Das Wasser steht fast bis zum Rand dieser Baustelle
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Das Wasser steht fast bis zum Rand dieser Baustelle.

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Baugebiete am Wasser - wie weiter nach der Flut?

Baugebiete am Wasser - wie weiter nach der Flut?

Überflutete Häuser und verzweifelte Bewohner. Das Hochwasser vor rund einem Monat hat Bayern hart getroffen. Bauherren treibt die Frage um, wie sicher ihre Immobilien sind. Behörden ringen derweil um neue Richtwerte.

Über dieses Thema berichtet: Mittags in Schwaben am .

Strahlend weiß blitzen die Häuser am Ulmenring in Offingen. Es sind vor allem junge Familien, die hier gebaut haben, sagt Bürgermeister Thomas Wörz. Nun kommen für die Hausherren neben Hunderttausenden Euro an Krediten teilweise noch Zehntausende Euro an Sanierungskosten dazu.

Auf über 5,40 Meter war die Mindel gestiegen. Der Pegel für ein hundertjährliches Hochwasser liegt einen halben Meter tiefer. "Die Behörden hätten sicher niemals das Einverständnis zu einem neuen Baugebiet gegeben, wenn eine Gefährdung zu einem hundertjährlichen Hochwasser vorgelegen hätte", sagt Wörz. "Das war eine Flut, mit der hatte niemand gerechnet." Offingen ist kein Einzelfall, auch im Nachbarort Gundremmingen war besonders das Neubaugebiet betroffen.

Kritik der Versicherungsbranche

Anja Käfer-Rohrbach vom Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft (GDV) bezweifelt, ob die momentanen Vorgaben ausreichen, um für künftige Ereignisse gewappnet zu sein. Vielerorts in Deutschland sei die Lage der Immobilien noch problematischer: "Mehr als 300.000 Häuser stehen in amtlich festgesetzten Überschwemmungsflächen. Das sind keine Schwarzbauten, sondern sie wurden von den Kommunen genehmigt. Jedes Jahr kommen ungefähr 1.500 Neubauten dazu", so Käfer-Rohrbach.

Im Ahrtal habe man sich zwar einerseits um den Hochwasserschutz bemüht, andererseits seien Häuser in Risikozonen wieder aufgebaut worden oder Neubauten entstanden, die es dort vorher nicht gab. Nach Ansicht des GDV muss vor einer generellen Versicherungspflicht für alle Hausbesitzer erst einmal dieses Problem gelöst werden. Sonst werde es am Ende für alle "immer teurer".

Ausnahmen bei Genehmigung

Die EU versucht, das Hochwasserrisiko mit einer eigenen Richtlinie zu managen. Alle sechs Jahre werden nicht nur Hochwasserrisiken bewertet, sondern auch Gefahren- und Risikokarten erstellt, samt entsprechender Maßnahmen. Bis Ende 2025 sollen die nächsten Karten angepasst werden. Wie sich die aktuell hohen Pegel darin niederschlagen, ist noch unklar.

"Die Frage ist, handelt es sich hier um Ausreißer oder bewegen sich die Werte generell nach oben. Das müssen letztlich Statistiker entscheiden", sagt Karl Schindele, Leiter des Wasserwirtschaftsamts in Kempten. Sein Amt gibt vor Bauvorhaben eine Stellungnahme ab, die von den Kommunen und dem Landratsamt gewürdigt werden muss. Es sind aber Ausnahmen möglich, etwa wenn ein Baugebiet nirgendwo anders entstehen kann und eine Gemeinde in ihrer Entwicklung eingeschränkt wäre. "Auch dort, wo schon Baurecht besteht, können wir nur schwer eine einzelne Baugenehmigung verhindern", so Schindele. Der rechtliche Maßstab für das Bauen sei derzeit noch das HQ100, also das hundertjährliche Hochwasser. Doch das könnte sich ändern.

Richtwerte im Fluss

Zum 1. Juli trat das Klimaanpassungsgesetz des Bundes in Kraft. "Bislang konnte man das Hochwasser abwägen. Das neue Gesetz enthält jetzt aber ein Berücksichtigungsgebot", erklärt Juliane Thimet vom Bayerischen Gemeindetag. Sie geht davon aus, dass das Thema künftig einen ganz anderen Einfluss auf die Bauplanungen nehmen wird und sie unter Umständen auch leichter stoppen kann.

Damit bestehende Siedlungen beispielsweise auch Starkregen besser verkraften können, hofft sie unter anderem auf die Eigentümer. Sie könnten ungenutzte Baugrundstücke an die Gemeinde verkaufen, damit dort Rückhaltebecken mit dem Ziel angelegt werden, die Nachbarn zu schützen. "Um mit dem Klimawandel langfristig umgehen zu können, wird es wahrscheinlich nicht beim hundertjährlichen Hochwasser als Richtwert bleiben. Die Empfehlungen gehen in Richtung eines HQ extrem, also der eineinhalbfachen Regenmenge", sagt Thimet.

Käufer dürfen noch mal überlegen

Mancherorts wird schon großzügiger geplant. Am Bahnhof in Günzburg entsteht in den kommenden Jahren ein Neubaugebiet mit rund 300 Wohnungen. Obwohl es nah an der Mündung der Günz in die Donau liegt, hatte das Hochwasser das Gelände weitgehend verschont. "Es hatte zwar die Uferböschung beschädigt, aber das Areal selbst ist auf ein derartiges Hochwasser ausgelegt. Wir hätten noch mehr verkraftet", sagt Architekt Ronald Beck, der sich um die Bauleitung vor Ort kümmert.

In Offingen will die Gemeinde Kaufinteressenten, auch wenn sie bereits Notar-Termine für Grundstücke vereinbart haben, noch Zeit geben. "Jeder soll bis Ende des Jahres nachdenken, ob er hier noch kaufen will. Als Bürgermeister habe ich dafür volles Verständnis", sagt Bürgermeister Wörz.

Hochwasser als Herausforderung

Leicht wird es für Kommunen nicht, schließlich bringt gerade auch der Verkauf von Grundstücken Geld in die Gemeindekasse. Nun müssen sie zusammen mit Landratsämtern, dem Wasserwirtschaftsamt und Ministerien Lösungen finden. Einfach wird es nicht, betont Thimet. "Auch was man in der Vergangenheit schon hochwasserfrei gelegt hatte, muss man neu angehen. Wenn wir HQ extrem erreichen wollen, stehen wir mit vielen Maßnahmen wieder ganz am Anfang."

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