Es ist grau, nass und kalt an diesem Herbsttag in Augsburg, und trotzdem wirken Gabriel Mert und Gabriela Kourie so, als könnten sie viel glücklicher nicht sein. Sie stehen im Matsch und beugen sich über die kompakten Holzkästen, die ihnen als Gemüsebeete dienen. "Grünkohl und Feldsalat vertragen sich nicht so gut", bemerkt der 29-jährige Gabriel und rät seiner 27-jährigen Lebensgefährtin, sie nicht in dasselbe Beet zu setzen. "Ich dachte, sowas gibt es nur unter Menschen", gibt Gabriela zurück und lacht. Sie pflanzt den Grünkohl dann aber doch lieber einen Holzkasten weiter – sicher ist sicher.
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Selbst anbauen - auf den Spuren der Großeltern
Für das junge Paar ist es ein kleiner Traum, den sie sich im Augsburger Stadtteil Göggingen erfüllen. Sie leben in Wohnungen und möchten die große Freiheit erleben. Bis vor Kurzem nicht viel mehr als ein Unkraut-Acker, soll bis zum Sommer in der neu erschlossenen Kleingartenanlage ein voll bepflanzter Garten entstehen – ihre eigene heimelige Oase. Es sei für sie an der Zeit, selbst etwas zu produzieren, statt immer nur alles schnell zu kaufen, sagt Gabriela: "Es wäre doch mal interessant, das zu machen, was unsere Großeltern und Urgroßeltern gemacht haben. Danach weißt du, dass du alles mit eigener Hand erschaffen hast."
Lange Wartelisten: Bayernweit fehlen 10.000 Kleingärten
Der Meinung sind offenbar auch andere in ihrer Generation. Über die Hälfte der Pächterinnen und Pächter in der neuen Anlage ist unter 45 Jahre alt, erklärt Gudrun Odobescu vom Stadtverband Augsburg der Kleingärtner. Sie besitzt selbst seit 15 Jahren einen Schrebergarten in Augsburg und sieht eine allgemeine Entwicklung: "Als ich hier anfing, waren alles alteingesessene Gärtner. Mittlerweile gibt es jede Menge Kinder." Bayernweit beobachtet Angelika Feiner vom Landesverband Bayerischer Kleingärtner einen ähnlichen Trend: Während früher der Altersdurchschnitt bei weit über 60 gelegen habe, liege er heute bei etwa 50 Jahren.
Dabei sind die Wartelisten lang: Bayernweit wünschen sich laut einer aktuellen Erhebung des Landesverbands über 10.000 Bürgerinnen und Bürger einen Platz in einer Kleingartenanlage. In München etwa warten Interessenten zwischen vier und sechs Jahre auf eine Parzelle, schätzt Feiner.
Gabriela und Gabriel hatten Glück: Durch Zufall sind sie auf die neue Anlage gestoßen und haben schnell einen Platz bekommen. Der Haken: Von der Laube über die Gemüsebeete bis zum Baum müssen sie alles selbst anlegen. "Nichts außer Unkraut" sei am Anfang auf ihrer Parzelle gewachsen, erinnert sich Gabriela, und ihr Partner ergänzt: "Außer der Umzäunung und Markierungen für das Haus war nichts hier." Bis ihre Oase steht, rechnet er mit 15.000 Euro Kosten – Geld, das den beiden laut Feiner teilweise erstattet werden würde, sollten sie die Parzelle wieder abgeben.
Inspirationsquelle TikTok
Weil sie keine Erfahrung im Gärtnern mitbringen, holen Gabriel und Gabriela sich Inspiration auf TikTok. Überhaupt treten jüngere Generationen laut Feiner nicht immer so ganz in die Fußstapfen ihrer Vorfahren: Viele junge Menschen seien experimentierfreudig und pflanzten auch Feigen, Aprikosen oder Pfirsiche: "Die werden oft nichts, weil es zu kühl ist, aber sie probieren es trotzdem aus." Außerdem legten junge Pächter oft Wert auf insektenfreundliche Pflanzen wie Apfelbeeren. Auch exotische Pflanzen wie Yucca-Palmen würden ihren Platz in den bayerischen Kleingärten finden, invasive Arten wie Herkulesstaude oder Ambrosia seien dagegen verboten.
Eingeschränkt werden junge Gärtnerinnen und Gärtner wie Gabriel und Gabriela auch durch örtliche Vorgaben und das Bundeskleingartengesetz. Das regelt zum Beispiel, wie groß das Gartenhaus sein darf.
Gabriel und Gabriela hat das nicht abgeschreckt: Feldsalat und Grünkohl sind inzwischen in sicherem Abstand zueinander gepflanzt. Obwohl die beiden in ihrem matschigen Garten viel zu tun haben, träumen sie schon vom nächsten Sommer: Zur WM wollen sie einen Beamer aufstellen und eine Gartenparty schmeißen. "Und eventuell" erklärt Gabriel und schaut schmunzelnd zu seiner Lebensgefährtin, "auch unsere standesamtliche Hochzeit feiern."
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