Der 3. Juni 2022 – ein Tag, den keiner im Landkreis Garmisch-Partenkirchen vergessen wird. Ein Regionalzug entgleist und es ist nichts mehr wie vorher. Drei Jahre später rollen die Züge längst wieder – aber die Erinnerungen bleiben. Jetzt beginnt die juristische Aufarbeitung.
Der Moment, der alles veränderte
Ein warmer Frühsommertag in Burgrain, blauer Himmel, letzter Schultag vor den Pfingstferien. Kurz nach Mittag kommt die Regionalbahn Richtung München – Minuten später liegt sie im Graben. Zwei Waggons stürzen die Böschung hinab, zerbersten wie Spielzeug. "Das war kein entgleister Zug – das war ein Trümmerfeld", erinnert sich Notarzt Vincens Weingart. "Überall Verletzte, dieser Geruch von zerstörtem Metall und Kunststoff – da wusste man: Hier ist etwas Schlimmes passiert."
Fünf Tote, Dutzende Verletzte
Die traurige Bilanz: Fünf Menschen sterben – vier Frauen und ein 13-jähriger Bub. Zwölf Personen werden schwer verletzt, 60 weitere sind leicht bis mittelschwer verletzt. 200 Helfer, 140 Fahrzeuge, neun Hubschrauber – praktisch der halbe süddeutsche Raum war alarmiert.
Die Bedingungen waren günstig: Die Unfallstelle lag direkt an der Bundesstraße, die Notfallpläne waren frisch überarbeitet, und wegen des bevorstehenden G7-Gipfels herrschte bereits erhöhte Alarmbereitschaft. "Wir waren auf Knopfdruck einsatzbereit", sagt BRK-Geschäftsführer Klemens Reindl. Innerhalb einer Stunde waren alle Schwerverletzten versorgt – ein Beispiel für die "goldene Stunde der Traumaversorgung". Kein Schwerverletzter starb später im Krankenhaus.
Die Helfer und die Folgen
Viele Retter tragen die Bilder bis heute mit sich. "Solche Einsätze hinterlassen Spuren", sagt Reindl. "Wir haben gelernt, dass man reden muss, um das zu verarbeiten." Inzwischen gehört psychosoziale Nachsorge für Einsatzkräfte im Landkreis zum Standard. "Wir sind nicht der liebe Gott. Wir können nicht allen helfen", sagt Reindl leise. Und doch gilt dieser Einsatz als Erfolg.
Zwei Angeklagte, viele Fragen
Mehr als drei Jahre später beginnt vor dem Landgericht München II die juristische Aufarbeitung. Angeklagt sind ein Fahrdienstleiter und ein Bezirksleiter der Bahn – wegen fahrlässiger Tötung und Körperverletzung. 19 Verhandlungstage, über 60 Zeugen.
Für die Staatsanwaltschaft ist die Ursache klar: Schadhafte Betonschwellen und Fehlverhalten vor Ort. Doch der Bericht der Bundesstelle für Eisenbahnunfalluntersuchung verweist auf strukturelle Probleme bei der Deutschen Bahn – Überlastung, fehlende Bautrupps, Kommunikationsfehler. Der Prozess soll klären, ob individuelle Fehler oder ein ganzes System versagt hat.
Lehren aus der Katastrophe
"Ein Schienennetz, auf dem so viele Menschen unterwegs sind, muss sicher sein", sagt Notarzt Weingart. Chefarzt Thomas Hänel hofft, dass der Prozess mehr bringt als juristische Antworten: "Wichtig ist, dass man aus diesem Unglück lernt – dass Strukturen verbessert und Warnungen ernst genommen werden."
Am Unglücksort erinnert heute nichts mehr an das Geschehen – doch für viele, die damals halfen, bleibt er ein Ort, der sie nicht loslässt. "Der Prozess beginnt – die Aufarbeitung läuft", sagt BRK-Geschäftsführer Reindl. "Aber vergessen – das kann keiner von uns."
Zum Video: Das Zugunglück von Burgrain
Das Zugunglück von Burgrain
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