Das Urteil der Richter der Zweiten Jugendkammer des Landgerichts Traunstein im März 2024 war eindeutig: Sebastian T. sei für den Mord an der Studentin Hanna W. im Oktober 2022 in Aschau im Chiemgau verantwortlich. Er habe die Medizinstudentin auf ihrem Heimweg von einer Disco von hinten attackiert, geschlagen und dann in den Bärbach geworfen. Neun Jahre lang sollte er dafür ins Gefängnis gehen. Doch dann hob der Bundesgerichtshof das Urteil wegen eines Verfahrensfehlers auf – voraussichtlich ab Mitte September soll der Prozess nun vor einer anderen Kammer des Landgerichts Traunstein neu aufgerollt werden. Eine entscheidende Rolle könnten dabei auch drei neue Gutachten spielen, die die Anwälte des Verurteilten dem Gericht nun vorgelegt haben. Sie legen nahe, dass die Medizinstudentin auch durch einen Unfall gestorben sein könnte.
Drei neue Gutachten stellen Mordthese infrage
In ihrem Urteil hatten die Richter die Unfall-These "sicher" ausgeschlossen. Verschiedene Anträge der Verteidigung, diese These durch Gutachten genauer prüfen zu lassen, hatten sie während der Verhandlung abgelehnt. Nun haben die Anwälte des Verurteilten eigene Gutachten zu dieser Frage beauftragt. Und die stützen die These, dass Hanna W. stark alkoholisiert auch selbst in den Bärbach gestürzt und dort ertrunken sein könnte. Wie auch immer Hanna W. ins Wasser gelangte: Ihre Leiche trieb danach noch knapp 12 Kilometer lang durch den Bärbach und die Prien, bis zu dem Ort, an dem sie schließlich gefunden wurde.
Woher stammen die Kopfwunden an Hannas Leiche?
Zwei der neuen Gutachten befassen sich unter anderem mit der Frage, ob es möglich sei, dass Hanna W. sich die Verletzungen, die sie davontrug, erst im Wasser zuzog. Es geht unter anderem um die Kopfverletzungen, die Rechtsmediziner bei Hanna W. fanden: Das Gericht ging bisher davon aus, dass diese durch eine "stumpfe Gewalteinwirkung" entstanden sein müssten. Die These lautete, dass Sebastian T. ihr mit einem dumpfen Gegenstand auf den Kopf geschlagen habe.
Ein rechtsmedizinisches und ein hydrologisches Gutachten halten nun auch einen anderen Hergang für möglich: nämlich, dass die Kopfverletzungen von einem sogenannten Schütz stammen könnten, einer metallenen Vorrichtung zur Regulierung des Wasserflusses. Ein solches Schütz findet sich bei der Oberprienmühle, wenige Kilometer flussabwärts von Aschau. Daran sitzen Sechskantschraubenmuttern, die genau zur Größe von Hannas Kopfverletzungen passen. Es sei also denkbar, dass Hannas Körper dort hingespült wurde, mehrfach gegen das Schütz prallte und dann über ein Seitenwehr zurück in den Fluss trieb.
Ein drittes Gutachten befasst sich damit, ob Hanna einen Notruf, der in der Todesnacht von ihrem Handy abging, selbst abgesetzt hatte - oder ob womöglich auch der Kontakt mit dem Wasser den Anruf ausgelöst haben könnte.
Verteidigung will Haftprüfung beantragen
Die Verteidiger des Verurteilten Sebastian T. wollen nun seine Haft überprüfen lassen. In der Abwägung der Richter, ob die Haft noch weiter gerechtfertigt ist, könnten nun auch die neuen Gutachten eine Rolle spielen. Die Kammer muss nach Eingang des Antrags auf Haftprüfung innerhalb von zwei Wochen darüber verhandeln.
Das ist die Europäische Perspektive bei BR24.
"Hier ist Bayern": Der BR24 Newsletter informiert Sie immer montags bis freitags zum Feierabend über das Wichtigste vom Tag auf einen Blick – kompakt und direkt in Ihrem privaten Postfach. Hier geht's zur Anmeldung!