Der Ansbacher Amokläufer von 2009 hat während seiner Ausgänge aus der psychiatrischen Klinik Erlangen einen Reisepass beantragt und diesen bekommen. Als der Klinik auffiel, dass der Mann nicht mehr zurückkam, war dieser vermutlich schon in Südamerika. Was sonst noch über die Flucht des Mannes nach Kolumbien bekannt ist.
Wie konnte der Mann fliehen?
Der 34-Jährige nutzte einen genehmigten Ausgang am 16. August. Als Teil seiner Therapie durfte er seit Jahresbeginn die Einrichtung immer wieder tagsüber verlassen. Bislang hatte er sich laut Klinik an alle Absprachen gehalten. Als er von seinem Ausgang nicht zurückkam, informierte die Klinik in der Nacht auf den 17. August die Polizei.
Allerdings sei der Mann schon in Kolumbien gewesen, bevor in der psychiatrischen Klinik in Erlangen sein Fehlen bemerkt wurde, so der Leitende Oberstaatsanwalt, Friedrich Weitner, im BR24-Interview. Die Klinik habe dem 34-Jährigen schließlich einen fast zwölfstündigen Ausgang gewährt. "Das heißt, diese Zeit hatte er, bis zum ersten Mal bekannt wurde, dass er überhaupt nicht ins Klinikum zurückkehrt. Das heißt, ab diesem Zeitpunkt wurde direkt gefahndet. Er war aber zu diesem Zeitpunkt unseres Wissens schon im Ausland", so Weitner.
Wie lief die Flucht ab?
Die Flucht sei detailliert geplant, die Route gut durchdacht und das Zeitfenster des Ausgangs bewusst ausgenutzt worden, sagt Oberstaatsanwalt Friedrich Weitner. Der 34-Jährige hatte demnach einen gültigen Reisepass sowie Gepäck bei sich und gelangte von einem Flughafen außerhalb der Europäischen Union in Richtung Kolumbien.
Nach Aussage von Bayerns Innenminister Joachim Herrmann (CSU) hatte der 34-Jährige den Reisepass während einem seiner genehmigten Ausgänge aus der psychiatrischen Klinik in Erlangen beantragt. "Das sind Dinge, wo wir auch für die Zukunft überlegen müssen, ob das jedem Freigänger so ermöglicht werden soll", kündigte Herrmann im Gespräch mit BR24 an.
Hatte der Mann Helfer?
Davon gehen die Ermittler aus. Der Leitende Oberstaatsanwalt sagte im Gespräch mit BR24: "Die Flucht war geplant, es war sehr sorgfältig die Reiseroute ausgedacht, es war auch organisiert im Vorfeld, sodass auf jeden Fall im Vorfeld auch Unterstützung vorhanden gewesen sein muss."
Es gibt demnach Hinweise zu konkreten Personen. Nähere Angaben wollte die Staatsanwaltschaft aus ermittlungstaktischen Gründen nicht machen. Infrage kämen dabei etwa die Straftatbestände Gefangenenbefreiung und Strafvereitelung. Der Mann soll vor allem finanzielle Hilfe bekommen haben. Mit dem ihm während der Unterbringung zur Verfügung stehenden Geld wäre die Flucht nicht möglich gewesen, hieß es.
Wie gelang die Festnahme?
Die Polizei fahndete mit einem europäischen Haftbefehl nach dem Mann. Die Fahndung war nach Weitners Worten kompliziert, weil vielen Spuren nachgegangen werden musste. Unter anderem führte eine Spur zunächst nach München. Als der Hinweis kam, dass sich der Amokläufer in Kolumbien aufhalten könnte, habe ein Verbindungsbeamter des Bundeskriminalamts den Kontakt zu den kolumbianischen Behörden hergestellt, die ihn schließlich im Landesinneren festnahmen.
Der Rechtsanwalt des Amokläufers kritisiert die Auslieferung seines Mandanten aus Kolumbien als "Hauruck-Verfahren". Der 34-Jährige habe vor seiner Auslieferung keinen Richter gesehen, sagte David Mühlberger zu BR24. Auch ihn, seinen Anwalt, habe er nicht anrufen dürfen.
Welche Konsequenzen hat das für den Mann?
Der Missbrauch des gewährten Klinikausgangs als solcher ist nicht strafbar. Die Ermittler prüfen derzeit, ob der 34-Jährige während seiner Flucht Straftaten begangen hat. Bislang gebe es aber keine Hinweise darauf.
Zurück in der Klinik muss der Mann aber mit dem Entzug aller Lockerungen rechnen. Der sogenannte Lockerungsmissbrauch werde zusammen mit dem Patienten aufgearbeitet und darauf aufbauend eine neue Therapie erstellt, erklärte eine Sprecherin der Bezirkskliniken Mittelfranken.
Die Einrichtung selbst hat den Vorfall laut eigenen Angaben zusammen mit den Behörden bereits umfassend untersucht. "Seitens der Behörden gab es keine Beanstandungen des Vorgehens und der Abläufe in der Klinik", teilte die Sprecherin mit.
Warum ist der Mann in der Psychiatrie untergebracht?
Er war 2009 als damals 18-Jähriger mit einem Beil, Messern und Molotow-Cocktails in einer Schule in Ansbach Amok gelaufen und hatte neun Mitschüler und einen Lehrer verletzt. 2010 war er unter anderem wegen versuchten Mordes in 47 Fällen zu neun Jahren Jugendhaft verurteilt worden. Eine Jugendkammer hatte zudem die unbefristete Unterbringung in einer Psychiatrie angeordnet. In Erlangen befand sich der 34-Jährige seit sieben Jahren in Therapie. Die Klinik hatte mitgeteilt, dass von ihm für die Öffentlichkeit keine Gefahr ausgehe.
Mit Informationen von dpa.
Dieser Artikel ist erstmals am 08.09.2025 auf BR24 erschienen. Das Thema ist weiterhin aktuell. Daher haben wir diesen Artikel erneut publiziert.
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