Die Töchter des NSU-Mordopfers Theodoros Boulgarides bei einer Gedenkveranstaltung am Münchner Stachus
Die Töchter des NSU-Mordopfers Theodoros Boulgarides bei einer Gedenkveranstaltung am Münchner Stachus
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Michalina und Mandy Boulgarides bei einer Gedenkfeier zum 20. Jahrestag des Mordes an ihrem Vater Theodoros Boulgarides
Bildrechte: picture alliance / SZ Photo | Johannes Simon
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Michalina und Mandy Boulgarides bei einer Gedenkfeier zum 20. Jahrestag des Mordes an ihrem Vater Theodoros Boulgarides

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Zschäpe im Aussteigerprogramm: Für NSU-Opferfamilien ein Skandal

Zschäpe im Aussteigerprogramm: Für NSU-Opferfamilien ein Skandal

Die NSU-Terroristin Beate Zschäpe ist in ein Neonazi-Aussteigerprogramm aufgenommen worden. Das bestätigte ihr Anwalt Mathias Grasel dem Bayerischen Rundfunk. Hinterbliebene der NSU-Opfer sprechen von einem Skandal.

Über dieses Thema berichtet: BAYERN 3-Nachrichten am .

Nachdem bekannt wurde, dass die NSU-Terroristin Beate Zschäpe in ein Neonazi-Aussteigerprogramm aufgenommen wurde, gibt es viel Kritik. Hinterbliebene der NSU-Opfer sprechen von einem Skandal.

Beate Zschäpe habe über zwei Jahrzehnte keine Reue gezeigt, sie habe weder etwas zur Aufklärung der rechtsterroristischen Mordserie des Nationalsozialistischen Untergrunds (NSU) beigetragen, noch habe sie sich im Prozess je wirklich zu ihrer Verantwortung an den Verbrechen bekannt, schreibt Mandy Boulgarides, die Tochter von Theodoros Boulgarides, in einer Stellungnahme, die dem BR vorliegt. Dass die Rechtsterroristin nun in ein Aussteigerprogramm aufgenommen wurde, sei verachtenswert und respektlos gegenüber den Hinterbliebenen. Dies sei Ausdruck einer Politik, die Täter integriere und Opfer marginalisiere. Denn für die Hinterbliebenen gebe es weder flächendeckende psychologische Hilfe noch eine sichere finanzielle Unterstützung oder aktive politische Begleitung.

Schlag ins Gesicht der Hinterbliebenen

Mandys Schwester Michalina Boulgarides hat sich in einem Brief direkt an Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU) gewandt, der dem BR ebenfalls vorliegt. Darin bezeichnet sie Zschäpes Aufnahme in ein Aussteigerprogramm als Schande und Schlag ins Gesicht aller Betroffenen und Hinterbliebenen. Besonders empörend sei, dass die Hinterbliebenen von der Angelegenheit erst aus der Zeitung erfahren hätten: "Wieder wird mit den Familien umgegangen, als wären wir störende Fußnoten in der Erzählung eines deutschen 'Rechtsstaates', der versagt hat und weiterhin versagt."

"Resozialisierung" für eine Mörderin?

Theodoros Boulgarides, der aus Griechenland stammte, war 2005 in seinem neueröffneten Schlüsseldienst im Münchner Westend vom NSU erschossen worden. Insgesamt ermordeten die Rechtsterroristen neun Männer mit Migrationsgeschichte, zwei davon in München, drei in Nürnberg. Außerdem erschossen sie in Heilbronn in Baden-Württemberg eine Polizistin. Im Fall der migrantischen Opfer richteten sich die polizeilichen Ermittlungen jahrelang fast ausschließlich gegen die Familien der Ermordeten, denen Verbindungen zur Mafia oder Drogenhandel unterstellt wurden. "Während wir trauerten, wurden wir kriminalisiert und entwürdigt, während wir um Antworten baten, wurden wir diffamiert und während wir bis heute um Anerkennung und Entschädigung kämpfen, wird einer Mörderin eine 'Resozialisierung' zuteil", so Michalina Boulgarides in ihrem offenen Brief an den Bundeskanzler.

Welches Programm Zschäpe aufnimmt, bleibt unklar

Ob die Aufnahme in ein Aussteigerprogramm tatsächlich Beate Zschäpe dabei hilft, frühzeitig entlassen zu werden, ist allerdings unklar. Darüber entscheidet am Ende das Oberlandesgericht München, das die Rechtsterroristin 2018 zu lebenslanger Haft verurteilt und dabei eine besondere Schwere der Schuld festgestellt hat. Damit ist eine vorzeitige Haftentlassung nach 15 Jahren ausgeschlossen. Beate Zschäpe hatte zwar vermutlich nie selbst geschossen, gehörte aber mit den beiden Terroristen Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt zum Kerntrio des NSU und machte deren Morde erst möglich. In welches Aussteigerprogramm Beate Zschäpe aufgenommen worden ist, ist derweil unklar. Laut Tageszeitung taz handelt es sich um das Berliner Projekt "Exit". Weder Zschäpes Anwalt Mathias Grasel noch "Exit" wollten das dem BR bestätigen – aus rechtlichen Gründen, wie es heißt.

"Ein Versuch, sich eine Haftentlassung zu erschleichen"

Heftige Kritik an Zschäpes Aufnahme in ein Aussteigerprogramm kommt auch von einer weiteren Tochter eines NSU-Opfers. Gamze Kubaşık, deren Vater Mehmet im April 2006 in seinem Dortmunder Kiosk erschossen wurde, schreibt in einer auf Instagram veröffentlichten Stellungnahme: "Es wirkt auf mich wie ein gezielter Versuch, das Aussteigerprogramm zu missbrauchen, mit dem alleinigen Ziel, sich eine vorzeitige Haftentlassung zu erschleichen."

In ihrem Schlusswort im Münchner NSU-Prozess hatte Gamze Kubaşık Beate Zschäpe direkt angesprochen und aufgefordert, sich von der rechtsextremen Szene zu distanzieren und an der Aufklärung der NSU-Mordserie mitzuwirken. Dann werde sie sich auch für eine vorzeitige Freilassung Zschäpes einsetzen. Nun konstatiert Kubaşık ernüchtert: "Ein Ausstieg bedeutet mehr, als lediglich an einem Programm teilzunehmen. Es bedeutet, Verantwortung zu übernehmen, sich dem eigenen Handeln zu stellen, sich glaubhaft von der Ideologie zu distanzieren und die Betroffenen anzuerkennen. Davon ist bei Beate Zschäpe bis heute nichts zu sehen."

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