sie sich unter anderem darüber ausgetauscht, wie sie die "Patch Barracks" in Stuttgart ausspionieren können.
An dem Standort der US-Truppen trainierte die Armee ukrainische Soldaten an Flugabwehrsystemen, so die Vermutung der Gruppe. Sie soll die "Patch Barracks" von Ende 2022 bis Anfang 2023 ausspioniert haben. Außerdem sollen Marsalek und die Gruppe darüber diskutiert haben, zwei Investigativjournalisten zu kidnappen oder zu ermorden. Insgesamt sechs Schlüsseloperationen hat der "CCC" identifiziert, die er der Gruppe zur Last legt.
Organisation von Evakuierungsflügen aus Kabul?
Im Zuge der Verhandlung über das Strafmaß veröffentlichte das Gericht weitere Textnachrichten und Ermittlungserkenntnisse. Danach sollen sich Orlin R. und Jan Marsalek 2021 darüber ausgetauscht haben, wie sie Evakuierungsflüge von US-Bürgern aus Kabul organisieren können – nach der Machtübernahme der Taliban in Afghanistan.
Das sei allerdings nach Überzeugung der Ankläger nicht aus humanitären, sondern aus finanziellen Gründen geschehen. Mit sieben Piloten und Flugzeugen aus Bulgarien hätten hunderte Personen ausgeflogen werden können. Ob das tatsächlich passiert ist, blieb offen. Auch Waffenlieferungen nach Ghana sollen Thema gewesen sein.
Haftstrafen zwischen fünf und elf Jahren erwartet
Den sechs Angeklagten droht eine Haftstrafe von bis zu 14 Jahren. Beobachter rechnen damit, dass sich das Gericht für ein Strafmaß zwischen fünf und elf Jahren aussprechen werden. Bis zum frühen Nachmittag dürfte diese Entscheidung feststehen. Offen ist noch, wie sich das Geständnis von drei der Gruppenmitglieder auswirken wird. Staatsanwältin Alison Morgan bezeichnete die Vorwürfe gegen die Angeklagten und die vorliegenden Erkenntnisse als "schwerwiegend".
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