Dem Verband für Bildung und Erziehung (VBE) zufolge berichten Schulleiter deutschlandweit von körperlicher und psychischer Gewalt auf dem Schulhof. Was können Schulen tun, um Kinder zu schützen? In Aschaffenburg sprechen Schüler, Lehrer und Sozialarbeiter offen über ihren Alltag und zeigen Möglichkeiten auf.
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Kinder und Jugendliche brauchen Werte
Der Gong ertönt. Die 7b der Dalberg Mittelschule ist auf dem Weg in ihre Klasse. Heute tagt der Klassenrat. Ein Thema ist der Streit zweier Mitschüler, der mit einer Schlägerei endete. "Eigentlich wollte ich nur einen Spaß machen und habe was mit Sklaverei und so gesagt", meint Mers. Tyrese fand es aber nicht lustig. Die Situation schaukelte sich hoch. Beiden tut es leid, sie kennen sich seit dem Kindergarten und sind eigentlich Freunde.
Im Klassenrat sprechen die Schülerinnen und Schüler über die Situation. "Der Klassenrat ist eine gute Möglichkeit, den Schülern ein Verständnis für Demokratie näherzubringen", sagt Klassenlehrer Philipp Difour. "Wir teilen uns ja mit der Grundschule ein Gebäude und ich nehme schon wahr, dass der Zugang zu Gewalt – auch über soziale Medien – zunimmt und dass auch das Alter, in dem Schüler damit konfrontiert werden, immer weiter nach unten geht." Difour ist ein sogenannter Wertemultiplikator und schult andere Lehrkräfte in der Region. "Für uns als Lehrer würde ich mir wünschen, dass Werte mehr in den Vordergrund gerückt werden. Davon würden wir auch als Gesellschaft nachhaltig profitieren", so Difour.
Die "Null-Toleranz-Schule"
Die Vermittlung von Werten wie Respekt, Toleranz und Demokratie spielt eine große Rolle an der Dalberg Grund- und Mittelschule. "Wir sind eine Null-Toleranz-Schule", betont der stellvertretende Schulleiter Dirk Will. Wer gewalttätig wird, muss nach Hause gehen.
Wichtiger sei aber, dass die Schüler lernen, "sich emotional zu regulieren, mit Provokationen so umzugehen, dass eben keine Gewalt ausbricht", sagt Will. Etwa mit dem Anti-Mobbing-Programm "Nette Ente", mit Streitschlichtern auf dem Pausenhof oder mit dem Kurs "Raufen nach Regeln", das ein Ringer mit den Schülern durchführt.
Im Video: Wie eine Schule gegen Mobbing und Gewalt ankämpft
Aschaffenburger Schüler nehmen am Kurs Kurs "Raufen nach Regeln" teil.
"Externe holen die Schüler gut ab"
Der frühere Ringer Lukas Fecher war schon mehrfach an der Schule und rauft mit den Schülerinnen und Schülern – aber nach Regeln. Sein Ziel: Das Selbstbewusstsein der Jugendlichen zu stärken und Vertrauen aufzubauen.
"Lukas ist ein Gerechtigkeitstyp", sagt die Fünftklässlerin Mai. Das findet sie gut. "Die Externen holen unsere Schüler nochmal ganz anders ab", betont auch Christiane Gollas, die sich im Armdrücken misst. Sie ist Jugendsozialarbeiterin und betreut auffällig gewordene Schüler an der Mittelschule, spricht mit ihnen und ihren Eltern. "Man muss immer schauen, aus welchem Umfeld die Kinder kommen. Viele von ihnen leben beengt, haben viele Geschwister, das soziale Umfeld ist teils schwierig. Und wenn es einem nicht gut geht, dann kann man auch nicht lernen."
Schule im Startchancen-Programm
Mit dem Aschaffenburger Wolfgang Gärthe und seiner Initiative "Jugend mit Zukunft" hat die Schule bereits einige Projekte in Sachen Gewaltprävention umgesetzt. Mit Erfolg: Im letzten Schuljahr hatte sich die Zahl der Grundschüler, die aufs Gymnasium gehen, verdoppelt. Auch die Zahl der Mittelschüler, die direkt nach dem Abschluss eine Ausbildung begonnen haben, ist von 22 auf 39 Prozent gestiegen. Nun ist die Schule zudem ins Startchancen-Programm aufgenommen worden - mit 4.000 Schulen das größte Bildungsprogramm von Bund und Ländern in der Geschichte der Bundesrepublik. Es will allen Kindern die gleichen Bildungschancen ermöglichen – unabhängig von ihrer sozialen Herkunft.
Statistik belegt: Gewalt unter Kindern steigt
13.755 Gewaltdelikte tatverdächtiger Kinder unter 14 Jahren verzeichnet die bundesweite Kriminalstatistik der Polizei für das Jahr 2024 - ein Anstieg um 11,3 Prozent. Ähnlich ist die Entwicklung bei Jugendlichen - ein Zuwachs um 3,8 Prozent auf 31.383 Tatverdächtige zwischen 14 und 18 Jahren. Als Grund sehen Experten etwa die psychische Belastung durch die Corona-Maßnahmen.
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