In der kommenden Woche – nach der Kanzlerwahl und der Vereidigung des Kabinetts – wird die künftige schwarz-rote Regierungskoalition die Arbeit aufnehmen. Ihr Arbeitsauftrag steht maßgeblich im gemeinsam ausgehandelten Koalitionsvertrag festgeschrieben. Den hat sich auch die Vorstandsvorsitzende der Bundesagentur für Arbeit, Andrea Nahles, sehr genau durchgelesen. Nahles, die selbst einmal SPD-Chefin und auch Bundesarbeitsministerin war, ordnet im Interview mit BR24 die Regierungsvorhaben ein.
Nahles: Vermittlungsvorrang leichter gesagt als getan
Ein Projekt, das vor allem der Union wichtig ist, ist die Einführung einer "neuen Grundsicherung für Arbeitsuchende". Der Name Bürgergeld soll abgeschafft und der Vermittlungsvorrang wieder eingeführt werden. Arbeitsuchende haben dann Jobs aller Art anzunehmen, auch wenn sie nicht ihrem vorherigen beruflichen Werdegang entsprechen.
Für die Jobcenter heißt das: vermitteln, was das Zeug hält. Doch von den 650.000 gemeldeten offenen Stellen sind nur 120.000 dem Helferniveau zuzuordnen, erklärt Nahles. Es seien jedoch "viel mehr" Arbeitsuchende, die solche Jobs brauchen, da sie schwach qualifiziert oder gesundheitlich beeinträchtigt seien. Dieses Problem könne man "mit Druck alleine" nicht lösen. Sondern es brauche "weiterhin Qualifizierung, damit die Leute eben bessere Chancen haben, nachhaltig auf einen Arbeitsplatz zu hoffen". Andernfalls würden sie in einem "Drehtüreffekt" von einem Helferjob im nächsten landen.
Sanktionen betreffen etwa drei Prozent der Leistungsempfänger
Außerdem wollen die Koalitionäre die Sanktionen für Arbeitsuchende verschärfen, die sich wiederholt nicht an Terminvereinbarungen halten oder Jobangebote ablehnen. Zuletzt hatte die Ampelregierung die Geldkürzungen in diesen Bereichen abgemildert. Nahles erklärt dazu: "Leistungsminderungen sind durchaus notwendig, um Verbindlichkeit in den Verabredungen herzustellen." Doch seien Sanktionen für die Jobcenter ein Instrument, das jährlich "ungefähr drei Prozent" der Arbeitsuchenden betreffe.
Den Jobcentern läge am Herzen, dass die neuen Sanktionsregelungen möglichst wenig bürokratischen Aufwand bringen, etwa, wenn es um Dokumentationsnachweise geht. Zu Zeiten von Hartz IV und auch des Bürgergeldes ist dieser Aufwand nach Nahles Einschätzung zu hoch gewesen.
Mindestlohn seit Einführung "de facto nur um einen Euro gestiegen"
Ein Thema, das bei den künftigen Koalitionären bereits jetzt für heftige Auseinandersetzungen sorgt, ist die Anhebung des Mindestlohns. Er liegt aktuell bei 12,82 Euro pro Stunde. Die Sozialdemokraten wollen, dass er im kommenden Jahr erhöht wird, am liebsten auf 15 Euro.
Andrea Nahles meint, darüber solle die Mindestlohnkommission befinden. Dort liege die Entscheidung "in guten Händen". Nahles erwähnt aber auch, dass der Mindestlohn seit seiner Einführung 2015 real kaum gestiegen sei. Es handele sich insgesamt um vier Euro. "Davon sind alleine drei Euro durch die Inflation wieder praktisch verschwunden als Kaufkraft an der Stelle", sagt sie. "De facto" sei der Mindestlohn also nur um einen Euro gestiegen. Überdies würden zahlreiche Studien belegen, dass der Mindestlohn die Beschäftigung nicht verringere, und "wenn überhaupt, bei den Minijobs".
Noch Fragezeichen: Digitale Agentur gegen Fachkräftemangel
Die neue Regierung möchte auch den Fachkräftemangel angehen. Dazu zählt, mehr Fachkräfte aus dem Ausland zu gewinnen. Unter "Mitwirkung der Bundesagentur für Arbeit soll eine digitale Agentur für Fachkräfteeinwanderung" entstehen, heißt es dazu im Koalitionsvertrag von Union und SPD. Sie nennen das Projekt "Work and Stay-Agentur", Arbeiten und Bleiben, also.
Nahles sagt dazu, sie habe sich gefreut, "dass das im Koalitionsvertrag steht, weil es nämlich unsere Arbeit erleichtern würde". Doch sehe sie auch einige Fragezeichen. Es sei "zu vage formuliert, was genau denn jetzt damit gemeint ist". Die Bundesagentur für Arbeit habe jedes Jahr etwa 400.000 Anträge zu bearbeiten. Es habe sich gezeigt, "dass es schlau wäre", wenn man "bestehende Behörden", wie das Auswärtige Amt, kommunale Ausländerbehörden und eben die Bundesagentur "sinnvoll miteinander vernetzt, um die Prozesse zu beschleunigen".
Das sei vor allem ein Digitalisierungsthema, sagt Nahles - und merkt mit Blick auf den designierten Digitalminister Karsten Wildberger an: "Ich hätte Lust, sehr schnell ins Gespräch zu kommen mit dem neuen Minister."
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