Von einem "unglaublichen Erfolg, für mich persönlich und all die Betroffenen da draußen", spricht Richard Kick. "Das war der Durchbruch", so Kick, als er an diesem Donnerstag den Sitzungssaal S401 im Bayerischen Landtag verlässt. Sein Grund zur Freude: Die Petition, die er gemeinsam mit anderen Betroffenen von sexuellem Missbrauch und Gewalt im Landtag eingebracht hat, wurde einstimmig "gewürdigt". Das heißt: Der Landtag hat sich hinter die Forderungen gestellt, Strukturen zur Aufarbeitung von Gewalt an Kindern auf Landesebene zu schaffen.
Petition beklagt Lücken im System
Kick und seine Unterstützer fordern in ihrer Petition konkret ein bayerisches Aufarbeitungsgesetz, eine unabhängige Aufarbeitungskommission, einen eigenen Betroffenenrat und ein engmaschiges Netz an Beratungsstellen, die dann auch finanziell gut ausgestattet sein müssten.
Bislang gibt es auf Landesebene keine allgemeingültigen Standards und Strukturen, wie und ob kirchliche Organisationen, Vereine, Schulen oder andere Einrichtungen Missbrauch und Gewalt an Kindern aufarbeiten. Gerade die unabhängigen Beratungsstellen seien aktuell unterfinanziert, erklärt Petra Hasler-Kufner von der Landesarbeitsgemeinschaft der freien Fachstellen Bayern. Auch sie unterstützt die Petition.
Grüne: "Klatsche für die Staatsregierung"
Das einstimmige Votum der Landtagsabgeordneten sei eine "Klatsche für die Staatsregierung", sagt die Grünen-Abgeordnete Gabriele Triebel. Doris Rauscher (SPD), Vorsitzende des Sozialausschusses spricht von "Gegenwind aus dem Sozialausschuss", den Bayerns Sozialministerium jetzt bekomme.
Der Grund: Das Ministerium hatte die Forderungen der Betroffenen und ihren Unterstützern indirekt als unbegründet zurückgewiesen. "Mit der Stellungnahme der Staatsregierung hätte man die Thematik eigentlich als erledigt ansehen müssen", erklärt Rauscher. Doch genau das taten die Abgeordneten nicht.
Auch CSU und Freie Wähler stehen hinter der Petition
Auch die Regierungsfraktionen von CSU und Freien Wählern unterstützen die Petition. Julian Preidl von den Freien Wählern lobt die Petition als "sehr fundiert". Der stellvertretende Ausschussvorsitzende, Thomas Huber (CSU), betont: Er unterstütze die Petition "aus voller Überzeugung".
Zwar habe das Sozialministerium schon "viel unternommen, um Strukturen aufzubauen", sagt Huber. Nun aber müssten die bisherigen Strukturen und die Petition übereinandergelegt werden – um "Lücken" zu schließen. "Das Sozialministerium muss und wird sich mit den Forderungen auseinandersetzen und uns einen Vorschlag machen", so Huber. Es gehe jetzt darum, den Betroffenen zu helfen: "Wir wollen nicht Täterorganisationen schützen."
Ministerin Scharf will Vorschläge nochmal prüfen
Auf Anfrage von BR24 reagiert Sozialministerin Ulrike Scharf (CSU) mit der Zusage, "die verschiedenen Forderungen nochmals eingehend prüfen" zu wollen. Selbstverständlich respektiere sie die Entscheidung des Ausschusses, die Petition zu unterstützen. Der Schutz und die Hilfe der Betroffenen "stehen immer im Mittelpunkt meines politischen Handelns", so Scharf weiter.
Das Sozialministerium hatte davor argumentiert, Aufarbeitung und Entschädigung seien Aufgabe und Verpflichtung der Träger der betroffenen Einrichtungen und der Kommunen. Bayern habe aber eine Anlauf- und Beratungsstelle geschaffen – und es gebe im Freistaat bereits ein dichtes, verlässliches und flächendeckendes Hilfenetz für alle Betroffenen von Missbrauch und sexualisierter Gewalt.
Experten fordern zügige bayernweite Umsetzung
Ignaz Raab, der eine Aufarbeitungskommission der Stadt München leitet, betont, die Verantwortlichen dürften sich nicht zu viel Zeit lassen. Betroffene, die vor Jahrzehnten Gewalt erfahren haben, hätten das Gefühl, dass "nur darauf gewartet wird, dass wir wegsterben".
Auch die Unabhängige Beauftragte des Bundes für Fragen des sexuellen Kindesmissbrauchs (UBSKM), Kerstin Claus, fordert von Bayerns Sozialministerin "konkrete Vorschläge der Umsetzung zeitnah vorzulegen". Noch fehle in Bayern "anders als in manch anderen Bundesländern" ein "systematischer Ansatz", Missbrauch und Gewalt aufzuarbeiten, so die UBSKM. Claus lobt in ihrer Stellungnahme die fraktionsübergreifende Entscheidung. Die Landtagsabgeordneten würden so in die Verantwortung gehen, "in die die Sozialministerin bislang nicht gehen wollte".
Sozialministerium soll bis Herbst liefern
Bis Herbst hat der Landtag dem Sozialministerium Zeit gegeben, auf die Petition zu reagieren. Dann will sich der Sozialausschuss erneut damit befassen. Auch die Betroffenen und Unterstützer der Petition sind dann wieder in den Landtag eingeladen.
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