Allein im Parkhaus – schon da beschleicht viele Frauen ein ungutes Gefühl. Die Sängerin Liän hat einen beängstigenden Vorfall gefilmt, der ihr am 25. Juli nachts in einem Parkhaus im Münchner Werksviertel-Mitte passiert ist. Ein Mann folgt ihr, fragt, ob sie "ein bisschen küssen" könnten. Die 25-Jährige, die auch als DJ und in einer Bar arbeitet, macht deutlich, dass sie der Unbekannte in Ruhe lassen solle. "Geh mal weg" und "hör auf, mir hinterherzulaufen", sagt sie mehrmals.
Kein Netz: "Ich wollte ein Beweismittel haben"
Sie habe angefangen zu filmen, weil sie ein komisches Gefühl gehabt habe, erzählt sie BR24. "Ich hatte kein Netz, ich wollte ein Beweismittel haben." In dem Video ist zu sehen, wie sie immer schneller geht und schließlich panisch durch die leere Tiefgarage zu ihrem Auto rennt, einsteigt und die Türen verriegelt. Der Mann steht noch einige Zeit vor ihrem Auto. Zittrig steigt sie dann noch mal aus, zahlt ihr Parkticket und fährt davon.
Liän veröffentlichte das Video auf Instagram und TikTok. So wurde die Münchner Polizei auf den Vorfall aufmerksam und nahm per Instagram-Direktnachricht und Kommentar unter ihrem Video Kontakt zu Liän auf. Die Ermittlungen laufen nun, deshalb äußert sich die Polizei derzeit nicht zu Details, so Polizeisprecher Lucas Schulz. Man sollte – wenn möglich – immer einen Notruf absetzen. Dies geht übrigens oft auch, wenn man selbst kein Netz hat. Bei einem Notruf kann sich das Handy dann in ein anderes Netz einwählen. Wie genau das funktioniert, erfahren Sie hier (externer Link). "Das wusste ich nicht", sagt Liän.
Die Musikerin Liän filmt den Mann, der sie im Parkhaus verfolgt
3-L-Regel: Licht, Lärm und Leute
Allgemein gelte die 3-L-Regel: Licht, Lärm und Leute – dies alles schrecke mögliche Täter ab, so Schulz. Die Polizei warnt davor, Waffen mitzuführen. Diese könnten auch in die Hände möglicher Angreifer geraten. Besser wären Taschenalarme, die ein lautes Geräusch abgeben und für Aufmerksamkeit sorgten.
Andreas Ertl von "Safe in the City" in München (externer Link), der Selbstverteidigungskurse anbietet, betont, dass Frauen bei Gefahr auf keinen Fall stehen bleiben und sich nicht in ein Gespräch verwickeln lassen sollten. In dieser Zeit könnten potenzielle Täter näher kommen. Ertl: "Es ist wichtig, Distanz zu wahren und in Bewegung zu bleiben." Der Körper schütte bei Stress Adrenalin aus. "Es besteht die Gefahr des Einfrierens."
Zwei von drei Frauen erleben sexuelle Belästigungen
Taxierende Blicke, anzügliche Bemerkungen, unerwünschte Berührungen – solche Erfahrungen machen viele Mädchen und Frauen. Nach repräsentativen Befragungen erleben zwei von drei Frauen in ihrem Leben sexuelle Belästigung (externer Link).
Unter dem Video von Liän fanden sich ermutigende Kommentare wie "Keine Frau, egal welche Kleidung sie trägt, sollte von Männern belästigt werden" und "Tut mir so leid!!!". Mehrere Frauen berichteten von ähnlichen Erlebnissen. Andere warfen ihr vor, schlecht reagiert zu haben.
"Ich war im Schockzustand"
"Ich war im Schockzustand, da verhält man sich nicht strategisch sinnvoll", sagt Liän. Inzwischen werde sie nach der Arbeit von Mitarbeitern des Kreisverwaltungsreferats, die im öffentlichen Raum für Sicherheit sorgen, zu ihrem Auto begleitet. Ob man filmt oder nicht, muss man laut Experten genau abwägen. Es sei hilfreich, um Täter zu identifizieren, so Ertl. Allerdings bestehe die Gefahr, dass der Verfolger getriggert werden könnte und die Gewaltschwelle sinke.
Darf man Verfolger filmen?
Rein rechtlich ist das Filmen von Verfolgern kompliziert. Da die Aufnahme in einem öffentlichen Parkhaus erfolgte, sei das bloße Filmen strafrechtlich nicht relevant, sagt Christoph Knauer, Rechtsanwalt und Honorarprofessor für Wirtschaftsstrafrecht und strafrechtliche Revision an der LMU München.
"Wenn die Aufnahme Dritten zugänglich gemacht wird oder, wie hier, sogar veröffentlicht wird, kann dies aber strafbar sein", sagt der Vorsitzende des Ausschusses Strafprozessrecht der Bundesrechtsanwaltskammer. "In dem konkreten Fall erscheint das Livestellen der Aufnahme jedoch durch das strafbare Verhalten des Mannes gerechtfertigt - die Voraussetzungen der Notwehr gemäß § 32 StGB (externer Link) dürften vorliegen."
Die Verfolgung stelle einen rechtswidrigen gegenwärtigen Angriff dar, ein milderes Mittel habe der Frau nicht zur Verfügung gestanden. Beim nachträglichen Posten sei aber Vorsicht geboten. Knauer: "Das beinhaltet schon ein Risiko, sich selbst strafbar zu machen, hier scheint es mir aber auch ausnahmsweise gerechtfertigt."
Transparenzhinweis: Wir haben die Formulierung zu möglichen Notrufen, wenn das eigene Handy kein Netz findet, präzisiert.
Zum Video: Sexistische Sprüche oder Pfiffe gehören für viele Frauen zum Alltag
PULS Reportage - Catcalling
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