Nach Brosius, vor Kaufhold: Rechtspopulisten im "Kulturkampf"
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Nach Brosius, vor Kaufhold: Rechtspopulisten im "Kulturkampf"

Kaum hat Brosius-Gersdorf aufs Richteramt verzichtet, bricht rechtsaußen Jubel aus. "Kulturkampf lohnt!", frohlockt AfD-Frau von Storch. Jetzt ist Ann-Katrin Kaufhold im Visier. Worauf Kulturkampf aus ist, und warum es noch keine neue Kampagne gibt.

Über dieses Thema berichtet: Stadt Land Leute am .

"Wir werden gewinnen", schreibt Beatrix von Storch in einem Beitrag für die neurechte Wochenzeitung "Junge Freiheit". Ihre Vorstellung: "Der Kulturkampf mit den Linksradikalen treibt diese immer mehr in ihre ideologische Blase und die bürgerlich-konservativen Wähler in immer größerer Zahl zur AfD." Wir gegen die, Freund gegen Feind: Von Kompromissen hält von Storch wenig. Die seien "nur dazu da, "einen Kulturkampf zu verhindern". Das will sie nicht.

"Fortwährende Dämonisierung"

Wer im Geschichtsunterricht aufgepasst hat, verbindet womöglich mit dem Wort Kulturkampf die Auseinandersetzung zwischen Bismarck und der katholischen Kirche zu Kaisers Zeiten. Mit Kultur hatte das schon damals nichts zu tun. Es ging um Macht und politischen Einfluss. Heute sind Kontrahenten und Inhalte andere. Identitätspolitische Vorstellungen von links und rechts prallen scheinbar unversöhnlich aufeinander. "Linkes" Alles-ist-möglich trifft auf "rechte" traditionelle Gesellschafts- und Familienbilder.

"Die zivile und produktive Streitlust [...] ist einem zunehmend unversöhnlichen Kulturkampf gewichen", stellen die Soziologin Simone Jung und der Philosoph Victor Kempf fest [externer Link]. Der Bonner Politikwissenschaftler Philipp Adorf spricht von einer "fortwährenden Dämonisierung des Gegners insbesondere von rechts", eine Entwicklung, die von den USA nach Deutschland übergeschwappt sei.

Im Gespräch mit BR24 sagt Adorf mit Blick auf die AfD: "Jede politische Frage wird zu einer Systemfrage erklärt. Es geht nicht mehr um einzelne Aspekte, sondern um das große Ganze, weil man eben glaubt, damit die eigene Wählerbasis motivieren zu können." Ideologische Aufladung verdrängt Sachargumente.

Kaufhold im Visier, aber noch keine Kampagne

Anlass für Storchs Optimismus war der Verzicht Frauke Brosius-Gersdorfs auf das Amt einer Bundesverfassungsrichterin. Rechtsaußen wird das als Etappensieg im Kulturkampf verbucht. Es könnte nicht der letzte sein. Im Visier ist jetzt Ann-Katrin Kaufhold als Kandidatin für das Richteramt. Zu einer regelrechten Kampagne wie im Fall Brosius-Gersdorf hat es noch nicht gereicht.

"Weder mit Blick auf Quantität noch auf Qualität" lasse sich anhand der Beiträge auf der Social-Media-Plattform X bislang von einer Kampagne sprechen, erklärt Philipp Sälhoff, Geschäftsführer des Berliner Thinktanks "Polisphere". Er ist Experte für Desinformation und seine "Beratungsagentur für politische Kommunikation" scannt täglich tausende Medien-Beiträge und Influencer-Posts. Bis Mitte August zählte er alleine auf X mehr als 15.000 Tweets zu Ann-Katrin Kaufhold. Sälhoffs Zwischenfazit: Bezahlte Werbung, massenhaft Briefe an Abgeordnete und reichweitenstarke Online-Petitionen wie bei Brosius-Gersdorf blieben gegen Kaufhold bisher aus.

Vor allem die AfD würde aber die Brosius-Kampagne gerne wiederholen. Sälhoff sagt, es gebe ganz konkrete Aufrufe, den Fokus nun auf Kaufhold zu richten, sowohl in der offiziellen AfD-Kommunikation als auch bei einer Vielzahl von Abgeordneten. Besonders hervor tue sich dabei Beatrix von Storch, die in einem Post schreibt: "Kaufholdstoppen muss trenden!"

Zweiter Aufguss mit geringerer Reichweite

Aber: Den Akteuren fehle sowohl ein fester Wahltermin als auch Klarheit darüber, wie der gesamte Wahlprozess weiter voranschreiten werde. "Beides bräuchte man aber, wenn man so eine Kampagne gut auf ein Ziel ausrichten will", sagt Sälhoff.

Josef Holnburger, Geschäftsführer beim Center für Monitoring, Analyse und Strategie (CeMAS), nennt einen weiteren Grund: Es sei schwer, "mit zweimal einem ähnlichen Hintergrund zu einer großen Reichweite zu kommen." Dennoch beteiligten sich die gleichen sogenannten "alternativen Medien". Es werde erneut versucht, möglichst "viel" gegen Kaufhold "auszugraben".

"Das sind alles Übertreibungen, zum Teil auch Desinformationen und Lügen, die verbreitet wurden, um zu überprüfen, welche Anschuldigungen auf Telegram und X besonders viel organische Reichweite erzielen, häufig geteilt werden und starke Emotionen auslösen", sagt Holnburger. Problematisch werde es vor allem, wenn Bundespolitikerinnen und -politiker auf diese Kampagnen hereinfielen.

Gleiches Muster wie bei Brosius-Gersdorf

Mit welchen Konstrukten einschlägige Medien gegen Kaufhold vorgehen wollen, zeigt ein Artikel des AfD-nahen Portals Nius. Das Strickmuster der Kampagne gegen Frauke Brosius-Gersdorf bleibt. Wörtlich heißt es: "Juristisch bedeutet das: Kaufhold hält es für verfassungsrechtlich möglich, dass mehr als zwei Personen als rechtliche Eltern eines Kindes eingetragen werden – sofern dies dem Kindeswohl dient. Das heißt: Sie positioniert sich eindeutig für mehr als zwei rechtlich eingetragene Elternteile." Eine juristische Expertise wird zu einer politischen Position umgebogen.

Experte: Rechter Kulturkampf keine Antwort auf einen linken

Politiker und Politikerinnen wie Beatrix von Storch rechtfertigen den Kulturkampf als konservative Reaktion auf eine Radikalisierung der Linken. "Nicht die AfD hat sich radikalisiert, die Gesellschaft hat sich unter dem […] immerfort geführten Kulturkampf der radikalen Linken radikalisiert", schreibt die AfD-Abgeordnete in der "Jungen Freiheit".

Philipp Adorf von der Uni Bonn verneint diese Schlussfolgerung im Gespräch mit BR24. Der Kulturkampf sei keine Reaktion, vielmehr habe das "rechtspopulistische Lager seit geraumer Zeit eine klare eigene Strategie". Diesem Lager sei es auch "ein Stück weit egal, was die politische Linke macht".

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