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Nur zwei Stunden nach dem Anschlag auf Teilnehmer einer Streik-Demo in München gab die Polizei vor laufenden Kameras erste Informationen über den Tatverdächtigen bekannt: "Zum Täter kann man momentan sagen: Es ist ein 24-jähriger Afghane, vom Status her ein Asylbewerber." So mancher fühlte sich erinnert an den Messerangreifer von Aschaffenburg – einen ausreisepflichtigen Afghanen.
Später präzisierte Innenminister Joachim Herrmann (CSU), dass der 24-Jährige nicht ausreisepflichtig war. Der Mann war also weder geduldet noch illegal in Deutschland, sondern verfügte über eine Aufenthaltsgenehmigung. "Er hat sich insofern rechtmäßig in München aufgehalten", betonte der CSU-Politiker. Was bedeutet das? Worin besteht der Unterschied zwischen Duldung, Aufenthaltsgestattung und -erlaubnis? Und was hatte es mit der Sicherheitsbefragung bei Farhad N. auf sich? Die wichtigsten Begriffe im Überblick:
Asylantrag und Aufenthaltsgestattung
Farhad N. kam 2016 im Alter von 15 Jahren als "unbegleiteter Minderjähriger" nach Deutschland. Bei unbegleiteten Minderjährigen kann ein Asylantrag vom Jugendamt oder einem Vormund gestellt werden. Unabhängig vom Alter: Während ihr Verfahren läuft, erhalten Asylbewerber grundsätzlich eine vorübergehende "Aufenthaltsgestattung".
Der Asylantrag von Farhad N. wurde 2017 gestellt – und wenige Monate später abgelehnt, weil das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge keine Belege für eine politische Verfolgung des Jugendlichen sah. Danach landete der Fall vor dem Verwaltungsgericht München, das die Ablehnung erst Ende 2020 abschließend bestätigte.
Abgelehnter Asylbewerber
Fällt ein Asylverfahren rechtskräftig negativ aus, erlischt die Aufenthaltsgestattung oder wird entzogen. Somit sind abgelehnte Asylbewerber "vollziehbar ausreisepflichtig".
Für Farhad N. galt das ab Ende 2020. Eine solche Ausreisepflicht bedeutet allerdings nicht in jedem Fall, dass die Migranten Deutschland auch verlassen müssen. Unter bestimmten Voraussetzungen kann die Ausreisepflicht beispielsweise ausgesetzt werden.
Duldung und Aufenthaltsgenehmigung
Eine Duldung ist laut Gesetz eine "vorübergehende Aussetzung der Abschiebung". Geduldet werden Ausländer beispielsweise, wenn eine Abschiebung wegen der politischen oder humanitären Lage im Heimatland nicht möglich ist. Eine Duldung kann auch erteilt werden, wenn jemand keine Ausweisdokumente hat, krank ist oder ein minderjähriges Kind hat, das eine Aufenthaltserlaubnis besitzt. Auch eine Ausbildung kann Grund für eine Duldung sein. Geduldete gelten aber weiterhin als "ausreisepflichtig".
Farhad N. erhielt seinen Duldungsbescheid im Frühjahr 2021. Die Stadt München teilt auf BR-Anfrage mit, dass er sich nach seinem Schulabschluss 2020 in Ausbildung befunden und eine Aufenthaltsgewährung für gut integrierte junge Volljährige beantragt habe. Außerdem seien zu diesem Zeitpunkt keine Abschiebungen nach Afghanistan durchgeführt worden. Im ersten Halbjahr 2021 gab es allerdings noch Abschiebeflüge nach Afghanistan, erst im August 2021 wurden sie wegen der problematischen Sicherheitslage ausgesetzt.
Aufenthaltserlaubnis und Fiktionsbescheinigung
Im Oktober 2021 erteilte ihm die Stadt München eine Aufenthaltserlaubnis, die zwei Jahre gültig war – also bis Herbst 2023. Mit einem solchen Papier gelten Ausländer nicht mehr als ausreisepflichtig. Allerdings wird die Erlaubnis nur befristet zu einem bestimmten Zweck erteilt: zum Beispiel für eine Ausbildung oder eine Erwerbstätigkeit, aus humanitären, politischen oder familiären Gründen. Eine Verlängerung ist nur möglich, wenn weiterhin jene Voraussetzungen vorliegen, die zur ersten Aufenthaltserlaubnis geführt hatten.
Farhad N. hatte zwar eine Verlängerung beantragt, die Entscheidung darüber konnte nach Angaben der Stadt München aber "noch nicht abschließend erledigt werden". Daher sei ihm, wie in solchen Fällen üblich, zur Überbrückung eine sogenannte Fiktionsbescheinigung ausgestellt worden, "die noch bis April 2025 gültig ist". Mit einer solchen Bescheinigung gilt die Aufenthaltserlaubnis bis zur Entscheidung weiter. Demnach war der Afghane aktuell also rechtmäßig in Deutschland – und nicht ausreisepflichtig.
Warum hat die Entscheidung so lange gedauert?
Ein Grund dafür, dass über den Verlängerungsantrag noch nicht entschieden werden konnte, war ein Betrugsverfahren gegen Farhad N.: Er hatte sich zu spät beim Jobcenter aus der Arbeitslosigkeit abgemeldet. Erst im August 2024 teilte die Staatsanwaltschaft der Ausländerbehörde mit, dass das Verfahren gegen eine Geldauflage eingestellt wurde. Darüber hinaus musste die Münchner Ausländerbehörde von Farhad N. fehlende Unterlagen anfordern, zum Beispiel seinen Arbeitsvertrag und einen Gehaltsnachweis.
Zwei Sicherheitsbefragungen bei Farhad N.
Menschen aus sogenannten Gefährderstaaten – zu denen Afghanistan zählt – müssen sich laut Ausländerrecht einer Sicherheitsbefragung unterziehen, damit eine Aufenthaltserlaubnis erteilt oder verlängert werden kann. Der standardisierte Fragebogen umfasst 26 Seiten.
Nach Angaben der Stadt München wurde die Sicherheitsbefragung bei Farhad N. im Juli 2021 vorgenommen. "Auch die Sicherheitsanfrage beim Landesamt für Verfassungsschutz war ohne Erkenntnisse", teilt die Stadt mit. Eine weitere Sicherheitsbefragung habe im November 2021 stattgefunden. Dabei habe Farhad N. die Angabe zu seinem Geburtsort korrigiert. Warum der Mann nach Erteilung der Aufenthaltserlaubnis zum zweiten Mal überprüft wurde, geht aus dem Schreiben der Stadt nicht hervor.
Beim Anschlag in München gehen die Ermittler von einem religiösen beziehungsweise islamistischen Motiv aus, wenngleich bisher keine Verbindung zu islamistischen Gruppierungen festgestellt wurde. Ob Farhad N. auch schon zum Zeitpunkt der Sicherheitsbefragungen vor fast vier Jahren mit dem Islamismus sympathisierte und dies verbergen konnte oder sich erst später radikalisierte, lässt sich im Moment nicht sagen.
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