"Ich hab dieses Erlebnis in meinem Kopf, ich steh’ hier schweißgebadet", sagt der ehemalige Häftling im Telefonat mit dem BR. Minutenlang schildert er detailliert, wie sich der Vorfall aus seiner Sicht zugetragen hat: Weil ein Beamter einen Brief von ihm nicht mitnehmen wollte, habe er sich dessen Namen aufschreiben wollen. Als er sich vornüberbeugte, um ihn auf einem Zettel zu notieren, habe der Beamte ihm einen Schlag auf den Hinterkopf verpasst.
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Bisher keine Reaktion der Anwälte auf neue Vorwürfe
"Der Schlag kam ganz plötzlich. Ich war geschockt", so der ehemalige Häftling. Er habe um Hilfe gerufen, weitere Beamte, unter anderem auch von der Sicherungsgruppe, seien gekommen - die Schläge aber hätten nicht aufgehört. Er sei dann zu Boden gedrückt worden. Inzwischen sei auch die stellvertretende Anstaltsleiterin hinzugekommen. Immer wieder habe er Rufe gehört: "Bringt ihn zum Schweigen". Letztendlich habe ein Beamter gesagt, die anderen sollten ihn in Ruhe lassen, er wehre sich doch gar nicht. Drei Ohrfeigen habe er dann allerdings noch erhalten - und zwar, berichtet er, von der stellvertretenden Anstaltsleitung persönlich.
Bisher hatten ehemalige Häftlinge dem BR ausschließlich von Misshandlungen durch Justizbeamte berichtet. Dieser ehemalige Insasse ist der erste, der öffentlich erklärt, dass die stellvertretende Leiterin handgreiflich geworden sei. Dem BR liegt eine eidesstattliche Erklärung zur Richtigkeit seiner Aussage vor. Die Anwälte der inzwischen vom Justizministerium vom Dienst freigestellten stellvertretenden Leiterin haben bis Donnerstagmittag auf die Bitte des BR um eine Stellungnahme zu diesen neuen Vorwürfen nicht geantwortet.
Anwälte: Stellvertretende Leiterin äußerst "pflichtbewusste Beamtin"
In einer Pressekonferenz Mitte November hatten die Anwälte der stellvertretenden Leiterin der JVA Gablingen gesagt, ihre Mandantin habe die Verlegung von Gefangenen durch die Sicherungsgruppe regelmäßig begleitet, um diese Maßnahmen zu überwachen. "Wenn ein Zugriff der Sicherungsgruppe anstand, ist sie mitmarschiert", so die Anwältin wörtlich.
Ihre Mandantin beschrieben sie als äußerst pflichtbewusste Beamtin. Sie habe in Gablingen ein "laufendes System" weitergeführt. Sie habe außerdem geltendes Recht umgesetzt und sich an Vorschriften gehalten. Die Leiterin der JVA, die seit 31. Oktober ebenfalls vom Dienst freigestellt ist und gegen die das Justizministerium ein Vertretungsverbot erteilt hat, sei dabei über alle Vorgänge informiert gewesen und trage zumindest eine Mitverantwortung. Inzwischen sind die Ermittlungen weiter fortgeschritten und wurden auch auf die Leiterin ausgeweitet. Aktuell wird gegen 17 Mitarbeitende der JVA Gablingen ermittelt. Bis zum Abschluss des Verfahrens gilt für sie alle die Unschuldsvermutung.
Ehemaliger Häftlinge: Ohne Matratze, nackt und mit Schmerzen im BgH
Der ehemalige Gefangene wurde seiner Schilderung zufolge nach diesem Vorfall in den besonders gesicherten Haftraum (BgH) gebracht. Er habe wegen zahlreicher Blutergüsse starke Schmerzen gehabt. Im BGH habe er nackt und ohne Matratze ausharren müssen. Wie lange, das wisse er nicht mehr. Er habe jegliches Zeitgefühl verloren. Es sei bereits das zweite Mal innerhalb weniger Wochen gewesen, dass er in den BgH gebracht worden sei. Seine Anwältin hatte versucht, ihn dort zu besuchen, das sei ihr aber verweigert worden.
Verdacht: Wurden Briefe mit kritischem Inhalt nicht weitergeleitet?
Überhaupt habe er viele Male versucht, sich gegen seiner Meinung nach rechtswidrige Zustände in der JVA-Gablingen und in der JVA-Kaisheim, wo er zuvor eingesessen hatte, zu wehren, so der ehemalige Häftling. Er habe zahlreiche Briefe geschrieben, auch an den Landtag. Teilweise liegen die Beschwerden dem BR in Kopie vor. Eine Antwort habe er in den seltensten Fällen bekommen. Er vermutet, seine Briefe seien zurückgehalten worden. Seine Anwältin teilt diesen Verdacht. Andere Häftlinge berichteten dem BR ebenfalls von offenbar verschwundenen Briefen.
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