Um 5.30 Uhr morgens am 18. Juli 2025 erhält der Betreuer eines ausreisepflichtigen Afghanen einen Anruf. Er sei am Flughafen Leipzig, teilt ihm der Betreute panisch mit, und werde gleich abgeschoben. Der Betreuer kann nichts mehr tun. Er ist zwar der gesetzliche Vertreter des afghanischen Mannes, hat aber bis heute keinen Beschluss in der Hand, gegen den er hätte Widerspruch einlegen können. In dem Flugzeug saßen mindestens drei ausreisepflichtige Menschen, die aus psychiatrischen Kliniken in Bayern geholt worden waren. Das hat das Bayerische Landesamt für Asyl und Rückführungen (LfAR) dem MDR und dem BR bereits in der Woche nach den Abschiebungen bestätigt.
Seit der Abschiebung kein Kontakt mehr
Der Betreuer versucht noch, die zuständigen Behörden in Unterfranken, wo der Afghane in einer forensischen Klinik untergebracht war, zu erreichen. Von der zentralen Ausländerbehörde in Geldersheim bei der Regierung Unterfranken erhält er aber nur die Aufforderung: "Schreiben Sie eine E-Mail mit Ihrem Anliegen". Der Qatar Airways Flug nach Kabul startet schließlich um 8.32 Uhr. Seit diesem Morgen hat der Betreuer nichts mehr von dem Afghanen gehört. Er will anonym bleiben, auch weil er formal immer noch Betreuer des Afghanen ist und der Schweigepflicht unterliegt. BR und MDR liegt eine Kopie des Betreuerausweises vor.
Afghane war ausreisepflichtiger Straftäter – und krank
Der abgeschobene Afghane war ein Straftäter mit einer schweren psychischen Erkrankung, er war seit mehreren Jahren in einer forensischen Klinik untergebracht. Und er war vollziehbar ausreisepflichtig. Der Betreuer bestreitet das nicht. Aber bezüglich der Abschiebung beruft er sich auf Paragraf 60 des Aufenthaltsgesetzes. Dieser Paragraf regelt die Bedingungen und auch Verbote von Abschiebungen. Das Gesetz kann greifen, wenn ein Ausreisepflichtiger krank ist und in seinem Heimatland nicht ausreichend medizinisch versorgt würde. Aufgrund dieses Gesetzes nennt der Betreuer die Abschiebung seines Schützlings "rechtswidrig".
Verbot von Abschiebungen im Aufenthaltsrecht
Dass Paragraf 60 des Aufenthaltsgesetzes im Fall des kranken afghanischen Mannes greifen würde, ist auch für den Bayerischen Flüchtlingsrat und für die Organisation Pro Asyl eine klare Sache. Deren rechtspolitische Sprecherin Wiebke Judith sagt, Abschiebungen aus Psychiatrien seien unverantwortlich und ein Skandal. Es gehe um Menschen in einem psychischen Ausnahmezustand, die dringend ärztliche Hilfe bräuchten. Und gerade in Afghanistan gibt es nach Judiths Worten eine solche Hilfe nicht. Stephan Dünnwald vom bayerischen Flüchtlingsrat vermutet: "Die zuständigen Behörden hatten eher die Durchsetzung im Blick und nicht die Sorgfalt."
Bayerische Behörde sieht keine Fehler
Das Landesamt für Asyl und Rückführungen, das dem bayerischen Innenministerium untergeordnet ist, teilt dem BR mit, weder zuvor noch am Abflugtag seien Abschiebehindernisse oder Abschiebeverbote festgestellt worden. Gesundheitliche Hindernisse seien nicht vermerkt gewesen. Die Frage, warum der Betreuer nichts von der unmittelbar bevorstehenden Abschiebung wusste, beantwortet das Landesamt pauschal: Eine Abschiebeandrohung gehe "gegebenenfalls" auch Betreuern zu.
Neuer Abschiebekurs der Bundesregierung und der CSU
Ob mit dem Flug noch weitere Personen abgeschoben wurden, die in psychiatrischen Kliniken waren, lässt sich derzeit nicht sagen. Einige Länder wie Berlin oder Niedersachsen wollten entsprechende Anfragen von MDR und BR zunächst nicht beantworten oder verwiesen mittlerweile an das Bundesministerium des Innern (BMI). Das BMI wiederum hatte seinerseits an die Länder verwiesen.
Bundesinnenminister Alexander Dobrindt (CSU) erklärte am 18. Juli im ARD-Morgenmagazin, dass die abgeschobenen Afghanen "vollziehbar ausreisepflichtig" und "strafrechtlich in Erscheinung getreten" seien. Dobrindt betonte dabei, dass schwere Straftäter kein Aufenthaltsrecht in Deutschland hätten.
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