Die Gewerkschaft IG Metall und der Betriebsrat des Optikerunternehmens Rodenstock im niederbayerischen Regen wollen mit allen Mitteln verhindern, dass es zum geplanten Abbau von rund 230 Arbeitsplätzen und ihre Verlagerung ins billigere Ausland kommt. Das war der Tenor der Mitgliederversammlung, zu der die IG Metall am Mittwochabend in einem Wirtshaussaal in Regen eingeladen hatte.
Gewerkschaft bereitet Gegenkonzept vor
Der Saal war bis auf den letzten Platz gefüllt: mit rund 200 Regener Rodenstock-Beschäftigten. IG Metall und Betriebsrat informierten über das weitere Vorgehen. Man habe in den letzten Wochen zusammen mit einer Beratungsagentur einen detaillierten Fragenkatalog ausgearbeitet, den man der Rodenstock-Unternehmensleitung inzwischen zur Beantwortung vorgelegt habe. Darin gehe es unter anderem um Fragen zur Rentabilität des Regener Rodenstock-Werks, das momentan noch rund 500 Beschäftigte hat, und genaue Nachfragen zu Gründen für die Verlagerungspläne.
Ziel sei es, ein Gegenkonzept zum Arbeitsplatzabbau zu entwickeln. Man werde "noch lange nicht" über Kündigungen oder einen Sozialplan verhandeln, sondern versuchen, den Abbau zu verhindern, betonte der Passauer IG Metall-Bevollmächtigte Robert Scherer.
Erneut ist Aiwanger gefragt
Auch politisch will man noch mehr erreichen. Am Freitagnachmittag gab es deshalb eine nicht-öffentliche Videokonferenz zwischen Betriebsrat, Gewerkschaft und dem bayerischen Wirtschaftsminister Hubert Aiwanger (FW). An ihm hatte es in den letzten Wochen einige Kritik gegeben: Er hatte sich mit der Unternehmensleitung getroffen - ohne Vertreter der Belegschaft - und er habe dabei den geplanten Arbeitsplatzabbau mehr oder minder widerspruchslos "abgenickt", so der Vorwurf. Enttäuscht von Aiwanger ist auch der Regener Bürgermeister Andreas Kroner (SPD), der sich von einem Minister, der auf Volksfesten bekanntlich sehr energisch auftrete, mehr Einsatz erwartet hätte.
Aiwanger hatte im September eine Pressemitteilung herausgegeben, in der er "die von Rodenstock angekündigten Umstrukturierungen und Stellenverlagerungen" zwar "bedauert", aber gleichzeitig erklärt, "wir müssen diese Entscheidungen akzeptieren". Der Stellenabbau müsse "auf ein unvermeidliches Maß begrenzt werden und sozialverträglich erfolgen". Aiwanger fordert sozialverträgliche Lösungen und eine Anschlussbeschäftigung für die betroffenen 230 Mitarbeiter in anderen Unternehmen.
Aiwanger: Rodenstock steht nicht für billig, sondern für Qualität
Die IG Metall erhoffte sich vom Gespräch mit Aiwanger einiges: "Wir sind guter Dinge", so Robert Scherer, "dass er an den Investor herangeht und uns die ein oder andere Tür öffnet."
Aiwanger sagte bei der Videokonferenz: "Die zunehmende Deindustrialisierung in Deutschland kostet immer mehr Arbeitsplätze. Der Billigwettbewerb mit anderen Ländern weltweit ist in vollem Gange. Rodenstock steht jedoch für hohe Qualität, nicht für billig. Meine Hoffnung ist, dass dieser Aspekt auch von der Unternehmensführung doch nochmal beleuchtet wird und sich neues Auftragsvolumen für Qualität aus Bayern findet, um doch noch möglichst viele Arbeitsplätze sichern zu können. Meine Gesprächspartner waren sehr qualifizierte und strategisch denkende Mitarbeiter, ich danke ihnen für ihren Einsatz für ihre Kollegen und die Firma. Es ist bedauerlich, dass Mitarbeiter und Firma sich in einer solchen Situation befinden" , so Aiwanger.
Man setze auf Zukunftsperspektiven für betroffene Mitarbeiter und sei offen für neue Geschäftsideen. Bevorzugt werde ein Fortsetzungskonzept am Standort Regen – um Perspektiven für die hochtechnisierte Glasbranche zu erhalten, so Aiwanger weiter. "Wir werden nach diesem Gespräch mit den Mitarbeitern auch nochmals mit der Unternehmensführung und anderen Wirtschaftsvertretern der Region sprechen."
Bundespolitik soll Energiepreise und Belastungen senken
Von der Bundespolitik forderte Aiwanger bessere Rahmenbedingungen: Es müssten Energiepreise und Unternehmensbelastungen gesenkt werden. Auch der versprochene Bürokratieabbau komme nicht voran. Deswegen würden immer mehr Unternehmen aus Kostengründen Arbeitsplätze ins Ausland verlagern, wo die unternehmerischen Rahmenbedingungen besser seien.
In einem Gespräch mit dem Wirtschaftsminister hatte die Unternehmensführung von Rodenstock die Unterauslastung seiner Fertigungskapazitäten, die schwierigen ökonomischen Rahmenbedingungen in Deutschland mit hohen Lohn- und Energiekosten sowie die weltweit starke Wettbewerbssituation als Hauptgründe für die Verlagerung nach Tschechien und Thailand genannt.
Mit großem Herz gegen den Arbeitsplatzabbau
In Regen sind in nächster Zeit weitere Aktionen geplant: So ließ die IG Metall Sticker und Plakate drucken mit dem Slogan: "Wir sind das Herz von Rodenstock. Die Produktion in Regen muss erhalten bleiben", aufgedruckt auf ein rotes Herzsymbol.
Am Regener Rodenstock-Werk, in dem am Donnerstag eine interne Betriebsversammlung stattfand, soll für ein Foto ein großes Herz im Hof mit Beschäftigten "gefüllt" werden, die sich im Herzumriss aufstellen. Für Ende Oktober planen Betriebsrat und Gewerkschaft eine große Demo in Regen, die vom Rodenstock-Werk zum Stadtplatz führen soll.
Rodenstock-Geschichte reicht fast 150 Jahre zurück
Seit 126 Jahren gibt es das Rodenstock-Werk in Regen. Die Gründungsgeschichte der Firma geht nochmal über 20 Jahre zurück. 1880 meldete Rodenstock laut eigener Aussage ein Patent für die weltweit erste Brille mit Gläsern und Gestell an. Anfang der 1980er Jahre produzierte Rodenstock die ersten in Deutschland entwickelten Gleitsichtgläser, ist auf der Firmen-Homepage nachzulesen.
Das Unternehmen verspricht "marktführende Brillenglastechnologien". Für die Berechnung des Brillenglases nutzt Rodenstock laut eigener Aussage die Biometrie des ganzen Auges und lässt diese Daten in die Berechnung der Brillengläser einfließen – das sei branchenweit einmalig, so das Unternehmen weiter.
Rodenstock beschäftigt weltweit rund 5.000 Mitarbeiter und ist in mehr als 85 Ländern mit Vertriebsniederlassungen und Distributionspartnern vertreten. Rodenstock unterhält sechs zentrale Produktionszentren, "um ein global verfügbares Angebot zu gewährleisten".
Fertigung soll von Regen wegverlegt werden
Anfang September dieses Jahres hatte das Unternehmen bekannt gegeben, dass die Fertigung aus Regen in die Werke nach Thailand und Tschechien verlagert werden soll. Grund seien die schwierigen wirtschaftlichen Rahmenbedingungen in Deutschland mit hohen Lohn- und Energiekosten, der weltweit starke Wettbewerb und die mangelnde Auslastung der Fertigungskapazitäten.
Der Standort Regen, in dem bisher insgesamt rund 500 Menschen arbeiten, soll aber mit einem Teil der Beschäftigten erhalten bleiben – aber nur noch mit dem Schwerpunkt Engineering und Kundendienst.
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