Wer im Internet beleidigt, kommt noch zu häufig ohne Strafe davon. Das will das Bayerische Justizministerium ändern und hat nun ein Handbuch – genannt "Wegweiser" – veröffentlicht. Darin wird erklärt, wie sich Betroffene schnell und einfach wehren können. Wie dringend diese Hilfe benötigt wird, zeigen zwei Beispiele aus München.
Hetze wegen eines Videos über den Fastenmonat Ramadan
Das erste Beispiel betrifft Bettina Mehic. Die Lehrerin und Muslima scrollt durch die Hasskommentare auf Social Media unter einem Online-Interview, dass sie der Süddeutsche Zeitung gegeben hat. Sie trägt ein Kopftuch und erklärt in dem Video, was für sie persönlich der Fastenmonat Ramadan bedeutet.
"Dann kommen die typischen Kommentare: Man gehört nicht zu Deutschland. 'Sollte sie nicht die Füße von ihrem Ehemann waschen?‘, 'Es ist Haram, dass eine Frau redet.‘“, zählt Mehic auf. Es reiht sich ein abfälliger Kommentar an den nächsten. Sie erklärt: "Es hat die Auswirkung, dass man sich zurückzieht. Dass man sich der Diskussion entzieht, weil man sich dem nicht immer stellen möchte. Man verstummt."
Aktivist: Jüdisches Leben versteckt sich in Deutschland
Ganz genauso beschreibt auch der Aktivist und Jude Guy Katz seine Erfahrungen. "Ich habe Freunde, die sogar ihre jüdischen Namen von Klingelschildern entfernt haben hier in München. Das finde ich erschreckend, das sind Verhältnisse der 1930er Jahre." Dagegen wolle er arbeiten und organisiert Demonstrationen gegen Antisemitismus. Doch dadurch seien die Hasskommentare für ihn Alltag geworden.
Hohe Erfolgsquote bei Tätersuche
Damit sich Menschen wie Bettina Mehic und Guy Katz gegen Hasskommentare einfach und schnell wehren können, gibt es zahlreiche Meldestellen. Das Problem: Nach wie vor wissen zu wenige Personen von dieser Möglichkeit, sagt der Hate-Speech-Beauftragte der bayerischen Justiz, David Beck. "Es entsteht oft der Eindruck, die Justiz würde nichts tun oder es würde der falsche Eindruck entstehen, Strafanzeigen bringen nichts. Das Gegenteil ist der Fall."
Seine Behörde habe von 2021 bis 2024 insgesamt über 11.000 Hate-Speech-Verfahren bearbeitet - und bei rund 80 Prozent die Täter bzw. Täterinnen ermittelt. Die häufigsten Anfeindungen würden sich gezielt gegen bestimmte Gruppen wie beispielsweise Frauen, Juden oder Muslime richten.
Best-Practice-Beispiel als Vorbild
Und genau da soll der Best-Practice-Wegweiser vom Bayerischen Justizministerium als Hilfe ansetzen. "Best Practice" bedeutet: In diesem Flyer sind Fälle aufgelistet, die in der Vergangenheit schon zu einer Strafe für die Kommentatoren geführt haben.
Ein Beispiel von Facebook, wo jemand einer Politikerin schrieb: "So eine Sau gehört nicht in die Politik sondern eingesperrt – pfuiteufel.“ Am Ende wurde der Täter wegen Beleidigung schuldig gesprochen und zu einer Geldstrafe von 70 Tagessätzen verurteilt.
Der Flyer mit diesem und noch mehr Beispielen soll nun über das Bayerische Bündnis für Toleranz an dessen Mitglieder verteilt werden. Dazu gehören unter anderem der Arbeiter Samariter Bund, der Bayerische Flüchtlingsrat oder auch der Bayerische Handwerkstag.
Langsame Meldeketten bislang
Ob sich Opfer von Hasskommentaren durch diese Aufklärungskampagne tatsächlich besser geschützt fühlen, bleib abzuwarten. Guy Katz sieht das Meldesystem kritisch. Es gäbe zwar viele Meldestellen, aber er habe auch die Erfahrung gemacht, dass es oft viel zu lange dauere, bis irgendwas passiert. Obwohl die Täter häufig einfach zu identifizieren seien. Deswegen solle zusätzlich auch die breite Masse online aktiv werden und Hasskommentare melden und dagegen anschreiben. Katz sagt: "Wenn du so einen Kommentar siehst, dann melde das selber. Dann schreibe du selber: 'Ne, das geht nicht.'"
Mehic will aktiver gegen Volksverhetzung vorgehen
Der Lehrerin Bettina Mehic hat der Wegweiser bereits geholfen. Sie wusste nicht, welche Möglichkeiten sie tatsächlich hat, sich gegen Online-Beleidigungen zu wehren. Mehic sagt: "Alles, was pauschalisiert, alles was 'raus aus dem Land‘ und 'du gehörst nicht dazu‘ ist, ist ja eigentlich schon im Bereich der Volksverhetzung und das werde ich dann gegebenfalls zur Anzeige bringen."
Wegen der bisherigen Kommentare unter dem Interview mit der Süddeutschen Zeitung will sie aber nicht tätig werden. Denn sich noch einmal damit ausführlich auseinanderzusetzen, koste sie gerade zu viel Kraft.
Im Video: "Hate Speech" - Wegweiser gegen Hass im Netz
Was kann ich tun als Opfer von Hass im Internet? Ein "Wegweiser" des bayerischen Justizministeriums soll helfen.
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