Bernhard Essel steht am Kanal in Neuses an der Regnitz in Oberfranken. Es sieht anders aus als vor 60 Jahren. Damals wurde hier noch gebaut. Dort, wo heute Gestrüpp ist, war damals ein Sandabhang. An dem ist Raimund, Bernhards Kumpel, mit einer Sandlawine in den Kanal gerutscht und nicht mehr aufgetaucht. Der damals elfjährige Bernhard ist hinterhergesprungen und hat seinen Freund aus dem Wasser gezogen. Und das, obwohl Bernhard keine Arme mehr hatte.
Internationaler Medien-Star
"Kraft hatte ich ja", erzählt der heute 71-Jährige. Raimund, der im Sand feststeckte, krallte sich an Bernhard fest und der zog ihn so aus dem Kanal. "Danach haben wir einfach weitergespielt", erzählt Bernhard.
Zuerst blieb die Rettungsaktion relativ unentdeckt. Dem Vater haben sie das nicht erzählt, und auch nicht Raimunds Eltern. "Die waren recht streng und er hätte wahrscheinlich nicht mehr mit uns spielen dürfen", sagt Bernhard. Schließlich verbreitete sich die Nachricht über den jungen fränkischen Lebensretter aber doch. Und zwar rasant. Bald schon berichteten nicht nur die deutschen, sondern auch internationale Medien über Bernhard Essel. Auch der BR hatte einen Film über Bernhard gedreht.
Arme durch Starkstrom verloren
In dem BR-Film erzählt Vater Josef Essel auch, wie sein Sohn seine Arme verloren hat. Vater Josef war damals Wehrwärter. Die Familie wohnte in einem Haus direkt neben Wehr und Kanal – und direkt daneben stand damals eine Trafostation. Dort ist Bernhard hochgeklettert "und an die 20.000 Volt gekommen und hat sich beide Unterarme verschmort", erzählt der Vater. "Die Ärzte haben sich gewundert, dass er lebend davongekommen ist."
Ein Jahr verbrachte Bernhard damals im Krankenhaus. "Die haben ganz schön an mir herumgeschnibbelt", sagt Bernhard. Die Zeit war schlimm, doch als er wieder daheim war, machte er weiter, wie zuvor. "Kinder verkraften sowas besser", glaubt Bernhard. Es habe nichts gegeben, was er ohne Arme nicht hätte tun können. Spielen, Fahrrad fahren, Leben retten.
Fränkischer Lebensretter in Spanien gefeiert
Der junge Bernhard wurde damals besonders in Spanien als "Held des Jahres" gefeiert. Die vielen Zeitungsberichte haben die Essels heute noch. Petra Essel schiebt in ihrem Garten den frisch gebackenen Kuchen beiseite, stellt einen Koffer auf den Tisch und blättert in den alten Unterlagen. "Da wurdest du ganz schön herumgezeigt", sagt sie zu ihrem Mann. Bernhard traf auf einer Reise ihm zu Ehren unter anderem den spanischen Machthaber Francesco Franco und den damaligen Papst.
Gute Ausbildung dank Medienrummel
Der Elfjährige fand aber ganz andere Sachen spannend. "Ich bin über den Wolken geflogen. Das war sehr schön", erzählt er seinem Freund Raimund im BR-Bericht von damals. Die beiden Jungen, beziehungsweise Männer, haben heute keinen Kontakt mehr.
Allerdings wirkt der ganze Medienrummel bis heute in Bernhards Leben nach. Denn durch die Aufmerksamkeit bekam er einen Platz an der Fachschule für körperbehinderte Kinder in München. Die ermöglichte Bernhard eine gute Ausbildung. "Und vor allem hat er dort viel besser gelernt, selbstständig zu sein, als wenn er daheim geblieben wäre", glaubt Petra.
Strom und Wasser begleiten ihn bis heute
"Nach der Schule hätte ich in der Oberfinanzdirektion in München anfangen können. Aber ich wollte heim", erzählt Bernhard. Also zog er zurück nach Franken, nach Strullendorf bei Forchheim. Dort arbeitete er bis zu seiner Rente beim Fränkischen Überlandwerk. So wie sein Vater vorher.
Und auch nach der Pensionierung haben ihn Strom und Wasser weiter begleitet. Die Essels haben sich ein Grundstück am Kraftwerk in Strullendorf gekauft. Direkt neben ihrem Garten fließt der Kanal entlang, darüber verlaufen Stromkabel.
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