Gestellte Aufnahme: Eine Psychotherapeutin, rechts, therapiert einen Klienten und dessen Tochter im Teenageralter.
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Gestellte Aufnahme: Eine Psychotherapeutin, rechts, therapiert einen Klienten und dessen Tochter im Teenageralter.
Bildrechte: picture alliance/KEYSTONE | CHRISTIAN BEUTLER
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Helfer in Not: Werden angehende Psychotherapeuten ausgenutzt?

Helfer in Not: Werden angehende Psychotherapeuten ausgenutzt?

Volle Verantwortung für wenig Geld? Darüber klagen angehende Psychotherapeuten in Bayern. Sie fühlen sich ausgenutzt, wie BR-Recherchen zeigen.

Über dieses Thema berichtet: Der Funkstreifzug am .

Tobias Freimann ist 27 Jahre alt, arbeitet vier Tage in der Woche in einer Klinik in Oberbayern. Dort behandelt er Patienten mit Angsterkrankungen oder Depressionen und wohnt jetzt – nach fünf Jahren Psychologiestudium – wieder bei seinen Eltern. Auch weil es anders finanziell nicht ginge, denn die Ausbildung zum Psychotherapeuten kommt nach dem Studium. 800 Euro brutto im Monat bekommt er für eine Viertagewoche, netto bleiben etwa 625 Euro übrig. Das entspricht einem Stundenlohn von fünf Euro.

Ein "demoralisierender Zustand", wie er findet, auch wenn sich die Ausbildung später vermutlich refinanzieren lässt. Denn in der Klinik macht er das, wofür er fünf Jahre Psychologie studiert hat: Er führt Einzelgespräche, leitet Gruppen.

Angehende Therapeuten als billige Arbeitskräfte?

Der 27-Jährige mag ein extremes Beispiel sein, er ist aber längst kein Einzelfall, sagt Hannah Streit vom PiA-Netzwerk Bayern, einer Interessensvertretung der angehenden Psychotherapeuten: Die Praktikanten machten in der Regel den Job angestellter Psychologen. "Nur einfach billiger und schlechter vergütet."

Für eine Vollzeittätigkeit von 38,5 Stunden bekommen manche dieser Psychologen während ihrer Praktikantentätigkeit nicht einmal 800 Euro – so wie ein angehender Psychotherapeut aus Bayern. Er ging dagegen vor Gericht und bekam Ende April vom Bundesarbeitsgericht Recht.

Ein Urteil, das bislang nur wenig Auswirkungen hat

Laut diesem Urteil gelten 26 Stunden als Vollzeittätigkeit, weil die Praktikanten an den Abenden und Wochenenden oft noch Theorieseminare oder Supervision haben, und dafür muss es dem Urteil zufolge mindestens 1.000 Euro geben – auch rückwirkend. Diese Summe zahlt dem PiA-Netzwerk Bayern zufolge bisher aber nur ein Bruchteil der bayerischen Kliniken.

Auf BR-Anfrage heißt es etwa vom Klinikkonzern kbo, bei dem auch Tobias Freimann beschäftigt ist: Die Vorgaben würden für Neueinstellungen gelten, was dies für bestehende Verträge heiße, werde geklärt.

Versorgungsleistung zum Sparpreis?

Im Hintergrund schwingt noch etwas anderes mit. "Wenn man sich das System der Psychotherapeutinnen-Ausbildung die letzten gut 20 Jahre anguckt, profitiert natürlich das komplette Gesundheitssystem davon, dass sie sich in einem ungeregelten Raum bewegen", so Elisabeth Dallüge von der Deutschen Psychotherapeutenvereinigung. Es werde viel Versorgungsleistung zum "Sparpreis" erbracht.

Rechnen Praktikanten den vollen Stundensatz ab?

Denn: Eigentlich sehen die Abrechnungsregeln für Kliniken vor: Gruppen- oder Einzeltherapiestunden können nur dann bei den Kassen abgerechnet werden, wenn sie von einem Psychologen oder Sozialpädagogen durchgeführt wurden und der auch entsprechend dieses Berufs bezahlt wurde. Das aber scheint oft nicht eingehalten zu werden: Der BR hat mit mehreren Psychotherapeutinnen und -therapeuten in Ausbildung gesprochen. Alle wollen aus Sorge vor beruflichen Nachteilen anonym bleiben.

"Grauzonen" und "Freiheitsgrade" für Kliniken

Angestellt und bezahlt wurden oder werden sie in verschiedenen Kliniken in Bayern und Baden-Württemberg – so wie Tobias Freimann in Agatharied – als Praktikanten. Gearbeitet aber haben sie wie Psychologen und Sozialpädagogen. Bei den Kassen sollten sie nach dem Stundensatz für ausgebildete Psychologen oder Sozialpädagogen abrechnen. Von der Summe sehen sie selbst aber nichts. Beim PiA-Netzwerk Bayern ist diese Praxis ein offenes Geheimnis. Elisabeth Dallüge vom Fachverband sieht die Situation differenziert. Das System biete "Grauzonen" und "Freiheitsgrade", eben Spielräume, die manche Klinik sich zunutze macht. Und dagegen tun lässt sich wenig. Denn bei den Krankenkassen landen nur die fertigen Abrechnungen.

Heißt also: Die Krankenkassen sehen beispielsweise nur, dass da ein Psychologe eine Therapiestunde geleistet hat. Ob die Klinik diesen Psychologen aber als Psychologen oder als Praktikanten bezahlt, sehen die Krankenkassen nicht, erklärt der Interessensverband der Gesetzlichen Krankenkassen auf Anfrage. Die Kassen würden die Leistungen der angehenden Psychotherapeuten in voller Höhe zahlen. Es sei aber nicht bekannt, was bei diesen ankommt.

Fest steht aber: Viele angehende Psychotherapeuten wie Tobias Freimann können in bayerischen Kliniken nur deshalb Patienten behandeln, weil andere das quer finanzieren: in seinem Fall seine Eltern, bei denen er kostenfrei wohnen kann - mit 27 Jahren. Ein für ihn frustrierender Zustand. Auch im September gilt für ihn weiter, was ihm die Klinik bereits im Sommer geschrieben hat. Sie bat um "etwas Geduld".

Die ganze Recherche hören Sie im Funkstreifzug am 17.9. um 12:15 Uhr im Radioprogramm von BR24 oder als Podcast in der ARD Audiothek.

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