Die Bundeswehr muss nach Einschätzung von Verteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) deutlich größer werden: Deutschland brauche angesichts der aktuellen Bedrohungslage für die von der Nato geplante verstärkte Verteidigungsfähigkeit 50.000 bis 60.000 zusätzliche aktive Soldaten. Das sagte Pistorius in Brüssel vor einem Nato-Treffen, bei dem die neuen Ziele der Militärallianz gebilligt wurden.
Verpflichtende Erfassung soll neues Personal bringen
Wörtlich sagte Pistorius: "Wir gehen davon aus – das ist aber auch nur eine Daumengröße, um es klar zu sagen – dass wir rund 50.000 bis 60.000 Soldatinnen und Soldaten in den stehenden Streitkräften mehr brauchen als heute." Gleichzeitig stelle sich die Frage, ob der neue Wehrdienst über die nächsten Jahre ausreiche, sagte der SPD-Politiker.
Vor einem Jahr hatte Pistorius sein Modell für einen reformierten Wehrdienst vorgelegt. Demnach soll es eine verpflichtende Erfassung geben, in der junge Männer ihre Bereitschaft und Fähigkeit zu einem Wehrdienst benennen müssen – und junge Frauen dies tun können.
Deutschland übernimmt "zweitgrößtes Paket"
Die Nato will ihre militärischen Fähigkeiten zur Abschreckung und Verteidigung angesichts der anhaltenden Bedrohung durch Russland extrem ausbauen. Pistorius machte deutlich, dass Deutschland wegen seiner Größe und Wirtschaftskraft einen großen Teil der geplanten Aufrüstung schultern werde – konkret: "das zweitgrößte Paket an Fähigkeiten innerhalb der Nato."
"Die Entscheidungen von heute werden uns bis (...) Ende der 30er-Jahre hinein begleiten", sagte Pistorius. Dabei gehe es darum, was man angesichts der neuen internationalen Bedrohungslage militärisch zu tun habe. Als Beispiele nannte er neben der Personalfrage auch die Ausstattung und Verbesserung der Luftverteidigung und U-Boot-Abwehr.
Produktion eigener Drohnen geplant
Generalsekretär Mark Rutte hatte am Vortag in Brüssel "mehr Ressourcen, Truppen und Fähigkeiten" eingefordert. Neben der personellen Aufstockung sind Investitionen in die ukrainische Rüstungsindustrie sowie die Zusammenarbeit beim Bau von Drohnen, Raketen und Munition geplant. Die Frage, ob es Pläne gebe, Drohnen in Deutschland zu produzieren und die Bundeswehr für ihren Einsatz zu schulen, beantwortete Pistorius mit "Ja", ohne aber weitere Details zu nennen.
Mit dem neuen Aufrüstungsprogramm der Nato wird den einzelnen Alliierten genau vorgegeben, was sie künftig zur gemeinsamen Abschreckung und Verteidigung beitragen müssen. Die neuen Pläne tragen auch der Einschätzung von Geheimdiensten Rechnung, dass Russland trotz des noch laufenden Angriffskriegs gegen die Ukraine bereits in wenigen Jahren bereit für einen Krieg gegen einen Nato-Staat sein könnte. Die konkreten neuen Planungsziele sind als streng geheim eingestuft, um die Nato für Russland zu einem möglichst unberechenbaren Gegner zu machen.
Nato: US-Verteidigungsminister bekräftigt 5-Prozent-Ziel
US-Verteidigungsminister Pete Hegseth bekräftigte in Brüssel bei einem Auftritt mit Rutte, die US-Forderung nach einer Steigerung der Verteidigungsausgaben in allen Nato-Staaten auf fünf Prozent des Bruttoinlandsproduktes (BIP). Bisher liegt dieses Nato-Ziel bei zwei Prozent.
Zur Entscheidung kommt es beim Nato-Gipfel in Den Haag in knapp drei Wochen. Dort sollen sich alle Nato-Mitglieder verpflichten, künftig mindestens einen Betrag in Höhe von 3,5 Prozent des nationalen Bruttoinlandsprodukts (BIP) in Verteidigung zu investieren. Hinzu könnten dann noch einmal 1,5 Prozent des BIP für verteidigungsrelevante Ausgaben – beispielsweise für Infrastruktur – kommen, so dass am Ende die von US-Präsident Donald Trump geforderte Quote von fünf Prozent erreicht wird.
Militärplaner: Obergrenze von 460.000 Soldaten bleibt
In der Bundeswehr war die Zahl der Soldaten im vergangenen Jahr trotz mehr Einstellungen erneut leicht gesunken, während der Altersdurchschnitt stieg. Derzeit dienen nach Angaben des Bundesverteidigungsministeriums aus dem März 182.064 Männer und Frauen in Uniform in der Bundeswehr. Erklärtes Ziel waren zuletzt 203.000 aktive Soldaten in den Streitkräften gewesen.
Neue Diskussion um Wehrpflicht?
Angesichts der Nato-Pläne ist eine neue Diskussion über einen verpflichtenden Wehrdienst absehbar. So sagte der neue Wehrbeauftragte des Bundestags, Henning Otte (CDU), dem "Tagesspiegel", massiv steigende Nato-Anforderungen seien ohne einen teilweise verpflichtenden Wehrdienst und eine attraktivere Bundeswehr kaum zu erfüllen.
Auch Pistorius hatte einen verpflichtenden Dienst nicht für alle Zeiten ausgeschlossen. Eine Wehrpflicht nütze allerdings "jetzt gar nichts, weil wir die Kapazitäten weder in den Kasernen noch in der Ausbildung haben", argumentierte der Minister. "Deswegen müssen diese Kapazitäten aufwachsen", forderte er. "Bis dahin gilt Freiwilligkeit."
Audio: Pistorius schließt obligatorischen Wehrdienst nicht aus
29.04.2025: Verteidigungsminister Pistorius beim Indienststellungsappell des Unterstützungskommandos der Bundeswehr auf der Hardthöhe in Bonn.
Mit Material von AFP und dpa
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