Archivbild: Hubert Aiwanger und Markus Söder
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Weniger Bürgerentscheide? Aiwanger warnt Söder

Weniger Bürgerentscheide? Aiwanger warnt Söder

Freie-Wähler-Chef Aiwanger warnt die CSU vor größeren Eingriffen in die direkte Demokratie in Bayern. Nötig sei mehr Bürgerbeteiligung statt weniger, sagt er im BR-Interview. CSU-Fraktionschef Holetschek reagiert mit einem "Rat" an Aiwanger.

Über dieses Thema berichtet: BR24 im Radio am .

Die Botschaft des bayerischen Vize-Ministerpräsidenten Hubert Aiwanger an den Koalitionspartner CSU ist klar: Mit den Freien Wählern sind höhere Hürden für Bürgerentscheide nicht zu machen. "Es gibt immer Entwicklungs- und Verbesserungsbedarf – aber ich glaube nicht, dass wir in Bayern das Thema der Bürgerbeteiligung massiv beschneiden sollten", betont der Freie-Wähler-Vorsitzende im BR24-Interview.

Er wisse zwar nicht, ob die CSU das vorhabe. "Aber das würden wir auf alle Fälle nicht mittragen", sagt Aiwanger. Die Freien Wähler wollten "sehr genau darauf schauen, was hier geplant ist". Ministerpräsident Markus Söder (CSU) hatte Mitte Juni angeregt, Bürgerentscheide in Bayern zu erschweren.

Söder: "Als Blockade eingesetzt"

In seiner Regierungserklärung zur Modernisierung beklagte Söder, Bürgerentscheide würden zunehmend "als Blockade" gegen den Bau von Windrädern oder Krankenhäusern eingesetzt. Es brauche die richtige Balance "zwischen Allgemeinwohl und Partikularinteressen". Hier gebe es Verbesserungsbedarf. Daher solle ein "Runder Tisch zur Weiterentwicklung von Bürgerentscheiden" unter der Leitung von Ex-Ministerpräsident Günther Beckstein (CSU) bis Jahresende Vorschläge erarbeiten.

Aiwanger mahnt mit Blick auf den Runden Tisch zunächst eine Abstimmung innerhalb der schwarz-orangen Koalition an. "Wenn hier Herr Beckstein die Diskussion führen soll, dann glaube ich schon, dass auf alle Fälle der Koalitionspartner der erste Ansprechpartner ist." Es könne nicht sein, dass die CSU intern Bürgerentscheide ändere, "und wir sollen zustimmen".

Aiwanger warnt vor noch mehr Frust und Spaltung

Zwar brauche es handlungsfähige Kommunen und einen handlungsfähigen Staat, räumt der FW-Chef ein. "Wenn kein Bürgermeister und Gemeinderat mehr irgendein Baugebiet durchbekommt, weil immer Bürgerentscheide sind, ist das nicht im Sinn der Sache." Manche Regelungen seien "überholt" – wie zum Beispiel das Vetorecht der Kommunen bei Windkraftprojekten in den Bayerischen Staatsforsten.

Insgesamt aber bestehe vor allem das Problem, dass sich Bevölkerung und Politik "immer mehr voneinander entfremden". Wenn nun das Signal käme, dass Bürger weniger mitreden dürfen, könne das zu noch mehr Frust, Spaltung und Verbohrtheit führen, gibt Aiwanger zu bedenken. "Generell glaube ich, müsste man die Bürger eher mehr mitnehmen als weniger."

Für die Freien Wähler ein heikler Vorstoß

Für die Freien Wähler ist Söders Vorstoß heikel: Sie sehen sich selbst als Vor-Ort-Partei, die Politik von unten nach oben mache. Die Stärkung der direkten Demokratie ist in der DNA der Freien Wähler tief verankert: Sie verdanken ihren Aufstieg teilweise auch erfolgreichen Volksbegehren – beispielsweise zur Abschaffung der Studiengebühren.

In ihrem Landtagswahlprogramm 2023 forderten die FW unter anderem eine "Absenkung der Mindestbeteiligung bei Bürgerentscheiden" und eine Verlängerung der Bindungswirkung von Bürgerentscheiden auf zwei Jahre. Im Programm zur Europawahl 2024 machten sie sich für "Volksentscheide zu wichtigen europapolitischen Fragen auf Bundesebene" und für die "Möglichkeit verbindlicher europaweiter Bürgerentscheide" stark.

"Widerspricht der Freie-Wähler-Philosophie"

Entsprechend kritisch sieht auch die bayerische FW-Generalsekretärin Susann Enders Söders Ankündigung. "Als Freie Wähler waren wir schon immer für eine ganz starke Einbindung der Bürger in die Politik." Das könne auch mal unbequem sein, könne für Diskussionen und politische Arbeit sorgen. "Aber das zu beschneiden, widerspricht unserer Freie-Wähler-Philosophie."

FW-Fraktionschef Florian Streibl verweist darauf, dass gerade für die kommunale Basis der Freien Wähler Bürgerbegehren als Instrument der Mitbestimmung wichtig seien. "Da würde man schon mit der Basis auch irgendwo ein Problem bekommen, wenn man sagt, man schafft jetzt einfach den Bürgerentscheid ab." Vom Ministerpräsidenten hätte Streibl sich gewünscht, in der Koalition zunächst Eckpunkte zu besprechen und sie erst dann in einer Regierungserklärung darzulegen. "Da wäre es manchmal besser, wenn man sich ein bisschen mehr Zeit lässt."

Beckstein: "Probleme, über die wir reden müssen"

Ex-Ministerpräsident Beckstein hält Elemente der direkten Demokratie zwar für sehr wichtig. "Aber es gibt einige Probleme, über die wir reden müssen", sagte er vor wenigen Tagen dem "Münchner Merkur". So könne es bei Windrädern oder bei der Frage notwendiger Stromleitungen unter Umständen passieren, dass ein kleiner Ort eine Frage entscheide, die für eine ganze Region von großer Bedeutung sei. "Am Runden Tisch wollen wir diskutieren, was man reduzieren, was ausweiten, was verbessern kann." Er selbst habe noch keine abgeschlossene Meinung, erläuterte der 80-Jährige.

Söder kündigte einen "breit angelegten" Runden Tisch an. Auf Unterstützung der Opposition für weniger Bürgerentscheide kann er dort aber nicht hoffen. Der stellvertretende parlamentarische Geschäftsführer der AfD-Fraktion, Markus Walbrunn, kritisierte auf X: "Markus Söder greift das Mitwirkungsrecht der Bürger an." Grünen-Fraktionsvize Johannes Becher betonte unmittelbar nach Söders Ankündigung: "Beim Demokratieabbau sind wir nicht dabei." Und SPD-Fraktionschef Florian von Brunn stellte klar, seine Partei wolle mehr Demokratie und nicht weniger.

Holetschek will keine "Bedenkenträger"

CSU-Fraktionschef Klaus Holetschek beschwichtigt: "Keiner will Bürgerentscheide abschaffen." Sie weiterzuentwickeln, sei aber legitim und wichtig, sagt er dem BR – und warnt seinerseits Aiwanger vor übertriebener Skepsis. "Wenn wir von vornherein immer alles sofort stoppen und Bedenkenträger überall auftauchen, dann werden wir Dinge nie weiter voranbringen", argumentiert Holetschek.

Er werbe dafür, auch über schwierige Themen zu diskutieren. Der Runde Tisch sei wichtig. Dem Koalitionspartner gibt der CSU-Politiker mit auf dem Weg: "Ich rate dem Herrn Aiwanger tatsächlich, da ergebnisoffen hinzugehen."

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