Arbeiter mit Gesichtsschutz
Bildrechte: BR
Videobeitrag

Arbeiter mit Gesichtsschutz

Videobeitrag
> Wirtschaft >

Unternehmer uneins – Für wen lohnt sich die 4-Tage-Woche?

Unternehmer uneins – Für wen lohnt sich die 4-Tage-Woche?

Während Deutschland die 4-Tage-Woche diskutiert, führt Griechenland die 6-Tage-Woche ein. Doch was ist nun besser für Betrieb und Arbeitnehmer, mehr oder weniger arbeiten? Zwei Erfahrungsberichte aus Bayern.

Über dieses Thema berichtet: mehr/wert am .

Nersingen in Mittelschwaben. In der Kfz-Werkstatt wird konzentriert gearbeitet. Die Fahrwerksfeder eines Autos ist gebrochen und muss repariert werden. Chefin Gabi Christ hat die Zeit im Blick, denn trotz voller Auftragsbücher hat sich die Firma zu einem außergewöhnlichen Schritt entschieden: Hier wird nur noch vier Tage pro Woche gearbeitet. Ihre Motivation ist der Fachkräftemangel: "Wir haben uns überlegt, was wir machen können, um Mitarbeiter zu finden. Weil bei der Jugend die Work-Life-Balance, also mehr Freizeit, wichtig ist, haben wir uns zu diesem Schritt entschieden." Seitdem sei der Umsatz leicht zurückgegangen: "Wir müssen jetzt an den vier Tagen Gas geben, damit wir den Tag reinholen", so Gabi Christ.

Mehr Freizeit und Zufriedenheit

Ausgiebige Kaffeepausen gibt es jetzt nicht mehr. Die Mitarbeiter arbeiten eine halbe Stunde länger pro Tag. Das Besondere dabei ist, dass sie den vollen Lohn bekommen und Freitag bis Sonntag freihaben. André Monteiro, der bei der Firma Christ als Kraftfahrzeugtechniker-Meister arbeitet, ist zufrieden. Zuvor hatte er in einem Unternehmen mit 6-Tage-Woche gearbeitet. "Da habe ich samstags auch gearbeitet. Hier habe ich schon mehr Zeit für die Familie."

Steigerung der Attraktivität

Der bayerische Bezirksleiter der Gewerkschaft IG Metall, Horst Ott, sieht die 4-Tage-Woche sogar als ein Konzept der Zukunft: 32 Stunden arbeiten und voller Lohnausgleich könne beim Kampf um die besten Köpfe Wirkung zeigen: "Arbeitgeber müssen attraktive Arbeitsbedingungen anbieten und das hat auch etwas mit der Verteilung der Arbeitszeit zu tun. Es geht nicht darum, wie lang der Einzelne arbeitet, sondern wie hoch ist die Produktivität. Hier sind wir ziemlich führend in Europa, wenn nicht sogar in der Welt", so der Gewerkschafter.

Konträre Ansichten

Der Blechbearbeiter Bechtold in Weilheim ist ein Familienunternehmen mit 100 Mitarbeitern und ein wichtiger Zulieferer für Logistik- und Transportunternehmen wie die Bahn oder den Triebwerkshersteller MTU. Matthias Bechtold ist angestellter Geschäftsführer, in der Zukunft soll er das Unternehmen seines Vaters übernehmen und damit eine wesentliche Herausforderung: Fachkräfte für sich gewinnen und halten. Dabei auf die 4-Tage-Woche zu setzen, ist für ihn kein Allheilmittel – dass sich weniger Arbeit und voller Lohn mit der Wettbewerbsfähigkeit vereinbaren lässt, sieht er nicht: "Am Ende sind Unternehmen der Wirtschaftlichkeit verpflichtet."

Verlust der Wettbewerbsfähigkeit

Sein Vater geht sogar noch einen Schritt weiter. Auch wenn sich Kurt Bechtold aus dem Geschäft demnächst zurückzieht, ist er sehr besorgt: "Das wäre für mich der erste Rat zu sagen: Wir wandern ab aus der Tarifordnung und ordnen uns neu, nach unseren Gesetzmäßigkeiten. Denn ein Fortbestand unter solchen Vorzeichen sehe ich als unmöglich an."

Mehr statt weniger Arbeit

Bei Bechtold arbeiten die meisten Mitarbeiter aktuell 35 Wochenstunden. Die IG Metall hat das vor knapp zehn Jahren für die ganze Branche ausgehandelt. Jetzt noch einmal bei den Stunden zu kürzen bei vollem Lohn – da hat Bertram Brossardt, Hauptgeschäftsführer der Vereinigung der Bayerischen Wirtschaft (vbw) Sorge, dass Unternehmen von der Konkurrenz im Ausland abgehängt werden: "In weiten Bereichen der Wirtschaft wäre es so, dass dann die Lohnkosten steigen und wir nicht mehr wettbewerbsfähig sind." Für ihn muss es in eine völlig andere Richtung gehen: "Die Tendenz muss schon aus Demografie-Gesichtspunkten zu Mehrarbeit gehen."

4-Tage-Woche auf dem Prüfstand

Und trotzdem probieren Unternehmen die 4-Tage-Woche aus. Ein Phänomen – zu dem in Deutschland jetzt erstmals umfangreich geforscht wird. In einer Studie der Universität Münster soll analysiert werden, welche Auswirkungen die 4-Tage-Woche hat: Die Wirtschaftsprofessorin Julia Backmann begleitet seit einem halben Jahr 45 Unternehmen bei der Umstellung. Gerade ist der Zwischenbericht erschienen. Die Studienleiterin beobachtet, dass die Umstellung die Unternehmen sehr herausfordert: "So eine Umstellung ist ein relativ großer Veränderungsprozess in der Organisation." Da könne es auch etwas holprig werden, so die Professorin.

Frage der Effizienz ist zentral

Die gleiche Arbeit in vier statt fünf Tagen zu erledigen, das könne bei den Mitarbeitern auch zu Stress führen. Die Frage, wie die Arbeit möglichst effizient erledigt werden kann, sei daher zentral. Denn auf der anderen Seite könne die 4-Tage-Woche, wenn sie mit Prozessänderungen einhergeht, auch gut funktionieren. In einem Beispiel-Unternehmen seien zuvor bei einer 5-Tage-Woche viele Überstunden angefallen. Um auf vier Tage zu reduzieren, habe das Unternehmen vieles optimiert. "Jetzt arbeiten die Mitarbeiter dort 32 Stunden und es fallen keine Überstunden mehr an", berichtet Backmann.

Zeitersparnis durch KI

Auch neue Technologien wie die künstliche Intelligenz (KI) könnten Unternehmen effizienter machen. Die Wirtschaftsprofessorin beobachtet: "Neuerungen können auch entstehen durch die Frage: Wie schaffe ich die Arbeit in kürzerer Zeit?" Die Frage der Effizienz ist auch beim Autohaus Christ entscheidend. Dort soll künftig viel Zeit gespart werden – mittels digitaler Technik und KI. Kommt etwa ein Auto in die Werkstatt, kann der 30-jährige Sohn von Gabi Christ bereits aus der Ferne die Fahrzeugdaten auslesen.

Dennis Christ hat ein eigenes intelligentes System entwickelt, das die Fehlersuche übernimmt und dessen KI mit dem Erfahrungsschatz der Werkstatt gefüttert ist. Bei Autos, die die Voraussetzung dafür erfüllen, kann seine KI in fünf bis zehn Sekunden Fehlerquellen analysieren und Lösungen für Probleme anzeigen. Zum Vergleich: Der Mechatroniker in der Werkstatt bräuchte 15 bis 20 Minuten dafür. Mittelfristig soll der Umsatz dadurch wieder steigen: "Unsere Mitarbeiter müssen bei der 4-Tage-Woche Vollgas geben. Unsere virtuelle Technikerin Joy spart Zeit, in dem sie Arbeiten für die Techniker übernimmt." Diese könnten sich dann auf die wesentlichen Dinge konzentrieren. Eine intelligente Lösung, die sich nach der Vorstellung auch von Gabi Christ bald rechnen soll: "Mit der KI werden wir sicherlich in Zukunft viel Zeit einsparen können und somit den Umsatz aufholen, da bin ich überzeugt", sagt sie.

Innovation durch Zeitreduktion

Auch beim Blechbearbeiter Bechtold arbeitet man mit moderner Technik, um die Effizienz zu steigern. Das Unternehmen investiert zum Beispiel in einen digitalen Messarm, der den Techniker Zafer Atabey bei der Arbeit unterstützt und ihn effizienter arbeiten lässt: "Mit herkömmlichen Handmessmitteln, so ein Teil zu vermessen, würde man wahrscheinlich über das Dreifache der Zeit brauchen", so der Mitarbeiter.

Ist die 4-Tage-Woche bei vollem Lohnausgleich durch den Einsatz von Technik also doch möglich? Schließlich werden die Mitarbeiter doch entlastet? Geschäftsführer Matthias Bechtold bleibt skeptisch, denn: "Wenn es heute schon möglich wäre, in 80 Prozent der Zeit 100 Prozent der Wertschöpfung zu erreichen, würden wir aktuell hinsichtlich unserer Produktivität ja etwas falsch machen."

Wie viel Arbeitnehmer künftig wirklich arbeiten müssen, das hängt auch vom technischen Fortschritt ab, von der konkreten Branche und ist auch eine politische Frage. Im Moment ist die 4-Tage-Woche ein Experiment, das in manchen Betrieben funktioniert, in manchen nicht.

Das ist die Europäische Perspektive bei BR24.

"Hier ist Bayern": Der BR24 Newsletter informiert Sie immer montags bis freitags zum Feierabend über das Wichtigste vom Tag auf einen Blick – kompakt und direkt in Ihrem privaten Postfach. Hier geht’s zur Anmeldung!