Im April reichte ein Bündnis aus Betroffenen und Wissenschaftlern eine Petition zur Aufarbeitung von Missbrauch im Landtag ein.
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Im April reichte ein Bündnis aus Betroffenen und Wissenschaftlern eine Petition zur Aufarbeitung von Missbrauch im Landtag ein.
Bildrechte: picture alliance/dpa | Peter Kneffel
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Im April reichte ein Bündnis aus Betroffenen und Wissenschaftlern eine Petition zur Aufarbeitung von Missbrauch im Landtag ein.

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Gewalt an Kindern: Landtag entscheidet über Betroffenen-Petition

Gewalt an Kindern: Landtag entscheidet über Betroffenen-Petition

Der Landtag entscheidet heute über eine Petition, die staatliche Strukturen zur Aufarbeitung und Prävention von Gewalt an Kindern fordert. Das Sozialministerium sieht keinen Handlungsbedarf – von den Freien Wählern und der CSU kommen andere Signale.

Über dieses Thema berichtet: BR24 Informationen am Morgen am .

Richard Kick ist schon etwas aufgeregt. Heute behandelt der Landtag eine Petition, die er gemeinsam mit anderen Betroffenen von sexuellem Missbrauch im April im Landtag eingereicht hat. Der Titel: "Gewalt an Kindern und Jugendlichen entschlossen entgegentreten". Daran mitgewirkt haben unter anderem Sozialwissenschaftler und Juristen.

Betroffene fordern bayerisches Aufarbeitungsgesetz

Ihr gemeinsames Ziel: Sie wollen die Abgeordneten davon überzeugen, dass Bayern ein eigenes Aufarbeitungsgesetz braucht. Das solle sicherstellen, dass sexueller Missbrauch und Gewalt bayernweit nach gleichen Standards aufgearbeitet und verfolgt wird – unabhängig davon, ob die Kinder und Jugendlichen in kirchlichen Einrichtungen, Sportvereinen, Heimen oder Schulen Gewalt erfahren haben – und egal, welche Kommune für sie zuständig ist.

Stand jetzt "wurschtelt jeder vor sich hin", erklärt Kick. Ihm ist wichtig, dass auch "ein Betroffenenrat eingesetzt wird, sowie eine unabhängige bayerische Aufarbeitungskommission" – wie auf Bundesebene.

Sozialministerium: Bestehende Strukturen reichen aus

Das bayerische Sozialministerium hat entsprechende Forderungen der Betroffenen und von Fachleuten wie dem Sozialwissenschaftler Heiner Keupp und der Münchner Professorin für Recht in der Sozialen Arbeit Susanne Nothhafft immer wieder zurückgewiesen.

In einer Stellungnahme des Ministeriums an den Landtag zur Petition, die BR24 vorliegt, heißt es: "Der Einführung weiterer Strukturen in diesem bereits jetzt durch eine Vielzahl an Akteuren gekennzeichneten Bereich bedarf es aus fachlicher Sicht nicht".

Ein Beispiel für Strukturen und Akteure sei die UBSKM, die Unabhängige Beauftragte für Fragen des sexuellen Kindesmissbrauchs, sowie ein Betroffenenrat und eine Aufarbeitungskommission auf Bundesebene.

Unabhängige Beauftragte im Bund widerspricht bayerischem Sozialministerium

Kerstin Claus, die das Amt der UBSKM bekleidet, sieht das anders. Sie wirbt seit Jahren für analoge Strukturen auf Landes- und kommunaler Ebene. Claus erklärt, der gesetzliche Rahmen auf Bundesebene sei wichtig, bedeute aber nicht, dass die Länder keine Verantwortung übernehmen müssten: "Sie sind näher an den Strukturen und können einen direkten oder mittelbaren Druck aufbauen", so Claus im BR.

Bei den Bundesländern beobachte sie "große Unterschiede", so Claus. Der Landtag von Nordrhein-Westfalen zum Beispiel hat im November eine "Landeskommission zur Etablierung von Standards zur Aufarbeitung sexualisierter Gewalt gegen Kinder und Jugendliche" beschlossen. Die Kommission hat sich vor zwei Monaten konstituiert.

CSU und Freie Wähler stehen Petition offen gegenüber

Auch die Regierungsfraktionen im Bayerischen Landtag kommen jetzt zu einem anderen Schluss als das Sozialministerium: Thomas Huber (CSU), stellvertretender Vorsitzender im Sozialausschuss des Bayerischen Landtags, sagt BR24, er stehe der Petition "offen" gegenüber. Die Beratungsstruktur sei "offensichtlich nicht ausreichend" und es gelte "diese Lücken, die es da offensichtlich gibt, aufzudecken und zu schließen".

Ähnlich äußert sich der Fraktionschef der Freien Wähler, Florian Streibl, auf Anfrage. Es gehe um "schwerste Verbrechen", der Staat müsse ein Klima schaffen, in dem sich "nicht die Opfer, sondern die Täter schämen" müssten. Er habe "große Sympathie für diese Petition", so Streibl. Der FW-Fraktionschef wirbt dafür, dass "die Betroffenen eine Stimme bekommen".

Aufarbeitung: Sache der Institutionen?

Das Sozialministerium argumentiert dagegen, dass "nicht unberücksichtigt" bleiben dürfe, "dass es sich bei der Aufarbeitung um einen Prozess handelt, der primär aus eigenem Antrieb und im eigenen Interesse vorangetrieben" werden müsse: "Eine von staatlicher Seite auferlegte Verpflichtung wird nicht für zielführend gehalten."

Dass das "Ob" und "Wie" der Aufarbeitung den Organisationen überlassen wird, in denen Kindern Gewalt angetan wurde, kritisieren Betroffene und Experten seit Jahren. Kerstin Claus etwa widerspricht ausdrücklich. "Wir wissen aus der Vergangenheit, dass die innere Widerständigkeit eines Systems viel zu groß ist. Es braucht den Druck von außen".

So könnten die Abgeordneten entscheiden

Denkbar sind bei der Abstimmung im Landtag drei verschiedene Szenarien: Die Abgeordneten könnten die Petition zum einen ablehnen. Wenn sie ihr dagegen zustimmen, müssten die Punkte nach und nach umgesetzt werden. Möglich ist aber auch eine Art Mittelweg: Die Petition wird nicht verworfen, sondern auf Eis gelegt und zu Rate gezogen, wenn sich der Landtag dem entsprechenden Thema widmet.

Missbrauchsopfer ist dabei, wenn der Landtag über die Petition abstimmt

Richard Kick wurde als Kind von einem Kaplan über Jahre hinweg missbraucht. Sein Leid ist nach langem Hinhalten von der katholischen Kirche vor einigen Jahren anerkannt worden. Nun engagiert er sich im Erzbistum München und Freising aber auch bundesweit für die Rechte von Betroffenen aus den unterschiedlichsten Kontexten.

Auf Landesebene hat er gemeinsam mit seinen Mitstreitern erreicht, dass das Sozialministerium vor zwei Jahren eine Lotsenstelle für Betroffene eingerichtet hat. Die aber ist für ihn nur "ein Tropfen auf den heißen Stein". Heute Mittag wird er im Landtag sein, wenn die Abgeordneten über die Petition abstimmen.

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