Eine Frau ertastet mit einem Blindenstock den Untergrund.
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Erste Schritte am Langstock für Claudia Klein bei ihrem ersten Mobilitätstraining.
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Erste Schritte am Langstock für Claudia Klein bei ihrem ersten Mobilitätstraining.

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So trainieren Menschen für ihren Alltag mit Blindenstock

So trainieren Menschen für ihren Alltag mit Blindenstock

Am 15. Oktober ist der Aktionstag des weißen Stocks – des Blindenstocks. Einige Personen kommen blind zur Welt. Andere erblinden erst im Laufe ihres Lebens. Wie lernen sie, sich ohne Augenlicht zu orientieren? Ein Beispiel aus Unterfranken.

Über dieses Thema berichtet: Frankenschau aktuell am .

"Klack, klack, klack", macht der weiße Stock, während Claudia Klein ihn gleichmäßig von der einen auf die andere Seite vor ihr auf dem Boden hin- und herpendelt. Für die pensionierte Telefonistin aus Wiesthal im unterfränkischen Landkreis Main-Spessart sind es die ersten Schritte am Blindenstock. Denn Klein ist mit Augenlicht geboren worden und erst nach und nach erblindet. Mit 70 Jahren möchte sie es noch einmal wissen. Und sich so wieder Lebensqualität erarbeiten. Durch das Mobilitätstraining lernt sie, sich mit dem Blindenstock zu orientieren.

Mobilitätstraining für mehr Unabhängigkeit

"Entschieden habe ich mich dafür, um wieder ein bisschen unabhängiger zu sein, mich freier bewegen zu können, nicht ständig für jeden Schritt jemanden zu brauchen. Das ist bisher noch der Fall", sagt die 70-Jährige. Denn sie ist mit der erblichen Augenerkrankung RP geboren worden. Bis sie 20 Jahre alt war, konnte sie fast normal sehen, aber mit der Zeit sind immer mehr Netzhautzellen abgestorben. Ihr Blickfeld wurde kleiner, bis sie ganz erblindet ist.

Damit hat sie bayernweit, genau wie bundesweit, Anspruch auf 45 Einheiten Mobilitätstraining. Vor 30 Jahren waren es noch 120 Einheiten. Kleins Mobilitätstrainerin ist die 65-jährige Kirsten Hüser-Nuß. In der ersten Übungsstunde bringt sie ihrer Klientin zunächst das Pendeln des Blindenstocks bei, das ein lockeres Handgelenk erfordert.

Drohende Versorgungslücke bei Mobilitätstraining

Anlässlich des heutigen Aktionstags betont Kirsten Hüser-Nuß, seit 35 Jahren Reha-Lehrerin und Mobilitätstrainerin, die Bedeutung von Mobilitätstrainings für erblindete Personen: "Das ist ganz wichtig, um eigenaktiv zu bleiben und ohne fremde Hilfe nach draußen zu können." Beides sei essenziell für das Selbstwertgefühl und die Lebensqualität blinder Menschen.

Die 65-Jährige appelliert an die Politik, für Nachwuchs zu sorgen. Denn die Versorgungssituation sei bayernweit schlecht. Viele Mobilitätstrainingskräfte würden demnächst in Rente gehen, dann drohe eine Versorgungslücke. Mobilitätstrainerinnen und -trainer wird man durch eine Weiterbildung, Voraussetzung sind etwa Ausbildungen als Rehafachkraft oder Erzieherin.

Genaue Zahlen zu blinden Menschen fehlen

Laut Schätzungen des Bayerischen Blinden- und Sehbehindertenbunds e.V. (BBSB) gibt es rund 100.000 blinde und sehbehinderte Menschen im Freistaat, genaue Zahlen gibt es aber nicht. "Leider ist die Datenlage in Deutschland unzureichend. Es gibt keine verlässlichen Zahlen, da die Art der Behinderung derzeit nicht im Mikrozensus erfasst wird", heißt es vom BBSB. Diese Datenlücke erschwere eine seriöse Bedarfsermittlung für politische Maßnahmen.

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Claudia Klein am Blindenstock, hinter ihr läuft ihre Mobilitätstrainerin Kirsten Hüser-Nuß.

Blindenstöcke seit fast 100 Jahren

Den Blindenstock oder auch weißen Langstock gibt es seit den 1930er-Jahren. Zum Bekanntwerden hat die französische Aktivistin Guilly d'Herbemont beigetragen, die 1931 die erste Kampagne zur Verbreitung weißer Stöcke ins Leben rief, um blinde Menschen im Straßenverkehr sichtbarer zu machen. Für die Farbe Weiß entschied man sich, da die Stöcke auch im Dämmerlicht noch gut sichtbar sein sollten.

Den von den Vereinten Nationen ausgerufenen Aktionstag des weißen Stocks gibt es seit 1964. Er soll auf die Rechte und Bedürfnisse blinder sowie sehbehinderter Menschen aufmerksam machen.

Trainingsziele individuell

Klein wird durch das Mobilitätstraining die richtige Stockhaltung und Pendelbewegung lernen, geradeaus und an Hindernissen entlangzugehen, sowie Treppen zu steigen. Außerdem probiert sie unterschiedliche Spitzen für Blindenstöcke aus, die je nach Wetter oder Umgebung ausgetauscht werden. Das langfristige Ziel der pensionierten Telefonistin sind eigenständige Spaziergänge oder Busfahrten in den nächsten Ort. Das Fazit der 70-Jährigen nach der ersten Übungseinheit: "Ich glaube, das könnte mir Spaß machen!"

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