Morgendliche Teambesprechung im Bestattungsunternehmen Georg Hartl in Prien am Chiemsee. Anna Hesslinger erzählt, dass es für sie heute nach Übersee geht, auf den kirchlichen Friedhof: "Ich mache eine Sargaufbahrung mit der Aufbahrungsdekoration mit blauen Tüchern."
Die 24-Jährige wird gerade zur Bestatterin ausgebildet und ist nicht die einzige junge Kollegin im Team. Was bewegt junge Menschen, in den Beruf mit dem Tod einzusteigen? Kontrovers - Die Story hat sie begleitet.
Im Video: Kontrovers-Story - Der Tod ist mein Leben
Warum ausgerechnet dieser Beruf?
Bei Hesslinger hat ein Praktikum den Stein ins Rollen gebracht: Es habe ihr so gut gefallen, dass sie sich dazu entschlossen habe, Bestatterin werden zu wollen, erinnert sie sich an ihren Weg.
Durch den Gärtnereibetrieb ihrer Mutter war sie auch als Kind auf Friedhöfen und hatte keine Berührungsängste. Ihre Oma könne dennoch nicht verstehen, warum sich die Enkelin ausgerechnet für diesen Beruf entschieden habe. Schließlich müsse sie das ja traurig machen, der Umgang mit den Verstorbenen. Für die Auszubildende überwiegen jedoch die schönen Momente des Berufs, "deswegen ist das auch nichts Bedrückendes."
Distanz beginnt bei der Kleidung
In der Ausbildung lernt Hesslinger neben dem Handwerk die nötige Distanz: "Wir bereiten uns ja in der Früh eigentlich schon auf unseren Beruf vor, indem wir unsere Arbeitskleidung anziehen. Da legen wir dann unser Privatleben ab - und dann sind wir in unserem Arbeits-Sein."
Im zweiten Lehrjahr kann Hesslinger mit vielen Situationen professionell umgehen. Doch manche Momente gehen auch ihr nah. "Der Moment, wenn Kinder von einem Elternteil Abschied nehmen müssen, da müssen auch wir immer schlucken", räumt die Auszubildende ein.
"Ein Beruf, der gibt sehr, sehr viel zurück"
Die Ausbildung ist vielfältig. Für Hesslinger gehört das sogenannte Sarg-Ausschlagen, also das Bepolstern der Särge mit einem Drucklufttacker, ebenso dazu wie das Abholen Verstorbener bei ihren Angehörigen. Anschließend folgt die Totenversorgung - also die Arbeit am und mit dem Verstorbenen - sowie der Transport zum Aufbahrungsort, den sie dekoriert und für die Angehörigen herrichtet. "Das ist ein Beruf, der gibt sehr, sehr viel zurück, die Dankbarkeit der Angehörigen, wenn sie sich verabschieden können, wenn man die Arbeit gut gemacht hat", sagt Hesslinger.
Jeder ist anders - auch im Tod
Beim Angehörigenkontakt sieht sie ihre größte Verantwortung. Hesslinger will dieselbe Unterstützung bieten, wie sie sie selbst beim Verlust von Familienangehörigen bereits erfahren hat: "Ich versuche einfach, die Person zu sein, die dann begleitet, unterstützt und die helfende Hand gibt." Ihr ist wichtig, den Verstorbenen und Angehörigen einen würdevollen Abschied zu ermöglichen.
Jeder Trauerfall sei anders, jede Situation einzigartig. Das mache den Beruf herausfordernd. "Für mich persönlich ist die Herausforderung, mich an den Verstorbenen anzupassen, weil jeder ist verschieden und ich weiß immer nicht, was auf mich zukommt, wenn ich dann am Verstorbenen arbeite", sagt die Auszubildende.
Arbeit mit Toten: "Keine Hemmung mehr"
In der Ausbildung lernt sie, wie ein Toter versorgt und für die Aufbahrung und den Abschied durch Angehörige vorbereitet wird. Betriebsleiter Lukas Brünnler unterstützt sie heute dabei, Augen und Mund einer Verstorbenen zu verschließen. "Ligatur" heißt das Verfahren und ist eine Methode, um den Mund des Verstorbenen geschlossen zu halten.
Hesslinger bereitet die Instrumente vor. Auf den ersten Blick unterscheidet sich das Bestattungsunternehmen in diesem Moment wenig von einer Klinik. Hesslinger nimmt ein spezielles, gebogenes Instrument, eine Art Nadel, an der ein Ligaturfaden befestigt ist, und sucht eine geeignete Einstichstelle - der Betriebsleiter ist zufrieden.
Intensives Lernen - über die Ausbildung hinaus
Hemmungen habe sie keine mehr, sagt die 24-Jährige in der Kontrovers-Story, aber "manchmal erschrecke ich, weil wenn nochmal die Lunge bewegt wird, kann es sein, dass nochmal ein Ton rauskommt."
In den vergangenen zwei Ausbildungsjahren hat Hesslinger viel gelernt. Über das Leben. Und über den Tod: "Ich glaube, man nimmt vieles, wenn man sich dem Tod dauerhaft so bewusst ist, intensiver wahr. […] Vom Tod habe ich gelernt, dass er kommt, wann er will."
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