Die Angeklagten sitzen auf der Anklagebank, hinter ihnen ihre Anwälte, im Vordergrund Kameras.
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Wegen Kindesmisshandlung und Freiheitsberaubung hat das Amtsgericht Augsburg einen Vater und seine Ehefrau zu hohen Haftstrafen verurteilt.
Bildrechte: BR/Til Antonie Wiesbeck
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Wegen Kindesmisshandlung und Freiheitsberaubung hat das Amtsgericht Augsburg einen Vater und seine Ehefrau zu hohen Haftstrafen verurteilt.

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Haftstrafe nach Misshandlung: Kind glaubwürdiger als der Vater

Haftstrafe nach Misshandlung: Kind glaubwürdiger als der Vater

Ein Vater hat zusammen mit seiner Frau seinen damals fünfjährigen Sohn wiederholt gefesselt, eingesperrt und geschlagen, befindet das Amtsgericht Augsburg. Beide müssen in Haft. Für das Gericht war das Kind glaubwürdiger als der Vater.

Über dieses Thema berichtet: Abendschau - Der Süden am .

Immer wieder schaut der Vater des misshandelten Buben zu Boden, als die Richterin am Amtsgericht Augsburg das Urteil gegen ihn und seine Ehefrau aus dem Landkreis Aichach-Friedberg verkündet: Weil sie das damals fünfjährige Kind des Mannes nach Überzeugung des Gerichts über ein Jahr hinweg mehrfach gefesselt, geschlagen und eingesperrt haben - zum Teil ohne Essen und Trinken -, muss der Vater für drei Jahre und acht Monate ins Gefängnis. Die Stiefmutter verurteilte das Gericht zu drei Jahren und zwei Monaten Haft. "Dass ein fünfjähriges Kind von Zuhause flieht, weil es es dort nicht mehr aushält, macht einen einfach nur sprachlos", so Richterin Kathrin Schmid.

Fünfjähriger hatte von Martyrium berichtet

Es ist ein Martyrium, durch das der inzwischen sechsjährige Bub zwischen Januar 2024 und Januar 2025 gegangen sein soll. In einer Videovernehmung hatte er am ersten Prozesstag ausgesagt, dass er "öfter" eingesperrt worden sei, unter anderem in einem Heizungskeller. Seine Eltern hätten ihn an Händen und Füßen gefesselt. Geschlagen worden sei er auch, zum Teil mit einem Besen. Deshalb flüchtete er durch ein Fenster. Als eine Zeugin ihn leicht bekleidet auf einer winterlichen Staatsstraße vorfand, brachte sie ihn zu einer Kindergartenfreundin.

Angeklagter bestritt Ausmaß - Gericht glaubt dem Kind

Bereits früh im Prozess hatten die Angeklagten einen Teil der Vorwürfe eingeräumt und Schmerzensgeld angeboten. Gleichzeitig jedoch äußerten sie Zweifel an der Glaubwürdigkeit einiger Aussagen des Opfers zum Ausmaß der Taten. Diese Zweifel wies Richterin Schmid in ihrer Urteilsbegründung entschieden zurück: "Wir glauben, dass es so war, wie der Junge es gesagt hat." Immer wieder hatten Zeuginnen und Sachverständige die Glaubwürdigkeit der Aussagen des Jungen gestützt. Bei den Geständnissen habe das Gericht "sehr wenig Reue" gesehen. So habe der Vater etwa die Schuld beim Kind gesucht, das seiner Aussage nach mit regelmäßigen Wutausbrüchen aufgefallen sei.

Anwalt des Vaters: Mandant ist "gesellschaftlich tot"

Mit der Verurteilung wegen schwerer Misshandlung eines Schutzbefohlenen, Freiheitsberaubung und Körperverletzung folgt das Gericht weitgehend der Anklage. Andreas Thomalla, der Verteidiger des Vaters, hatte eine Freiheitsstrafe von maximal zwei Jahren auf Bewährung gefordert. "Was sollen wir denn noch machen?", fragte er mit Blick auf einen vor Gericht verlesenen persönlichen Entschuldigungsbrief des Vaters und dessen Zugehen auf die Nebenklage. Wie er in seinem Abschlussplädoyer am heutigen Freitag angab, habe sein Mandant sich nach dem plötzlichen Tod der leiblichen Mutter des Sohnes überfordert gefühlt.

Wegen des starken öffentlichen Interesses sei sein Mandant "gesellschaftlich tot". Etwa auf Facebook sei eine "massive Vorverurteilung" von ihm und seiner mitangeklagten Ehefrau zu beobachten. Auch der Verteidiger der angeklagten Stiefmutter, Felix Egner, hatte eine deutlich mildere Strafe gefordert und dabei auf eine geringere Mitschuld seiner Mandantin verwiesen.

Vertreterin des Buben zufrieden mit dem Urteil

Isabel Kratzer-Ceylan, die den Buben in der Nebenklage vertrat, zeigte sich zufrieden mit dem Urteil: "Der Junge kann sich jetzt sicher fühlen vor dem Vater und der Stiefmutter." Mit dem Urteil sei die massive Misshandlung konsequent geahndet worden. Trotz Anzeichen für eine posttraumatische Belastungsstörung habe der Junge jetzt in einer behüteten Umgebung die Chance, sich zu entwickeln. Er habe "uns gezeigt, dass er ein Kämpfer ist, sonst hätte er es nicht geschafft, sich selbst aus dieser Hölle zu befreien", hatte zuvor bereits der Staatsanwalt in seinem Plädoyer erklärt.

Kinderarzt sieht hohes Risiko für Folgeschäden

Der Kinderarzt Florian Heinen hatte in einem Gutachten vor Gericht ausgeführt, dass der Junge einen schweren Rucksack auf dem Rücken trage, eine selbst für erfahrene Ärzte "seltene Kombination". Denn die emotionale, soziale und körperliche Vernachlässigung des Kindes hätte schwere Spuren auch auf der Seele des Jungen hinterlassen. Er habe ein stark erhöhtes Risiko für eine Depression, Suizidneigung oder Drogensucht. Die Wahrscheinlichkeit liege bei 75 Prozent, so der Experte, dass ein Kind nach solchen Erfahrungen nicht nur eine, sondern zwei psychische Erkrankungen erleide.

Die Verteidiger gaben an, sie würden wahrscheinlich Berufung einlegen. Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig.

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