Die rot-schwarze Koalition hat beschlossen, ab 1. Januar 2026 einen sogenannten Industriestrompreis einzuführen. Er soll durch Subventionen die energieintensive Industrie entlasten. Für sie soll die Kilowattstunde Strom dann fünf Cent kosten. Zum Vergleich: Haushalte bezahlen laut Bundesnetzagentur im Durchschnitt rund 40 Cent – wobei es auch billiger geht, wenn man beispielsweise die Anbieter regelmäßig wechselt, wie auch BR24-User wie "elvisfan" oder "JoB" hier in den Kommentarspalten betonen. Die Strompreise für Neukunden liegen laut dem Vergleichsportal Verivox aktuell bei rund 24 Cent pro Kilowattstunde. 💬
Erlaubt die Europäische Union diese Subvention überhaupt?
Die Genehmigung des deutschen Industriestrompreises durch die EU steht noch aus. Sie hat in einem Rahmenbeschluss schon wichtige Bedingungen definiert: Es darf nicht billiger werden als fünf Cent pro Kilowattstunde, und dieser subventionierte Preis darf bei den Unternehmen jeweils nur für die Hälfte des Stromverbrauchs gelten.
Damit es keine Dauersubvention wird, begrenzt die EU die Laufzeit auf drei Jahre. Und mindestens die Hälfte des gesparten Geldes muss von den Firmen in Dekarbonisierung reinvestiert werden. Durch Energiesparen oder Eigenerzeugung von grünem Strom zum Beispiel könnten die Unternehmen dabei ihre Wettbewerbsfähigkeit erhöhen.
Wer bekommt den verbilligten Strom?
Längst nicht die ganze Industrie, sondern nur stromintensive Unternehmen, die im internationalen Wettbewerb stehen. Darunter fällt zum Beispiel die Stahlherstellung, Papierfabriken und große Teile der Chemieindustrie. Grundlage könnte die "Carbon Leakage-Liste" der EU [externer Link] sein. Sie enthält Branchen, die in Deutschland rund 2.000 Unternehmen umfassen.
Die Abgrenzung ist schwierig: Die Liste umfasst zum Beispiel zwar die Herstellung von Sanitärkeramik, nicht aber von Geschirr, kritisiert der Verband der keramischen Industrie. Die genaue nationale Ausgestaltung steht noch aus. Tomaso Duso vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) erwartet, dass wegen der damit verbundenen Bürokratie vor allem große Unternehmen begünstigt werden, was zu einer Wettbewerbsverzerrung führen könnte.
💬 BR24-User "PSED" kommentiert, dass möglicherweise auch Kontrollmechanismen für die 2.000 Unternehmen greifen sollten. Wie das durchgeführt werden soll, fragt Nutzer "Katze22" daraufhin. Das Team von "Dein Argument" hat zusätzlich ergänzt:
Wissenschaftler Duso meint, es wären eigentlich strikte Kontrollmechanismen nötig, und der Nachweis, dass die geförderten Investitionen tatsächlich zur Dekarbonisierung der Produktion beitragen. Gleichzeitig zweifelt er daran, ob das politisch durchsetzbar ist. Stefan Büttner vom Institut für Energieeffizienz an der Uni Stuttgart schlägt statt eines „komplexen Antrag- und Prüfregimes“ stichprobenartige Kontrollen vor, ähnlich wie bei der Steuer oder in der U-Bahn. 💬
Welche Unternehmen brauchen subventionierten Strom?
Die meisten brauchen ihn nicht. Denn für das Gros der Unternehmen ist der Strom heute kaum teurer als vor der Energiekrise, wie aus Daten der Bundesnetzagentur hervorgeht [externer Link]. Das liegt unter anderem daran, dass die Umlage aus dem Erneuerbaren-Energien-Gesetz (EEG) weggefallen ist. Anders sieht es nur für große, energieintensive Unternehmen aus, denen auch vorher schon Steuern und Umlagen zum Großteil erlassen wurden. Für sie ist der Strompreis seit 2020 deutlich angestiegen.
💬 BR24-User "Blafasel" erwähnt in den Kommentarspalten noch den aktuellen Industriepreis zum Vergleich und was dort alles hineinspielt. Das Team von "Dein Argument" ergänzt weiter:
In Zahlen: Unternehmen mit Vergünstigungen zahlten pro Kilowattstunde Strom 2024 laut Bundesnetzagentur im Durchschnitt 10,47 Cent, und damit 4,55 Cent mehr als im Jahr 2020. Für Unternehmen ohne Vergünstigungen lag der Durchschnittspreis vergangenes Jahr bei 16,77 Cent pro Kilowattstunde. 💬
Energieintensiv ist nur ein kleiner Teil der deutschen Industrie. Rund 87 Prozent der Wertschöpfung im verarbeitenden Gewerbe entfallen auf Branchen, deren Energiekostenanteil höchstens fünf Prozent beträgt. Für sie spielt der Strompreis eine untergeordnete Rolle.
Was kostet diese Subvention – und wer bezahlt das?
Die Bundesregierung beziffert die Kosten für den Industriestrompreis auf drei bis fünf Milliarden Euro. Sie sollen aus dem Klima- und Transformationsfonds bezahlt werden, der von Einnahmen aus dem CO2-Preis gespeist wird. Das heißt: auch durch Zahlungen von Unternehmen, die nicht in den Genuss des vergünstigten Stroms kommen.
Die Deutsche Industrie- und Handelskammer (DIHK) kritisiert das. Die Grünen fordern, den Industriestrompreis aus dem allgemeinen Haushalt zu finanzieren, denn er habe mit Klimaschutz nichts zu tun.
Ist der Industriestrompreis nicht nur ein Strohfeuer?
Die Gefahr besteht – zumal er auf drei Jahre begrenzt ist. Diese Atempause müssten die Unternehmen dazu nutzen, um ihre Produktion so umzustellen, dass sie weniger fossile Energie benötigen – betont etwa Stefan Büttner vom Institut für Energieeffizienz an der Uni Stuttgart. Prognosen gehen davon aus, dass die Energiepreise nicht mehr auf das Niveau vor Russlands Überfall auf die Ukraine sinken werden. Nach Einschätzung des DIW sind allenfalls kleinere Effizienzmaßnahmen innerhalb von drei Jahren möglich, nicht aber strukturelle Transformationen.
Dafür gibt es andere politische Instrumente: Wirtschaftsministerin Katherina Reiche (CDU) führt die sogenannten Klimaschutzverträge ihres grünen Vorgängers Habeck fort, obwohl die Union diese im Bundestagswahlkampf noch kritisiert hatte. Die per Ausschreibung vergebenen Verträge unterstützen Unternehmen bei der Transformation – etwa Stahlherstellung mit Wasserstoff.
Preisrisiken werden dabei über einen Zeitraum von 15 Jahren abgesichert. 2026 sind im Bundeshaushalt dafür sechs Milliarden Euro vorgesehen.
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