Elf Quadratmeter nennt Benny ab sofort sein Zuhause. Leere Regale, weiße Wände, das Fenster auf Kipp. Er braucht die frische Luft immer noch, auch nachts, sagt er. Es ist Februar. Auf dem Schrank verstaut: Isomatte und Schlafsack. Bis vor wenigen Tagen hat der 22-Jährige noch auf der Straße geschlafen.
Vom Heim auf die Straße
Mit Anfang 20 obdachlos. Bennys Lebenslauf ist kein Einzelfall. Auch seine beiden Mitbewohner, Paul und Cindy, haben zeitweise auf der Straße gelebt, bevor sie die Chance im WG-Wohnprojekt bekommen haben. Jeder fünfte Wohnungslose in Deutschland ist jünger als 25 Jahre. "Oft sind das junge Menschen, die schlechte Startbedingungen haben. Wo die Eltern ausfallen, wegen psychischer Erkrankungen oder Drogen", erklärt Stefan Seehaber, Sozialarbeiter der Streetwork Würzburg. Was dann folgt, sind Jahre im Kinderheim. Oder in Pflegefamilien. Aber nichts, das bleibt. Keine Bindung, keine Kontinuität. Diese jungen Erwachsenen können die Maßnahmen der Jugendhilfe zwar noch bis zum 21. Lebensjahr in Anspruch nehmen, aber viele tun sich schwer mit den Strukturen. Dann brechen sie aus und landen auf der Straße oder in der verdeckten Wohnungslosigkeit.
Modellprojekt für ein Jahr
Das soll sich hier jetzt ändern. Die WG ist auf ein Jahr finanziert als Modellprojekt vom Freistaat. In dieser Zeit sollen Benny, Paul und Cindy, die dritte Mitbewohnerin, ihr Leben in den Griff kriegen. Und da geht es noch nicht um Dinge wie Praktikum, Ausbildung oder Job, sagt Seehaber: "Man muss ja ganz von vorne anfangen: Was ist eine Tagesstruktur? Das geht den meisten flöten, die draußen übernachtet haben."
Wohnraum für Wohnungslose hilft langfristig
Seehaber, seine Kolleginnen und Kollegen haben das Wohn-Projekt für junge wohnungslose Menschen lange geplant. Denn Studien zeigen: Wohnen holt obdachlose Menschen langfristig von der Straße. "In ungesicherten Verhältnissen zu leben, blockiert alle anderen Ideen. Da steht zuallererst die Frage: Wo übernachte ich heute Abend? Die Frage, wo ich in drei Jahren sein will, steht hinten an", sagt Seehaber. Die Herausforderung sei jetzt, dass drei Einzelgänger unter ein Dach passen müssen.
Finnland senkt die Obdachlosen-Rate spektakulär
Wie es gehen könnte, von Obdachlosigkeit bedrohte, auch junge Menschen zu stabilisieren, macht Finnland vor: Dort werden unkompliziert als Erstes Wohnungen zur Verfügung gestellt, damit die ehemals Wohnungslosen dann in Ruhe alles weitere regeln können. Housing First heißt das. So ist die Obdachlosigkeit in Finnland beispielsweise um 70 Prozent gesunken.
Seit Einführung von Housing First-Projekten landesweit gibt es 70 Prozent weniger Obdachlose in Finnland.
Im April treffen wir Benny und Paul wieder. Augenscheinlich hat sich nichts verändert in den zwei Monaten seit ihrem Einzug. Keine Vorhänge, leere Regale, das Malervlies noch im Flur. Sozialarbeiterin Pauline Friederich zeigt sich aber optimistisch: "Es sind viele Prozesse, die man von außen nicht sehen kann: Dass sie sich drauf einlassen, hier mitzuarbeiten, auch an der eigenen Perspektive." Es klingt ein bisschen an wie zwei Schritte vor – einer zurück.
Hoher personeller Aufwand
Es gibt einen Putzplan, einen WG-Abend und regelmäßige Eins-zu-eins-Gespräche. Insgesamt ist die Betreuung sehr intensiv – intensiver als ursprünglich gedacht, müssen die Sozialarbeiter zugeben. Sie haben täglich Kontakt zu den Mitbewohnern. Organisieren Ausflüge, Praktika und Fördermittel, klären Konflikte und unterstützen bei der Suche nach einem Therapieplatz. Und während Benny noch immer täglich Drogen konsumiert, ist Paul plötzlich wochenlang nicht zu erreichen. Weder für uns noch für die Sozialarbeiter. Ein Bewerbungstraining hat er inzwischen abgebrochen - Benny dagegen geht in diesem Training richtig auf. Ihm taugt die Vorgabe einer Tagesstruktur.
Für BR24 vor Ort haben wir die Jungs beim WG-Experiment begleitet:
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