Ortstermin im Münchner Westen: In seinem Wohnzimmer stimmt Jesse Cole seine Westerngitarre. Er schlägt einen Cis-Moll-Akkord an, seine Stimme erfüllt den Raum: "Sand in meiner Seele. Sand fließt durch mein Blut. Werd' ignoriert in meinem Lande, werd' verleugnet und verdammt", singt der Musiker.
In seinen Liedern verarbeitet er die Gefühle von Männern und Frauen, die aus Auslandseinsätzen zurückgekehrt sind – mit "Sand in der Seele". Coles Protestsongs sind zu so etwas geworden, wie dem inoffiziellen Soundtrack der deutschen Veteranenbewegung. Diese ist erst in den vergangenen Jahren entstanden. Der Wahl-Münchner spielt häufig auf ihren Treffen.
Erster Nationaler Veteranentag: Feier in Berlin mit Künstlern, Diskussionen und Begegnungen
Ohne Druck durch eine solche Bewegung wäre ein Nationaler Veteranentag wohl nie zustande gekommen. Mit ihm werden am 15. Juni erstmals alle aktiven wie ehemaligen Soldaten der Bundeswehr geehrt, sofern sie nicht unehrenhaft entlassen wurden. Der Bundestag hatte das im vergangenen Jahr so beschlossen.
In Berlin gibt es eine zentrale Veranstaltung vor dem Reichstagsgebäude. Eröffnet werden soll sie von Bundestagspräsidentin und Schirmherrin Julia Klöckner (CDU), anschließend wird es Podiumsdiskussionen und Auftritte von Künstlern wie Michael Schulte und Glasperlenspiel geben. Ein "Veteranendorf" soll Raum für Begegnungen bieten.
Wunsch nach Wertschätzung
Für den Musiker Jesse Cole ist es an der Zeit, dass Deutschland offiziell und öffentlich zu seinen Veteranen steht. Das macht er im Interview deutlich. Für den Veteranentag hat er eigens einen Popsong geschrieben. Der unterscheidet sich deutlich von seiner Country-Musik, indem häufig der Wunsch nach Wertschätzung zum Ausdruck kommt. Dieser ist es auch, der die deutsche Veteranenbewegung zusammenschweißt.
Vielfältige Bewegung mit unterschiedlichen Ansätzen
Ihr sind zahlreiche Zusammenschlüsse zuzuordnen, die jeweils eigene Schwerpunkte setzen, indem sie etwa für eine bessere Versorgung traumatisierter Soldaten eintreten, wie beispielsweise der "Bund Deutscher Einsatzveteranen" oder der Verein "Veteranenkultur". Dieser finanziert mit Spenden auch Auszeiten für Kinder aus Familien traumatisierter Einsatzkräfte.
"Die Kinder bekommen am meisten davon mit, wenn jemand mit seelischen oder psychischen Verletzungen aus dem Einsatz heimkehrt und das in die Familie trägt", sagt Klaus Böhm. Der Münchner Polizeibeamte und ehemalige Zeitsoldat engagiert sich in dem Verein. Im Mai hat er einen "Marsch der Wertschätzung" durch München organisiert. Damit wollten er und seine Mitstreiter ein Zeichen für Respekt gegenüber Einsatzkräften setzen. Vergleichbare Märsche finden jährlich in verschiedenen Städten statt.
"Erfahrungen interessierten zu Hause nicht"
Einer, der die Entstehung der Veteranenbewegung aus der Nähe beobachtet hat, ist Bernd Schaller. Der gebürtige Augsburger ist Katholischer Leitender Militärdekan in Berlin. Mehrfach war er mit im Einsatz und als Seelsorger für die Truppe da. Schaller sagt, es sei eine "Eigendynamik" entstanden. Die Erfahrungen der Heimkehrer hätten zu Hause teils niemanden interessiert. Deswegen, so der Seelsorger, "hat man sich mit denen verbunden, denen man nichts erklären muss. Also denen, die dabei waren".
Veteranentag am 15. Juni: Welche Events gibt es in Bayern?
Eigentlich – so heißt es im entsprechenden Bundestagsbeschluss – sollten parallel zum Großevent in Berlin auch in den Ländern und Kommunen Veranstaltungen stattfinden. Eine exemplarische Umfrage unter den sechs größten bayerischen Städten zeigt indes: Im Hinblick auf offizielle Veranstaltungen sieht es dort mau aus. Nur Ingolstadt plant etwas. Die Stadt zieht aber erst eine Woche später im Rahmen des "Festungstages" nach. Dort werden Bundeswehr- und Reservistenverband vertreten sein.
Kleinere Veranstaltungen gibt es aber durchaus am 15.6. Etwa laden mehrere bayerische Reservistenkameradschaften ein. Frei ist für Veteranen auch der Eintritt in staatliche Schlösser und Museen.
Von Regen in Niederbayern aus machen sich Veteranen bereits heute (8.6.) mit dem Rad auf den Weg nach Berlin zur zentralen Veranstaltung. Unterwegs auf ihrer "Tour of Valor" machen sie mehrfach Station. Die erste Etappe führt von Regen nach Oberviechtach, dann geht es weiter nach Marktredwitz. Laut deutschem Bundeswehrverband soll die Aktion auf die Herausforderungen aufmerksam machen, vor denen Einsatzgeschädigte stehen und zugleich zeigen, "welche Leistungen trotz schwerer Schicksalsschläge möglich sind".
Veteranentag: "Ein zartes Pflänzchen"
Bernd Schaller nennt den Veteranentag mit Blick auf die überschaubare Zahl an Großveranstaltungen "ein zartes Pflänzchen". Es brauche Zeit, bis sich ein derartiger Gedenktag etabliere. Er selbst wird in Berlin eine multireligiöse Feier mitgestalten. Sie ist Teil der zentralen Veranstaltung.
Bei ihm klingt allerdings auch durch, dass es erst einen Krieg in Europa gebraucht hat, um überhaupt den Boden für so einen Tag zu bereiten. Der Militärpfarrer fordert, den Veteranengedanken auch im Kontext aktueller Bedrohungen zu sehen: "Es wäre verlogen, das nicht zu sagen. Schließlich kann es uns ganz schnell betreffen. Und dann werden wir alle um die dankbar sein, die wissen, um was es geht."
Mehr zur Veteranenbewegung und ihren Themen erfahren Sie in der aktuellen BR24 Reportage. Im BR24 Radioprogramm wird sie am 8.6. um 14:35 Uhr ausgestrahlt. Bayern2 sendet sie am 13.6. Als Podcast ist die BR24 Reportage in der ARD-Audiothek abrufbar.
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